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Änderungen für Paketboten
"An den Ursachen vorbei"

Die Große Koalition will die Arbeitsbedingungen für Paketboten verbessern - doch die geplante Gesetzesänderung bringt nach Einschätzung des AfD-Politikers Kay Gottschalk keine Linderung. Er sieht das Grundproblem in der Freizügigkeit für Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union.

Kay Gottschalk im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 15.05.2019
Kay Gottschalk, AfD
Das geplante Gesetz für die Verbesserung in der Paketbranche hält Kay Gottschalk für weniger sinnvoll (dpa)
Jörg Münchenberg: Nach der jüngsten Steuerschätzung ist das Regieren nicht leichter geworden. Im Gegenteil! Die Steuereinnahmen sprudeln nicht mehr so kräftig, wie ursprünglich erwartet, was wiederum bedeutet, Union und SPD müssen Prioritäten setzen. Für die SPD heißt das konkret Grundrente; für die Union etwa komplette Abschaffung des Soli. Gestritten wurde aber auch noch über soziale Verbesserungen für die Auslieferer von Paketen und Päckchen, die vielfach ausgebeutet werden, und immerhin hier gab es beim gestrigen Koalitionstreffen eine Einigung. Am Telefon ist jetzt der AfD-Parteivize und Finanzexperte Kay Gottschalk. Herr Gottschalk, einen schönen guten Morgen.
Kay Gottschalk: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Gottschalk, kann die Koalition trotz Wahlkampf doch noch regieren?
Gottschalk: Ich wage das zu bezweifeln, weil die Baustellen sind sehr vielfältig. Einige sind im Bericht genannt worden. Wir haben weiterhin das Thema der Grundsteuer, das nicht gelöst ist, und letztlich ist auch hier der Paketdienst nicht entlastet. Und wenn ich dann höre, die Unternehmer sollen entlastet werden, gleichzeitig gestern der EuGH beschließt quasi eine Stechuhr-Pflicht für alle Unternehmer, dann sind das doch hier Placebos fürs Volk, die verteilt werden.
Münchenberg: Aber auf der anderen Seite: Es soll jetzt einen besseren sozialen Schutz für Paketdienstleister geben. Das ist doch eine gute Nachricht, denn dort wird vielfach der Mindestlohn gar nicht gezahlt, die werden ausgebeutet.
Gottschalk: Das ist richtig. Aber man geht wie immer an den Symptomen und den Ursachen vorbei. Die Ursache ist – Sie haben die Studie, glaube ich, nicht angesprochen -, dass wir eine Prüfung von über 3.000 Zollbeamten in den letzten Wochen hatten. 17 Prozent der Paketzusteller waren dort von Ungereimtheiten betroffen. Ein Hauptproblem unter anderem sind Schwarzgeldzahlungen, Sozialleistungsbetrug und ein hoher Konkurrenzdruck aus Osteuropa. Das heißt, das Grundproblem wie bei vielen Dingen, die uns umtreiben, ist: Ich fasse eine heilige Kuh an, die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Da muss man sicherlich über bestimmte Dinge – wir haben es auch in der letzten Woche bei einer Anhörung gehabt zur Finanzkontrolle und zur Eindämmung von Sozialleistungsbetrug und Schwarzarbeit, was ja als Gesetz auch jetzt vorliegt der Bundesregierung; man hat sich mit den Realitäten befasst, dass in vielen Städten betrogen wird …
"An den eigentlichen Problemen nichts geändert"
Münchenberg: Herr Gottschalk! Ist der Punkt nicht trotzdem der, dass die großen Dienstleister gerne die Verantwortung auf kleinere Subunternehmen auslagern, die dann einfach nicht kontrolliert werden? Und hier soll ja eine Art Haftung geschaffen werden.
Gottschalk: Da bin ich bei Ihnen. Aber nochmals: Die Symptome! Und wenn ich Ihnen die Ursachen nenne, dann ist das ein kleiner Punkt von vielen. Aber tatsächlich wird an den eigentlichen Problemen nichts geändert, die uns auch in anderen Bereichen immer wieder verfolgen. Darum geht es in der Sache. Es nützt nichts, neue Gesetze einzuführen, die dann am Ende des Tages in der Branche selbst wahrscheinlich gar keine Linderung bringen werden.
Münchenberg: Das heißt, die AfD wird jetzt einen besseren Schutz bei den Paketdienstleistern nicht unterstützen?
Gottschalk: Das wird sie sicherlich tun. Aber sie wird den Finger in die Wunde legen und wir wollen eigentlich Ursachen bekämpfen und nicht Symptome lindern.
Münchenberg: Nun streitet die Koalition ja auch insgesamt über die Prioritäten bei den Ausgaben. Wie groß ist denn jetzt noch der Spielraum, angesichts niedrigerer Steuereinnahmen? Da geht es ja immerhin allein für den Bund um gut zehn Milliarden in der mittelfristigen Finanzplanung.
Gottschalk: Das ist richtig, wobei ich immer dann betonen möchte: Die Menschen, wenn sie das draußen hören, denken, wir nehmen weniger ein. In der Tat nehmen wir aber mehr ein. Es sind nur weniger Mehreinnahmen. Das heißt, es wird ja über eine dramatische Kassenlage gesprochen. Wir haben in 2019 nach Schätzung knapp zwei Milliarden mehr Steuereinnahmen beim Bund, nur beim Bund, als jetzt der Fall sein wird. Das heißt, wir haben Mehreinnahmen. Das muss man erst mal konstatieren an der Stelle.
Zweitens ist das darauf zurückzuführen, dass natürlich großzügig auch schon in den letzten Jahren Geschenke verteilt worden sind. Ich habe in meinen Haushaltsreden immer darauf aufmerksam gemacht, es wäre jetzt an der Zeit, Einsparungen vorzunehmen, Reserven zu bilden und nicht mit dem Füllhorn übers Land zu gehen. Aber das ist eigentlich immer der gleiche Modus Vivendi der Altparteien, dass man sagt, an der Stelle machen wir Geschenke fürs Volk - ob sie wirksam sind oder nicht, das sehe ich ja in den Ausschüssen, wird gar nicht bemessen, dass man mal fragt, wirkt auch das, was wir tun, kommt es dort an, was wir tun, oder ist es doch die Gießkanne und ein bisschen Galeriedonner fürs Volk. An der Stelle hat die Regierung selber schuld!
Abschaffung des Soli
Münchenberg: Herr Gottschalk, lassen Sie uns das doch mal an einem Punkt festmachen, zum Beispiel Abschaffung des Soli. Ist denn eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages überhaupt vorstellbar, wenn die Steuereinnahmen doch weniger deutlich ausfallen als erwartet?
Gottschalk: Exakt das habe ich auch in meiner Rede im Herbst gesagt: Warten Sie ab, die Konjunktur wird sich abkühlen und dann wird es vielleicht sogar mit dem Ziel, 2021 zunächst mal 90 Prozent der Steuerzahler zu entlasten – die andere Hälfte beziehungsweise die zehn Prozent, die die andere Hälfte von zehn Milliarden des Soli aufbringen, die wird ja gar nicht entsprechend entlastet …
Münchenberg: Aber die Koalition hält ja an ihrem ursprünglichen Beschluss fest, dass man sagt, 90 Prozent sollen erst mal entlastet werden.
Gottschalk: Richtig. Und wir haben von Anfang an den Antrag gestellt, bitte schön den Soli komplett zum 1. 1. 2019 abzuschaffen, und das wäre auch machbar, wenn man allein Studien liest. 300 Milliarden Steuereinnahmen gehen durch Schwarzarbeit und Sozialleistungsbetrug verloren. Wenn man dann weiß – ich habe hier gerade eine EU-Studie vom Europäischen Parlament vorliegen -, wir haben europaweit 835 Milliarden Euro Steuerverlust durch Finanzkriminalität und Steuerhinterziehung, bedingt durch die EU, die uns ja nur Vorteile bringt, wenn wir den Kolleginnen und Kollegen hier in Berlin lauschen dürfen. Dann müssen wir an der Stelle ganz einfach mal bestimmte Dinge, die als Grundvoraussetzung hier angenommen werden, als anscheinend Grundkoordinaten, hinterfragen.
Münchenberg: Die Frage ist natürlich, ob man hier alle Finanzprobleme auf die EU abschieben kann. – Eine komplette Abschaffung des Soli würde ja noch mal zehn Milliarden mehr kosten, und da würden vor allem die Top-Verdiener profitieren. Das wäre auch im Sinne der AfD?
Gottschalk: Ja, weil wir keinen Sozialneid schüren wollen und weil auch die Leistungen bringen, und ich möchte Investitionen halten. Zu diesen Top-Verdienern gehören dann auch mittelständische Unternehmen, die in Form einer Personengesellschaft geführt werden, die für viele Arbeitsplätze schaffen, die uns sehr gut aus der Bankenkrise geführt haben. Ich glaube, wir sind auf den Mittelstand stolz, und an der Stelle verbietet sich eine Neiddebatte, weil letztlich alle diesen Soli zahlen. Und dann sollten, wenn wir ihn abschaffen, auch alle davon profitieren. Ich denke, das ist ein klares Zeichen auch in einer Art von Steuergerechtigkeit. Was passiert, wenn man die Steuerschraube überdreht, das hat Frankreich und Monsieur Hollande wahrscheinlich gezeigt, als wir dann wirklich gesehen haben: Wenn man es übertreibt, dann haben wir auch entsprechend eine Kapitalflucht und vor allen Dingen haben wir dann auch wieder Anreize zur Steuerhinterziehung – das sind Allgemeinstudien -, wenn Steuersätze als zu hoch empfunden werden. Da gehören die Probleme schon zusammen, die müssen genannt werden.
Grundrente ohne Bedarfsprüfung
Münchenberg: Herr Gottschalk, lassen Sie uns noch mal bei der deutschen Innenpolitik bleiben. Die SPD fordert ja auch eine Einführung einer Grundrente ohne Bedarfsprüfung, was die Union bekanntlich ablehnt. Auch da geht es um Mehrkosten von mindestens fünf Milliarden. Wäre das Geld trotzdem gut finanziert?
Gottschalk: Ja! Ich denke, es ist interessant, dass mittlerweile unsere Forderungen sogar bei der großen alten Dame SPD, die so groß ja gar nicht mehr ist, ankommen. Interessant ist nur, wenn die SPD so was fordert, dann setzt man sich kritisch auseinander. Wir haben schon weit im Vorfeld, weil wir uns ja mit der Rente jetzt befassen werden, mit dem Thema, solche Dinge gefordert und da ist das als Populismus abgetan worden, ist auch als Problem nicht gesehen worden. Es ist begrüßenswert, wenn Menschen, die 35 Jahre und mehr gearbeitet haben, oder Mindestlohn bekommen haben, dann eine Rente nach Schätzung von 961 Euro zukünftig bekommen sollen.
Münchenberg: Auch ohne Bedarfsprüfung? Das ist ja der Streitpunkt zwischen Union und SPD.
Gottschalk: Das sollen bitte schön die Koalitionäre prüfen. Wir werden ein eigenes Modell vorlegen. Die Richtung jedenfalls stimmt: Arbeit muss sich lohnen, auch langjährige Arbeit, und es muss ein Abstandsgebot geben, wenn jemand sich für unsere Gesellschaft über 35, 40 Jahre nicht eingesetzt hat, zu dem, der 35 bis 40 Jahre Beiträge geleistet hat. Ich glaube, das ist eine Selbstverständlichkeit, und auch das gehört zur sozialen Marktwirtschaft dazu.
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Bislang gibt es ja kein einheitliches Rentenkonzept der AfD.
Gottschalk: Das werden wir liefern, weil das soll handwerklich und ordentlich sein. Das soll man von einer Partei, die es jetzt sechs Jahre gibt – das ist ja auch ein durchaus kompliziertes Unterfangen. Da wird immer eine Menge von uns verlangt, was die Altparteien vielleicht seit 1990, seit Herr Blüm sagte, die Renten seien sicher, und jeder wusste, das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, da verlangt man von uns an der Stelle eine ganze Menge.
Münchenberg: Immerhin sitzen Sie jetzt seit zwei Jahren im Bundestag.
Gottschalk: Ja! Deswegen werden wir es auch leisten. Wir sind eine große Partei mittlerweile geworden mit 16 Länderparlamenten, mit einer Satzungskommission und mittlerweile im Bundestag vertreten, und da müssen dann natürlich auch alle Interessen und Wünsche zusammengebracht werden, und wir wollen es seriös anfangen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.