
Hitler sei ein Linker: Dieser falsche historische Mythos wird von AfD-Politikern wie beispielsweise Alice Weidel gerne beteuert. Das falsche Narrativ ist nicht neu. 2012 hat die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, schon behauptet, Hitler sei links gewesen. Damals gab es die AfD noch gar nicht. Auf Twitter schrieb sie: „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE Deutsche ARBEITERPARTEI…“ Inzwischen ist Erika Steinbach Mitglied der AfD. Aber auch sie hat sich diesen falschen Geschichtsmythos nicht ausgedacht. Entstanden ist er Jahrzehnte zuvor.
Warum und mit welchem Ziel verbreiten Rechtspopulisten diese Falschbehauptung – und wie lässt sie sich widerlegen?
Inhalt
- Wann ist der Mythos, Hitler und die Nazis seien links gewesen, entstanden?
- Mit welchem Ziel verbreiten Rechtspopulisten solche Geschichtsfälschungen?
- Wie lassen sich solche Falschbehauptungen schnell widerlegen?
- Was bedeutet – historisch hergeleitet – eigentlich rechts und links?
- Was bedeutet Sozialismus?
- Warum bezeichnete Hitlers Partei sich als „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“?
Wann ist der Mythos, Hitler und die Nazis seien links gewesen, entstanden?
In der unmittelbaren Nachkriegszeit war diese Mär „überhaupt kein Thema“, sagt Jakob Schergaut, Mitarbeiter des Projekts „Geschichte statt Mythen“ am Historischen Institut der Universität Jena. Denn zum einen sei über die NS-Vergangenheit größtenteils geschwiegen worden, zum anderen „waren sich natürlich die, die das aktiv erlebt haben, recht klar darüber, in was für einem System sie gelebt haben“.
Als eine Art Diffamierung des politischen Gegners sei die Behauptung dann in den 70er- und 80er-Jahren vom politisch rechten Milieu der Bonner Republik verbreitet worden. „Berühmt ist zum Beispiel der Ausspruch von Franz Josef Strauß, wonach Hitler und Goebbels im Grunde ihres Herzens angeblich Marxisten gewesen wären“, so Schergaut. Aber auch aus akademischen Kreisen habe es immer wieder Versuche gegeben, Hitler als Revolutionär oder die NSDAP als sozialistisch darzustellen.
Dann verschwand dieses falsche Narrativ erst einmal weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs. Bis es unter anderem durch Erika Steinbach und in jüngster Zeit vor allem durch die AfD wiederbelebt wurde.
Mit welchem Ziel verbreiten Rechtspopulisten solche Geschichtsfälschungen?
Die Behauptung, die Nationalsozialisten seien links gewesen, sei Teil einer sogenannten historisch-fiktionalen Gegenerzählung, so Jakob Schergaut vom Projekt „Geschichten statt Mythen“. „In dieser haben die Alliierten eigentlich Deutschland den Krieg erklärt, die Nazis waren eigentlich links und der Holocaust hat nicht stattgefunden.“
Diese Form der Geschichtsverfälschung ziele darauf ab, „die politische Rechte für die Gegenwart zu rehabilitieren und damit auch Politiken, die durch die Lehren aus dem Nationalsozialismus eigentlich tabuisiert sind, für die Gegenwart wieder denkbar zu machen“. Indem der Nationalsozialismus der politisch Linken zugeschrieben werde, solle die politisch Rechte für die Gegenwart „rehabilitiert“ und in gewisser Weise auch „entkriminalisiert“ werden.
Der Linken wird dabei eine Art diktatorischer Impetus zugesprochen, nach dem Motto: Ihr wollt uns vorschreiben, wie wir zu leben haben, genau wie das Hitler gemacht hat. In dieses Narrativ passen auch Bezeichnungen wie beispielsweise „Ökodiktatur“.
Die AfD etwa versuche, eine historische Kontinuität von staatlichen Eingriffen und Bevormundung zu konstruieren, so Schergaut. Dann versuche die Partei, sich so darzustellen, als sei sie „die einzige Oppositionskraft (…), die gegen diese historische Bevormundung und gegen diese staatlichen Eingriffe vorgehen würde“.
Wie lassen sich solche Falschbehauptungen schnell widerlegen?
Am besten schaut man in den Originalquellen nach: Adolf Hitler hat viel gesprochen, auch über sein Verhältnis zu Linken, zum Beispiel am 2. März 1933 im Berliner Sportpalast.
Damals sagte er: „Der Marxismus geht aus von dem Gedanken der Gleichheit der Lebewesen. Diese Lehre der Gleichheit der Menschen, der Rassen und der Individuen ist wissenschaftlich längst widerlegt und kann gar nicht gehalten werden. Sie ist irrsinnig. Sie ist praktisch nicht in der Wirklichkeit vorhanden.“
Adolf Hitler machte die Linke nicht nur als politischen Gegner aus, sondern geradezu als Feind. Er zeichnete ein hasserfülltes Bild von linken politischen Kräften, ließ Mitglieder linker Parteien und Gewerkschaften verhaften, foltern und ermorden. Es gehe also nicht nur um Textauslegungen, sagt die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum, „sondern es geht um 20.000 ermordete Kommunisten und Sozialisten, Anarchisten während der NS-Herrschaft“.
Was bedeutet – historisch hergeleitet – eigentlich rechts und links?
Zurückführen lassen sich die Begriffe auf die Französische Revolution, die erstmals die Gleichheit aller Menschen – zumindest theoretisch – festgeschrieben hat. „Dagegen hat von Anfang an eine politische Bewegung dagegengehalten, die auf die Ungleichwertigkeit der Menschen setzte“, so die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum.
Dass wir heute in der Politik von links und rechts sprechen, kommt von der Sitzverteilung in der französischen Nationalversammlung von 1789. Links saßen nämlich die Befürworter der Republik, die Veränderung wollten und Fortschritt. Rechts saßen die Konservativen, die das bestehende System bewahren wollten.
Was bedeutet Sozialismus?
Das Projekt des Sozialismus beruhe vereinfacht gesprochen auf dem „Gedanken der Gleichheit und möglichst auch Gerechtigkeit – und dass alle das Gleiche haben sollten, es weniger soziale Unterschiede geben sollte“, erläutert Schüler-Springorum.
Warum bezeichnete Hitlers Partei sich als „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“?
Der Name „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ ist also „eine Lüge“, sagt die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum. Gleichzeitig sei er „sehr schlau, weil er sich abgrenzt von den alten Eliten, von den morschen Knochen des deutschen Adels, von den Militärs, die die Niederlage 1918 verschuldet haben“. Der Name suggerierte: Wir sind die Jungen, wir gehen nach vorne, wir machen etwas anderes. Er beinhaltet also „die Abgrenzung nach rechts und das Einbeziehen dessen, was man als deutsches Volk bezeichnet“, so Schüler-Springorum. Man versuchte also sprachlich „in die Arbeiterklasse hineinzuwirken und sozusagen attraktiv zu werden, was am Ende teilweise, zumindest nach 1933, ein bisschen gelungen ist, aber auch nie ganz“.
In der Sozialpolitik gab es in den ersten Jahren des Nationalsozialismus zwar gewisse Anreize, beispielsweise durch die nationalsozialistische Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“. Doch die im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 versprochenen Verstaatlichungen oder Vergesellschaftungen hätten eigentlich nie stattgefunden, sagt Jakob Schergaut vom Projekt „Geschichten statt Mythen“. „Stattdessen hat man dann jüdische Unternehmer enteignet. Das heißt also, dieses vermeintlich sozialistische Programm, das gab es eigentlich so in dieser Form nicht, und das ist eigentlich ein Stück weit Reproduktion von NS-Propaganda, die so aber nicht in die Tat umgesetzt wurde.“
Stattdessen sei die Partei durch eine „Allianz aus Konservativen, Großgrundbesitzern, Schwerindustrie und Reichswehr überhaupt erst an die Macht gehievt“ worden, betont Schüler-Springorum.
Die Nationalsozialisten schmeichelten sich erst mal bei der Arbeiterschaft ein. Zum Beispiel erfüllten sie einen lang gehegten Wunsch der Gewerkschaften: Sie machten den 1. Mai zum Tag der Arbeit, also zum bezahlten Staatsfeiertag. Doch nur einen Tag später, am 2. Mai 1933, zerschlugen die Nazis die Gewerkschaften. Nationalsozialistische Schlägertrupps überfielen Gewerkschaftshäuser, verwüsteten und plünderten, hissten vor den Gebäuden Hakenkreuzflaggen, verprügelten und demütigten Gewerkschafter. Viele verschwanden in Folterkellern und Konzentrationslagern. Manche wurden an Ort und Stelle ermordet. Es war das Ende der freien Gewerkschaften in Deutschland.
Audio: Christian Röther und Jörg Biesler, Onlinetext: Leila Knüppel