
Fünf – so viele Jüdinnen gibt es offiziell noch in Kairo. Fünf Ägypterinnen im Rentenalter, die meisten mit Rollstuhl oder Rollator. Sie sind die letzten einer einst blühenden jüdischen Gemeinde, die fester Bestandteil Kairos war. Magda Haroun ist die Vorsitzende der Frauenrunde – weil sie die Jüngste ist. Mit 66 Jahren:
"Ich weiß noch als Kind, wie das war: Wenn ich in die Synagoge gekommen bin, war sie immer voller Leben, voller Freude. Wir sind mit den anderen Kindern durch die Synagoge gerannt wie wild."
Heute gibt es noch zwölf Synagogen in Kairo, sagt Magda Haroun – das Kinderlachen ist längst verhallt. Dafür bewachen jetzt schwer bewaffnete Militärs die Eingänge. Rein kommt man nur mit Voranmeldung und Genehmigung. Magda Haroun mag das nicht - wenn es nach ihr ginge, würden die Synagogen zu Kulturzentren mit Kunstausstellungen und Workshops. Aus Sicherheitsgründen sei das derzeit aber nicht möglich, heißt es immer wieder von der ägyptischen Regierung.
Werbung für das jüdische Erbe
Magda Haroun wirbt unterdessen für das jüdische Erbe Ägyptens: Sie schreibt Bücher und spricht im Fernsehen darüber, wie es ist, eine ägyptische Jüdin zu sein. Vielleicht findet sich so ja eine Initiative oder ein Kulturkreis, der sich für den Erhalt der Synagogen in Kairo einsetzen wird, wenn sie es nicht mehr kann:
"Seitdem ich öffentlich in den Medien auftrete, fängt die jüngere Generation an zu realisieren, dass es noch Juden in Ägypten gibt und dass wir ein Vermächtnis zurücklassen: unsere Synagogen und Bibliotheken."
Trotzdem: In Zukunft wird das jüdische Leben in Ägypten wohl nur noch eine Erinnerung sein. Weil kaum zwischen Juden und Israelis unterschieden wurde, mussten sich ägyptische Juden seit Mitte des 20. Jahrhunderts entscheiden: für ihre Religion und die Auswanderung - oder für Ägypten, ihr Heimatland. Zehntausende sind damals gegangen - nach Israel oder in andere Länder. Hauptsache weg. Denn wer blieb, dem drohten Einschüchterungen, Festnahmen, Enteignungen. Und dann kam der Sechstagekrieg – unter anderem zwischen Ägypten und Israel.

"Am ersten Tag wurden alle männlichen Juden zwischen 18 und 60 festgenommen. Auch mein Vater", erinnert sich Magda Haroun. Wieder stellte man sie vor die Wahl: Auswandern oder möglicherweise in ägyptischen Internierungslagern verschwinden:
"In der ganzen Region – in Syrien, im Irak, in Jordanien wurden die Juden mit der Politik Israels gleichgesetzt. Das Leben wurde für uns von Tag zu Tag schwerer, deshalb sind die meisten aus der Gegend abgehauen."
Schabbat? "Ich bin doch nicht verrückt."
Magda Harouns Vater aber, ein Rechtsanwalt und Kommunist, ist geblieben. Wegen ihm ist sie noch immer in Ägypten und verwaltet das jüdische Erbe. Dabei ist sie nicht einmal religiös - das zu betonen, ist ihr wichtig. Jüdisch sein sei eine Frage der kulturellen Identität, und nicht der Religion:
"Alle diese Geschichten in der Bibel und der Torah - die sind doch alle nicht wahr. Ich weiß, dass Gott existiert, daran glaube ich. Die Religionen aber wurden nur eingeführt, um die Menschen zu organisieren."
Der Jüdische Weltkongress schickt den fünf Damen in Kairo regelmäßig koscheres Essen, auf das Magda Haroun allerdings gerne verzichtet:
"Ich verstehe nicht, warum die Juden keine Shrimps und keinen Schinken essen."
Auch andere Gebote des Judentums missachtet sie:
"Ob ich den Schabat halte? Natürlich nicht. Ich bin doch nicht verrückt. Ich kann noch nicht mal fasten, wegen der Zigaretten. Ich rauche sehr viel. "
"Der letzte Dinosaurier"
Das jüdische Leben in Kairo spielt sich trotzdem an Feiertagen ab, auch wenn die nicht immer jüdisch sind:
"Wir treffen uns zum Ramadan, zum Weihnachtsessen, und auch zum Pessach-Fest. Aber unsere Damen sind alt. Die meisten von ihnen können nicht einmal mehr laufen. Früher haben wir einmal im Monat ein Mittagessen veranstaltet. Jetzt sterben sie, eine nach der anderen."
Seit mehr als 2.000 Jahren leben Juden in Ägypten - zu wissen, dass ihr Tod möglicherweise diese Ära beendet, ist für Magda Haroun ein merkwürdiges Gefühl:
"Es ist ein bisschen so, als wärst du der letzte Dinosaurier, die letzte deiner Spezies. Aber man gewöhnt sich dran. Was bleibt mir auch anderes übrig?"