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Adelsprivilegien
Gesetzlich abgeschafft – doch der Nimbus bleibt

Den Adel als Stand mit Vorrechten und eigenen internen Gesetzen gibt es schon seit dem Kaiserreich nicht mehr – gesetzlich abgeschafft wurde er in Preußen vor 100 Jahren. Geblieben aber ist die Faszination alter Familien, die ihren Stammbaum über Jahrhunderte zurückverfolgen können.

Von Beatrix Novy | 23.06.2020
    Eine Krone
    Menschen mit Adelsnamen und sogenannte Royals gehören immer noch zum festen Personal der Regenbogenblätter (picture-alliance / dpa / Patrick van Katwijk)
    "Privilegium (lat.) ist ein Gesetz oder eine Anordnung, wodurch bestimmten Personen oder einer einzelnen Klasse von Staatsbürgern gewisse Sonder- oder Vorrechte eingeräumt werden. Dergleichen war z.B. im alten Feudalstaate die Steuerfreiheit der adeligen und geistlichen Güter, der Ausnahmegerichtsstand der Mitglieder dieser beiden Stände usw.".
    So stand es im großen Brockhaus von 1883, also in einer Zeit, als noch dem allerärmsten Rittmeister sein "von" im Namen ein höheres Prestige gab.
    "Die Neuzeit hat viele derartige Privilegien als unvereinbar mit der Gerechtigkeit und Gleichheit, auf welche das heutige Staatsleben gegründet sein muss, im Gesetzgebungswege beseitigt."
    Titel nicht mehr erblich
    Viele, aber nicht alle. Dafür musste erst ein Weltkrieg verloren und die Weimarer Republik gegründet werden: Sie schaffte 1919 den Adel kurzerhand ab. Die deutschen Länder mussten ihre Gesetze auf die neue Verfassung einstellen; den Anfang machte Preußen. Am 23. Juni 1920 verabschiedete die preußische Landesversammlung das "Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels", an anderer Stelle auch "bisheriger Adel" genannt. Viel war, außer sehr speziellen Vorrechten einer winzigen hochadligen Minderheit, nicht mehr aufzuheben: Feudale Privilegien wie Jagdrecht, eigene Gerichtsbarkeit, eigenes Erbrecht, Entbindung von der Wehrpflicht gab es schon im Kaiserreich nicht mehr. Was es noch gab, war der Anspruch auf Ehrerbietung vor einem ständischen Relikt. Laut Gesetz wurde aufgehoben:
    "Das Recht auf die Prädikate Königliche Hoheit, Hoheit, Durchlaucht und dergleichen."
    Erbliche Titel waren jetzt Geschichte, das "von" wurde schlicht Teil eines Namens. Jedenfalls vor dem Gesetz. Damit kamen deutsche Adlige noch gut weg, in Österreich hieß auch der letzte Kaiser schlicht Karl Habsburg. Und von weitergehender Unbill wie einer Sozialisierung oder Bodenreform blieb man ohnehin verschont.
    Schleichender Bedeutungsverlust
    Zunächst traf der Absturz von 1918 den preußischen Adel besonders hart, hatte er sich doch eben noch im Glanz des jungen Kaiserreichs gesonnt: Mit Wilhelm I. saß ja ein Preuße nach der Reichsgründung 1871 auf dem Thron. Fast konnte man vergessen, wie unaufhaltsam das 19. Jahrhundert überall an der Bedeutung des Adels nagte, wie mächtig Bürgertum und Arbeiterbewegung wurden, wie anstrengend das ewige Strampeln um den Klassenerhalt, das "Obenbleiben" war. Wie ärmlich neben den reichen Großagrariern viele Zaun- und Krautjunker lebten, und wie viele heruntergewirtschaftete Rittergüter an bürgerliche Besitzer gingen oder mit Geldheiraten gerettet werden mussten.
    Adels-Boom in der Pop-Literatur
    Konträr zum langsamen, aber sicheren Bedeutungsverlust war adliges Personal in der Literatur, in der populären vor allem, überproportional vertreten. Gerade prekäre Adels-Lagen lieferten die schönsten Sujets, von unstandesgemäßer Liebe bis zur Figur des Wucherjuden, der verschuldete Gutsbesitzer ruiniert. Romane verewigten das Bild vom Leben in der kleinstädtischen Residenz oder vom preußischen Landgut. Das Genre war per se politisch: Die Star-Autorin der Gartenlaube, Eugenie Marlitt, konfrontierte in ihren Fortsetzungsromanen kämpferisch dünkelhafte Adelsgestalten mit bürgerstolzen Kontrahenten.
    Fontane lässt Adelsdünkel verdämmern
    Ihr großer Kollege dagegen, der liebevolle und kritische Adelschronist Theodor Fontane, brauchte nur einem seiner Junker einen typischen Satz in den Mund zu legen:
    "(..) dieser Gundermann gehört nicht mit dazu; seine Mutter war 'ne Hebamme in Wrietzen."
    Und in Fontanes Roman "Die Poggenpuhls" lässt Eberhard von Poggenpuhl im milden Fontane-Ton den Adel samt Dünkel sachte verdämmern:
    "Ach, Albertine, mitunter ist mir doch so, als ob alles Vorurteil wäre. ... Adel ist gut, Klessentin ist gut, aber Herr Manfred ist auch gut. Überhaupt, alles ist gut, und eigentlich ist ja doch jeder Schauspieler."
    Gesetzlich abgeschafft – und doch präsent
    Der Adel, gesetzlich abgeschafft, überlebte trotzdem. In der Weimarer Republik, als er seine unrühmliche demokratieverweigernde Rolle spielte; und in der Bundesrepublik, wo korporativer Geist und Habitus Gruppenidentität bieten für die, die es noch wollen. Und für die unermüdliche Regenbogenpresse finden sich immer ein paar Darsteller, die im Krönchengeschäft mitmachen - wenn auch nur als Teil der großen Promi-Industrie.