Klaus Remme: Bis gestern abend 21 Uhr unserer Zeit hatten die Wähler in Ägypten Zeit, ihre Stimme abzugeben bei den Präsidentschaftswahlen. Hosni Mubarak tritt noch einmal an für eine weitere Amtszeit. Doch zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hatte er Mitbewerber. Insofern kann man durchaus in Ägypten, mit Blick auf Ägypten, von einer Demokratisierung sprechen. Wir haben vor zwei Stunden den ägyptischen Politologen Amr Hamzawy in Washington erreicht. Er arbeitet dort als Politikwissenschaftler für die Carnegie Endowment for International Peace, eine Art Denkfabrik wie viele in Washington. Ich habe ihn eingangs gefragt, ob er aus seinen Quellen schon etwas über die Wahlbeteiligung weiß.
Amr Hamzawy: Es gibt lediglich einige Erstmeldungen aus Kairo, die sowohl von der regierenden Partei, von der NDP, wie auch von den Oppositions-Parteien bekannt gegeben wurden in den letzten Stunden. Im Hinblick auf die Wahlbeteiligung geht die regierende Partei von 40 bis 60 Prozent aus.
Remme: Ist das viel?
Hamzawy: Oppositionsparteien gehen von 10 bis 15 Prozent aus. Wir befürchten, dass wir im Moment noch etwas warten müssen, bis wir etwas genauer wissen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl in Ägypten lag die Beteiligung unter 20 Prozent. Ich glaube, dass die NDP-Einschätzung etwas übertrieben ist.
Remme: Herr Hamzawy, erstmals gab es bei Präsidentschaftswahlen - ich habe es gesagt - mehrere Bewerber. Wie viel demokratische Substanz steckt dahinter?
Hamzawy: Wenig. Ich glaube, es ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, es ist sicherlich richtige Entwicklung in Ägypten, aber weit weg von ernsthafter demokratischer Substanz. Wir haben, wie Sie bereits angemerkt haben, bereits vor den Wahlen gewusst, dass der Amtsinhaber Hosni Mubarak die Wahlen gewinnen wird. Unter den neuen Oppositionsbewerbern waren nur zwei ernst zu nehmen, von der liberalen Wafd-Partei Noaman Gomaa, und von der neuen, ebenfalls liberalen Partei Al-Ghad Eiman Nur. Abgesehen von den beiden waren die anderen Kandidaten unbekannte Politiker, die die Ägypter vor der Wahlkampagne nicht kannten. Auf der anderen Seite hat es auch mehrere Einschränkungen gegeben, die vom Staat, von der Regierung auf den Weg der Oppositionskandidaten gelegt wurden und die auch eben letztendlich zu einer unausgeglichenen Wahlkampagne oder Phase vor den Wahlen geführt hat.
Remme: Herr Hamzawy, wir haben trotzdem gestern Ungewöhnliches beobachten können - zumindest für ägyptische Verhältnisse. Noch während die Wahl vor sich ging, haben trotz Versammlungsverbot mehrere Tausend Menschen demonstriert. Und zwar sind sie einem Aufruf der Oppositionsgruppe Kifeia gefolgt. Heißt das, da ist etwas am aufbrechen?
Hamzawy: Es gibt sicherlich eine neue Dynamik in der ägyptischen Politiksphäre. Diese neue Dynamik entstand nach der Initiative Mubaraks die Verfassung zu modifizieren, um eben pluralistische Präsidentschaftswahlen zu erlauben. Diese neue Bewegung hat auch sehr viel mit so genannter außerparlamentarischer Opposition zu tun. Wir sollten das aber nicht überschätzen. Das, was gestern zu Stande gekommen ist, das waren - so weit ich informiert bin - mehrere Hunderte. Es kam zu den gleichen Praktiken der Sicherheitskräfte, die - etwas versteckt - die Demonstranten angegriffen haben. Also weiterhin ist es das gleiche Spiel unter den gleichen Vorzeichen mit einer neuen Dynamik, die mittelfristig, langfristig sicherlich zu Veränderungen führen wird. Entscheidend sind aber die kommenden zwei, drei Monate. Mubarak wird gewählt, wird allerdings gewählt ohne eine klare Mehrheit der Ägypter. Das heißt, er hat in den kommenden drei, vier Monaten ein neues Programm zu artikulieren, indem er auch auf die Oppositionsforderungen eingeht und hoffentlich einen neuen nationalen Dialog einleitet.
Remme: Wie groß ist die Gefahr des militanten Islamismus in Ägypten?
Hamzawy: Sehr gering. Ich glaube, es ist viel wichtiger im Moment auf die moderaten Stimmen innerhalb des islamistischen Spektrums zu achten. Die Moslembruderschaft hat vor den Wahlen bereits ihre Anhängerschaft, die Ägypter im Grunde genommen dazu aufgerufen, sich an den Wahlen zu beteiligen. Sie haben das auch gestern klar demonstriert, die Führung der Moslembruderschaft. Ich glaube, im Moment geht es der Opposition vor allem darum, das ernsthafte politische Reformen eingeleitet werden. Dafür brauchen wir einen neuen nationalen Dialog in Ägypten, der nur unter Federführung des alten neuen Präsidenten eingeleitet werden kann. Hoffentlich diesmal etwas ernster. Wir hatten so einen Dialog in den letzten zwei Jahren gehabt, aber das war sehr unausgeglichen und wurde von der NDP, von der regierenden Partei, dominiert und führte leider nicht zu den erhofften Ergebnissen.
Remme: Herr Hamzawy, wenn wir einmal über die Grenzen hinausblicken: Wir hatten gewaltige Demonstrationen im Libanon, wir haben Wahlen - zumindest scheinbar - in Saudi-Arabien, jetzt diese in Ägypten. Ist das ein organisierter, ein zusammenhängender Prozess?
Hamzawy: Doch sicherlich. Nur ganz kurz nebenbei angemerkt, die Wahlen in Saudi-Arabien waren ernsthaft. Ich glaube, dass insgesamt im nahen Osten sich die politische Lage verändert. Ich warne aber davor, dass wir voreilig die Veränderungen im Nahen Osten als einen arabischen Frühling interpretieren. Es gibt unterschiedliche Anzeichen, dass es vielleicht in Richtung politischer Öffnung gehen kann; es gibt aber auch Hindernisse. Und Ägypten ist ein Paradebeispiel dafür - Sie sehen ja, wenn Sie den gestrigen Tag beobachten, sehen Sie Anzeichen für beide potenziellen Entwicklungen. Es gilt weiterhin, dass wir das Hauptaugenmerk auf die Dynamik richten und dabei auch auf die Akteure achten, nicht nur Regierung, sondern auch Opposition und hoffen, dass die Veränderungen, die im Moment im Gange sind, zu einer Veränderung in der politischen Kultur der arabischen Staaten führt. Denn nur, wenn die politische Kultur in Richtung Wahlbeteiligung, in Richtung Teilnahme an den politischen Prozessen geht, kann von einem demokratischen Wandel ausgegangen werden oder kann auf jeden Fall gehofft werden, dass es bald der Fall sein wird.
Remme: Der ägyptische Politikwissenschaftler Amr Hamzawy.
Amr Hamzawy: Es gibt lediglich einige Erstmeldungen aus Kairo, die sowohl von der regierenden Partei, von der NDP, wie auch von den Oppositions-Parteien bekannt gegeben wurden in den letzten Stunden. Im Hinblick auf die Wahlbeteiligung geht die regierende Partei von 40 bis 60 Prozent aus.
Remme: Ist das viel?
Hamzawy: Oppositionsparteien gehen von 10 bis 15 Prozent aus. Wir befürchten, dass wir im Moment noch etwas warten müssen, bis wir etwas genauer wissen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl in Ägypten lag die Beteiligung unter 20 Prozent. Ich glaube, dass die NDP-Einschätzung etwas übertrieben ist.
Remme: Herr Hamzawy, erstmals gab es bei Präsidentschaftswahlen - ich habe es gesagt - mehrere Bewerber. Wie viel demokratische Substanz steckt dahinter?
Hamzawy: Wenig. Ich glaube, es ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, es ist sicherlich richtige Entwicklung in Ägypten, aber weit weg von ernsthafter demokratischer Substanz. Wir haben, wie Sie bereits angemerkt haben, bereits vor den Wahlen gewusst, dass der Amtsinhaber Hosni Mubarak die Wahlen gewinnen wird. Unter den neuen Oppositionsbewerbern waren nur zwei ernst zu nehmen, von der liberalen Wafd-Partei Noaman Gomaa, und von der neuen, ebenfalls liberalen Partei Al-Ghad Eiman Nur. Abgesehen von den beiden waren die anderen Kandidaten unbekannte Politiker, die die Ägypter vor der Wahlkampagne nicht kannten. Auf der anderen Seite hat es auch mehrere Einschränkungen gegeben, die vom Staat, von der Regierung auf den Weg der Oppositionskandidaten gelegt wurden und die auch eben letztendlich zu einer unausgeglichenen Wahlkampagne oder Phase vor den Wahlen geführt hat.
Remme: Herr Hamzawy, wir haben trotzdem gestern Ungewöhnliches beobachten können - zumindest für ägyptische Verhältnisse. Noch während die Wahl vor sich ging, haben trotz Versammlungsverbot mehrere Tausend Menschen demonstriert. Und zwar sind sie einem Aufruf der Oppositionsgruppe Kifeia gefolgt. Heißt das, da ist etwas am aufbrechen?
Hamzawy: Es gibt sicherlich eine neue Dynamik in der ägyptischen Politiksphäre. Diese neue Dynamik entstand nach der Initiative Mubaraks die Verfassung zu modifizieren, um eben pluralistische Präsidentschaftswahlen zu erlauben. Diese neue Bewegung hat auch sehr viel mit so genannter außerparlamentarischer Opposition zu tun. Wir sollten das aber nicht überschätzen. Das, was gestern zu Stande gekommen ist, das waren - so weit ich informiert bin - mehrere Hunderte. Es kam zu den gleichen Praktiken der Sicherheitskräfte, die - etwas versteckt - die Demonstranten angegriffen haben. Also weiterhin ist es das gleiche Spiel unter den gleichen Vorzeichen mit einer neuen Dynamik, die mittelfristig, langfristig sicherlich zu Veränderungen führen wird. Entscheidend sind aber die kommenden zwei, drei Monate. Mubarak wird gewählt, wird allerdings gewählt ohne eine klare Mehrheit der Ägypter. Das heißt, er hat in den kommenden drei, vier Monaten ein neues Programm zu artikulieren, indem er auch auf die Oppositionsforderungen eingeht und hoffentlich einen neuen nationalen Dialog einleitet.
Remme: Wie groß ist die Gefahr des militanten Islamismus in Ägypten?
Hamzawy: Sehr gering. Ich glaube, es ist viel wichtiger im Moment auf die moderaten Stimmen innerhalb des islamistischen Spektrums zu achten. Die Moslembruderschaft hat vor den Wahlen bereits ihre Anhängerschaft, die Ägypter im Grunde genommen dazu aufgerufen, sich an den Wahlen zu beteiligen. Sie haben das auch gestern klar demonstriert, die Führung der Moslembruderschaft. Ich glaube, im Moment geht es der Opposition vor allem darum, das ernsthafte politische Reformen eingeleitet werden. Dafür brauchen wir einen neuen nationalen Dialog in Ägypten, der nur unter Federführung des alten neuen Präsidenten eingeleitet werden kann. Hoffentlich diesmal etwas ernster. Wir hatten so einen Dialog in den letzten zwei Jahren gehabt, aber das war sehr unausgeglichen und wurde von der NDP, von der regierenden Partei, dominiert und führte leider nicht zu den erhofften Ergebnissen.
Remme: Herr Hamzawy, wenn wir einmal über die Grenzen hinausblicken: Wir hatten gewaltige Demonstrationen im Libanon, wir haben Wahlen - zumindest scheinbar - in Saudi-Arabien, jetzt diese in Ägypten. Ist das ein organisierter, ein zusammenhängender Prozess?
Hamzawy: Doch sicherlich. Nur ganz kurz nebenbei angemerkt, die Wahlen in Saudi-Arabien waren ernsthaft. Ich glaube, dass insgesamt im nahen Osten sich die politische Lage verändert. Ich warne aber davor, dass wir voreilig die Veränderungen im Nahen Osten als einen arabischen Frühling interpretieren. Es gibt unterschiedliche Anzeichen, dass es vielleicht in Richtung politischer Öffnung gehen kann; es gibt aber auch Hindernisse. Und Ägypten ist ein Paradebeispiel dafür - Sie sehen ja, wenn Sie den gestrigen Tag beobachten, sehen Sie Anzeichen für beide potenziellen Entwicklungen. Es gilt weiterhin, dass wir das Hauptaugenmerk auf die Dynamik richten und dabei auch auf die Akteure achten, nicht nur Regierung, sondern auch Opposition und hoffen, dass die Veränderungen, die im Moment im Gange sind, zu einer Veränderung in der politischen Kultur der arabischen Staaten führt. Denn nur, wenn die politische Kultur in Richtung Wahlbeteiligung, in Richtung Teilnahme an den politischen Prozessen geht, kann von einem demokratischen Wandel ausgegangen werden oder kann auf jeden Fall gehofft werden, dass es bald der Fall sein wird.
Remme: Der ägyptische Politikwissenschaftler Amr Hamzawy.