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Änderungen beim Bachelor
"Individualisiertes Studieren soll möglich sein"

Das Bachelor-Studium dürfe "nicht nur ein Abfüttern von Studieninhalten sein", forderte Holger Burckhart, Rektor der Uni Siegen, im Interview mit dem DLF. Als Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz hat er gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz Ideen für eine Reform des Bachelor-Studiums erarbeitet. Wesentliche Ziele seien "Flexibilisierung und Individualisierung".

Holger Burckhart im Gespräch mit Michael Böddeker | 12.05.2016
    Bachelor- und Masterabsolventen der "Hamburg School of Business Administration" warten am 02.10.2013 in Hamburg in der Handelskammer auf ihre Urkunden.
    Beim Bachelor müssten "länderspezifische Regelungen zugunsten von europaweiten Regelungen angepasst und weiterentwickelt werden", sagte der Vizepräsident für Lehre und Studium in der Hochschulrektorenkonferenz, Holger Burckhart, im DLF. (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    Michael Böddeker: Das Bachelorstudium steht in der Kritik, und das eigentlich schon seit der Einführung durch die Bologna-Reform. Der Abschluss gilt zwar als berufsqualifizierend, aber viele sagen, es sei nur ein Schmalspurstudium – zu verschult und zu viel Inhalt, der in die paar Jahre Studium gepresst wurde. Jetzt soll der Bachelor überarbeitet werden. Dazu haben die Kultusministerkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz ein Papier mit Vorschlägen erarbeitet. Aufseiten der Hochschulrektoren war daran Holger Burckhart beteiligt, er ist Rektor der Uni Siegen, und mit ihm spreche ich jetzt. Guten Tag, Herr Burckhart!
    Holger Burckhart: Guten Tag, Herr Böddeker!
    "Bachelor-Studium soll flexibler gestaltet werden"
    Böddeker: Herr Burckhart, was genau soll sich denn jetzt ändern beim Bachelor?
    Burckhart: Es sind verschiedene Dinge, die wir thematisieren: Einmal grundsätzlich soll das Bachelorstudium flexibler gestaltet werden als es im Moment ist – das reagiert auf diesen Verschulungsvorwurf –, und es soll individualisierter Studieren möglich sein – das reagiert auf die Übersättigung mit Inhalten.
    Konkret soll es so aussehen, dass wir die Flexibilisierung der Vorgaben, die im Moment drei Player ins Spiel bringen … nämlich auf der Bundesebene die KMK, die sogenannten Länder gemeinsamen Vorgaben, die regeln zum Beispiel 180-120-Regelung, also 180 Credits für den Bachelor, 120 für den Master, als ein Beispiel. Dann gibt es aber auch länderspezifische Vorgaben, wie denn Module zum Beispiel im Einzelnen gestaltet werden können. Das ist ganz unterschiedlich bei den Ländern geregelt – in Nordrhein-Westfalen gar nicht, in anderen Ländern stärker. Das greift in die Studienverläufe ein.
    Wir haben eine dritte Ebene, dass wir den Zusammenhang von Persönlichkeit, Fachlichkeit und Beruflichkeit, dass wir den stärker nach vorne bringen möchten bei der Studiengangsgestaltung. Wenn wir jetzt aber die drei Player sehen, haben wir also die Bundesebene, wir haben die Länderebene und wir haben die Hochschulebene, sodass es uns ein Anliegen war, diese drei Player noch mal in ein Verhältnis zueinander zu setzen und zu sagen, was wir gebrauchen.
    "Studienverläufe müssen entschlackt werden"
    Als Allererstes ist das die Kleinstaaterei, also länderspezifische Regelungen müssen zugunsten von mindestens nationalstaatlichen, nein, eigentlich europaweiten Regelungen angepasst und weiterentwickelt werden. Das wäre eine wesentliche Erweiterung, würde dann auch die Mobilität fördern. Zweitens müssen – und hier werden auch die Hochschulen in die Pflicht genommen – Studienverläufe entschlackt werden.
    Das heißt wir müssen auf der einen Seite viel stärker die Möglichkeiten ergreifen, dass wir generellere Studienangebote in den ersten beiden Semestern anbieten, sodass die Studierenden sich dann im dritten und vierten Semester erst mal fachlich weiter orientieren, um dann im fünften Semester zu vertiefen, ob sie jetzt einen beruflichen Abschluss anstreben, also einen ersten Abschluss und dann in den Beruf gehen wollen, oder ob sie weiterstudieren wollen. Das ist so der ganz große Rahmen erst mal.
    Böddeker: Das bedeutet also, dass die Studierenden in den ersten paar Semestern auch mehr Auswahl haben, dass sie vielleicht auch mal sich andere Vorlesungen anschauen können oder sich noch ein bisschen orientieren können. Ist das das Ziel?
    Burckhart: Das ist genau das Ziel, Herr Böddeker, das ist genau das Ziel: die Erhöhung von Wahlmöglichkeiten. Das bedeutet ja nicht den Verlust von Spezialisierung, sondern es bedeutet, den Studierenden zunächst mal in den ersten beiden Semestern Zeit zu geben, sich zu orientieren. Hier empfehlen wir dann zum Beispiel, Leistungen weiterhin zu bewerten, damit die Studierenden sich über ihr Leistungsvermögen orientieren, aber diese Benotungen nicht in die Endnote einfließen zu lassen, sondern erst ab dem dritten Semester endnotenrelevante Prüfungen zu machen, um den Studierenden eben auch hier im Hintergrund sozusagen von dem eigenen Leistungsanspruch Freiräume zu lassen, dass sie nicht gleich unter diesem Prüfungsstress stehen.
    "Studierenden Freiraum geben für interdisziplinäre Studien"
    Böddeker: Bedeutet das denn auch, dass es weiterhin Noten geben soll, denn es war auch die Rede davon, dass vielleicht Noten erst mal ausgesetzt werden und es nur ein Bestanden oder Nichtbestanden geben sollte?
    Burckhart: Das wäre mein Ziel. Ich habe das auch so vorgeschlagen – nur Bestanden und Nichtbestanden –, aber es waren durchaus die studentischen Vertreter, auch im Ausschuss, die gesagt haben, eine Note widerzuspiegeln, wenn sie nicht endnotenrelevant ist, ist eine sinnvolle Sache, und insofern wollen wir das gesamte Spektrum, werden wir anbieten, zu sagen, Bestanden, Nichtbestanden bis hin zu präzisierenden Noten.
    Das ist auch fachdisziplinär unterschiedlich. Die Kultur- und Geisteswissenschaften sagen eher Bestanden, Nichtbestanden, die Ingenieur- und Naturwissenschaften wollten eher klare Noten, aber Einigkeit bestand darin, die ersten beiden Semester nicht für die Endnote relevant werden zu lassen. Das finde ich einen wesentlichen Punkt, dass die Studierenden sich hier auch wirklich orientieren noch einmal, sich die Zeit nehmen.
    Was wir auch wollen, ist, für alle Studiengänge, dass es ausgeschöpft wird, dass bis zu zehn Prozent eines Studienanteils, über 180 Credits, also bis zu zehn Prozent des Studiums den Studierenden Freiraum gegeben wird für interdisziplinäre Studien oder für ethische Reflexion oder für gesellschaftliche Reflexion in ihren Studiengängen, dass diese Möglichkeiten ausgeschöpft werden, darauf legen wir noch einmal besonderen Wert und weisen noch mal besonders drauf hin.
    "Individuelle Wahlmöglichkeiten durch Ausweitung von Wahlangeboten"
    Böddeker: Wo wir gerade schon beim Thema Noten waren: Es ist auch die Rede davon, dass im Abschlusszeugnis ehrlichere Noten hineinkommen sollen. Viele Fächer haben ja über die Jahre sehr unterschiedliche Standards entwickelt – Juristen und Naturwissenschaftler zum Beispiel –, was denn eine 1 bedeutet. Wie ließe sich das denn so gestalten, dass man dann dem Zeugnis entnehmen kann, wie gut oder wie schlecht jemand im Vergleich mit anderen Studierenden ist?
    Burckhart: Zunächst kommen wir natürlich bei der individuellen Notenvergabe an die Grenzen unserer Einflussmöglichkeiten. Das muss jedem Lehrenden selber überlassen werden, aber was wir natürlich können: Wir können Kohorten vergleichen. Wir können zum Beispiel sagen, an der Uni X oder an der Hochschule X ist das Notenspektrum im Bereich des Faches Y im Wesentlichen zwischen 1,0 und 2,0, während es an der Uni Z im gleichen Fächerkanon gespreizt ist zwischen 1 und 4 und zwar verteilt so und so, also indem wir die Note in den Kontext setzen, wie die Kohorten sich verteilen an den jeweiligen Universitäten.
    Böddeker: Also mehr Flexibilität im Studium, auch bei den Noten mehr Möglichkeiten. Was ist denn das Ziel hinter all diesen Änderungsvorschlägen? Soll einfach der Druck auf die Studierenden geringer werden?
    Burckhart: Jawohl. Also mein Ziel, als ich in diese Kommission gegangen bin, beziehungsweise ich gehöre zu ihren Begründern, habe gesagt, wir sollten uns mal außerhalb von Streiks mit der Studiensituation jetzt, wo wir gute 15 Jahre im System sind, befassen und fragen, wie wir im europäischen und im binnennationalen Raum überhaupt dastehen. Und die beiden wesentlichen Punkte für mich waren Flexibilisierung und Individualisierung.
    Flexibilisierung der Vorgaben – es muss gewisse Vorgaben geben, sonst können Studierende nicht mehr die Studiengänge wechseln, Studienorte wechseln etc., –aber es muss auch individuelle Studienverläufe, der student life cycle muss individualisiert werden, und es darf nicht nur ein Abfüttern von Studieninhalten sein.
    Hierzu sind eben so Dinge wie ein Studium Generale, größere Module, in denen die Studierenden dann individuelle Wahlmöglichkeiten haben durch Ausweitung von Wahlangeboten und so weiter, sind die probaten Instrumente, die wir hier noch mal mit Nachdruck betonen in dem Papier.
    "Die jetzige Studentengeneration soll davon noch einen Vorteil haben"
    Böddeker: Diese Ideen haben ja jetzt die Hochschulrektoren gemeinsam mit den zuständigen Ministerien der Länder bearbeitet, die haben ja in Sachen Bildung auch das Sagen, insofern könnten die Chancen ja eigentlich ganz gut aussehen, dass das auch umgesetzt wird. Was glauben Sie, wann sich da konkret für Studierende etwas ändern könnte?
    Burckhart: Ich hoffe, dass das Papier den Druck erzeugt, dass wir im Laufe des nächsten Jahres gleich bereits erste Umsetzungsschritte sehen, dass die Länder sich gemeinsam mit den Hochschulen, sowohl die Bundesländer als wir uns auch als KMK und HRK, gemeinsam jetzt zusammensetzen und sagen, wie operationalisieren wir jetzt diese gemeinsamen Ziele, und zwar so, dass die jetzige Studentengeneration davon noch einen Vorteil hat. Das ist mein ehrgeiziges Ziel in der Sache.
    Böddeker: Sagt Holger Burckhart, Rektor der Uni Siegen und Vizepräsident für Lehre und Studium in der Hochschulrektorenkonferenz HRK, die hat gerade zusammen mit der Kultusministerkonferenz KMK Ideen für eine Reform des Bachelorstudiums erarbeitet. Vielen Dank für das Gespräch!
    Burckhart: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.