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Ärger um Vertriebenenstiftung
"Kittel hat hervorragende Arbeit geleistet"

Der umstrittene Gründungsdirektor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung bekommt Rückendeckung von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Manfred Kittel habe hervorragende Arbeit geleistet, sagte Schmidt im DLF. Der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung dürfe keine Personal- oder Erpressungspolitik betreiben.

Christian Schmidt im Gespräch mit Thielko Grieß | 22.11.2014
    Der Direktor der Stiftung, Manfred Kittel, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (r, beide CDU) sehen sich am 11.06.2013 in Berlin zum Baubeginn des Dokumentationszentrums der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung eine Freiluftausstellung vor dem Gebäude an.
    Manfred Kittel (l.) und Angela Merkel 2013 zum Baubeginn des Dokumentationszentrums der Vertriebenenstiftung. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ist auch Vorsitzender des Beirats des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums, ein Gremium, das sich ebenfalls mit der Geschichte von Vertreibung befasst. Schmidt sagte im Deutschlandfunk, er habe den Eindruck, dass ein Wissenschaftler-Streit auf dem Rücken eines Einzelnen ausgetragen werde. Er könne die Vorwürfe gegen Manfred Kittel nicht nachvollziehen. Natürlich habe sich eine deutsche Stiftung vor allem mit Themen wie der Vertreibung der Sudetendeutschen zu befassen.
    Der CSU-Politiker ergänzte, falls die Vorwürfe gegen Kittel ideologisch motiviert seien, habe das Thema die Politik erreicht. Wichtig sei nun, dass alle Beteiligten unbeschadet aus der Debatte herausgingen. Bei der bisherigen Arbeit der Stiftung handele es sich um ein großartiges Werk, das nicht durch wissenschaftliches Klein-klein kaputt gemacht werden dürfe.
    Dem Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Manfred Kittel, droht wegen zweier Ausstellungen die Absetzung. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hatte nach einem Krisengespräch mit dem Wissenschaftliche Beraterkreis Kittels von personellen Veränderungen an entscheidender Stelle der Stiftung gesprochen. Das 15-köpfige internationale Beratergremium fühlte sich von Kittel bei der Gestaltung einer Vertriebenen-Ausstellung übergangen.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Die erbitterten, die brutalen Kriege in Europa, vor allem der Zweite Weltkrieg hat Millionen von Menschen ihrer Heimat beraubt und sie haben sich, wenn sie es überlebt haben, als Vertriebene andernorts niedergelassen. Das betrifft Polen, das betrifft Ungarn, das betrifft Deutsche, viele andere mehr. Diese Geschichte ist bis heute so voller Verletzungen und Traumata, dass eine Erinnerung an diese Vertreibung schwierig ist. Die Bundesregierung hat vor fast sechs Jahren eine Stiftung ins Leben gerufen unter dem Titel "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Sie besitzt einen breit besetzten wissenschaftlichen Beirat und wissenschaftliche Berater, die dafür sorgen sollen, dass eine geplante Dauerausstellung, die dann in Berlin zu sehen sein soll, Ursachen, Verlauf und Folgen von Vertreibung möglichst ausgewogen und europaweit darstellt. Nun gibt es in dieser Stiftung Unruhe, weil deren Direktor Manfred Kittel abgelöst werden soll. Wir sprechen gleich darüber mit Bundesminister Christian Schmidt von der CSU.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Christian Schmidt von der CSU, er ist Vorsitzender des Beirats des deutsch-tschechischen Gesprächsforums. Das ist ein Gremium, das sich auch mit der Geschichte von Vertreibungen befasst, zum Beispiel der der Sudetendeutschen. Herr Schmidt, die meisten kennen Sie allerdings dann doch als Bundeslandwirtschaftsminister. Guten Morgen!
    Christian Schmidt: Guten Morgen!
    Grieß: Ist es richtig, Manfred Kittel abzulösen?
    Schmidt: Nein.
    Grieß: Warum nicht?
    Das dient der Sache überhaupt nicht
    Schmidt: Warum nicht? Ich bin, wenn ich beginnen darf, ich bin gerade jetzt hier in Litoměřice, wir haben unsere Jahreskonferenz des deutsch-tschechischen Gesprächsforums, und nicht nur, weil wir selbst mit Professor Kittel zusammengearbeitet haben in einem sehr komplizierten Projekt, dem sogenannten Rechtsnormenprojekt vor einigen Jahren, wo deutsche und tschechische Wissenschaftler sich um die Frage gekümmert haben, was war denn eigentlich Standard in den 30er-Jahren und 20er-Jahren mit Vertreibung beziehungsweise mit der Verschiebung von Bevölkerung, so wie das hier im Tschechischen Odsun benannt ist, und da hat er hervorragende Arbeit geleistet. Ein klein wenig habe ich den Eindruck, bei allem Respekt vor den Herren Professoren, dass man hier einen Wissenschaftlerstreit austrägt, und zwar auf dem Rücken eines Einzelnen. Wenn ich hier in meinem Gesprächsforum - das besteht aus tschechischen und deutschen Vertretern der Zivilgesellschaft, Wissenschaftlern und Politikern - in den letzten 15 Jahren, in denen ich dem angehöre, bei jeder Meinungsverschiedenheit gleich den Kopf des anderen gefordert hätte, dann wäre ich nicht weit gekommen, wären wir nicht weit gekommen. Das ist ein etwas ambitionierter Ansatz, den ich allenfalls einer wissenschaftlichen Selbstbewusstseinsbildung zuordne, aber der dient der Sache überhaupt nicht.
    Grieß: Herr Schmidt, das, was Sie als gute Arbeit beschreiben vonseiten Herrn Kittels, die Sie kennengelernt haben, das findet ja, wenn man den Kritikern glaubt, in der Gegenwart keine Fortsetzung. Er hat Ausstellungen organisiert, und die wissenschaftlichen Berater, die ihm zur Seite stehen, nicht gefragt. Das hätte er doch tun sollen?
    Schmidt: Also da sind wir bei so Tatfragen, jetzt käme ich noch zu meiner anderen Profession, nämlich der des Arbeitrechtlers. Also nun gemach, gemach. Ich stelle schon fest, bei allem Respekt, wie gesagt, vor den Beiratsmitgliedern: Ihm wird vorgeworfen, er würde sich nur um die deutsche Vertreibung kümmern, also ich weiß gar nicht, wo da der Vorwurf liegen soll. Natürlich hat eine deutsche Stiftung, europäisch ausgerichtet, sich natürlich vor allem mit der Hauptvertreibung der Sudentendeutschen, der Schlesier et cetera zu kümmern.
    Grieß: Ja, das ist eine Formulierungsfrage, Herr Schmidt. Das ist eine Formulierungsfrage.
    Schmidt: Na, Moment mal, wenn ich das noch sagen darf, ...
    Eine Verpflichtung, europäisch in die Zukunft zu arbeiten
    Grieß: Das ist eine Formulierungsfrage, die sehr, sehr umstritten ist, was diese Stiftung denn zu tun hat und wo, an welcher Stelle sie die Vertreibung der Deutschen einsortiert - in den Vordergrund oder doch in einen Zusammenhang?
    Schmidt: Ja. Der Zusammenhang, der ist natürlich notwendig. Aber es ist auch kein Streit um des Kaisers Bart. Aber wissen Sie, eine Ausstellung, die aus Griechenland kommt, dann als Nachweis dafür herbeizuführen, dass er sich nur um die deutsche Vertreibung kümmert - also da muss ich erst einmal drüber nachdenken. Das muss ich sehen und muss ich hören, wo da die Verwerflichkeit liegt.
    Grieß: Nun gibt es ja aber da ...
    Schmidt: Aber selbst, wenn es so ist, dann erwarte ich - auch von Professoren -, dass sie sich hinsetzen und nicht sagen, der muss weg, die Kuh muss vom Eis, also da kann ich mich richtig engagieren. Ich kann nur noch mal sagen: Wir sitzen hier gerade jetzt von ganz Konservativen bis zu Kommunisten beieinander. Glauben Sie denn, wenn ich sage, eine Formulierung ist im Halbsatz nicht so, wie ich sie mir vorstelle, und gehe sofort, oder fordere den Kopf des anderen, dass wir in der Sache weiterkommen? Wir haben hier, auch die Herren Professoren, eine Verpflichtung, europäisch in die Zukunft ausgerichtet zu arbeiten, und das stelle ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht fest.
    Grieß: Nun gibt es allerdings auch eine Verpflichtung, sich sehr, sehr umsichtig zu verhalten bei diesem Thema.
    Schmidt: Genau.
    Grieß: Sie kennen ja die Empfindlichkeiten auf beiden Seiten.
    Schmidt: Genau das ist der Punkt. Ja.
    Ich würde es begrüßen, wenn er bleibt
    Grieß: Sie kennen das aus dem deutsch-tschechischen Gesprächsforum, Sie kennen es auch von polnischer Seite. Es hat so viele Kontroversen um diese Bundesstiftung gegeben, auch rund um den Namen Erika Steinbach. Warum gelingt es Manfred Kittel so schlecht, sich umsichtig zu verhalten?
    Schmidt: Also Sie haben es ja schon gesagt: Es ist nicht nur der Name von Manfred Kittel, das ist mal der eine und mal der andere. Ich beneide die Kollegin Grütters nicht, in dieser Frage ausgleichend zu wirken und zu versuchen, dass man doch zusammen bleibt. Der Anspruch, den man an sich selbst stellt, ist, in solchen Fragen mäßigend zu wirken, so wie das Frau Grütters vorbildlich macht. Und nun billige ich Wissenschaftlern zu, dass sie auch mal stur sind. Das dürfen sie. Aber sie dürfen nicht vergessen, dass der Beitrag, aufeinander zuzugehen, nicht heißen kann, dass man die übrigens, wie gesagt, selbst bestrittenen Halbsätzlichkeiten - ob es nun so oder so vereinbart ist und wie das zu interpretieren ist - dann, lassen Sie mich sagen, via Medien, denn da fing es ja wohl auch ein Stück an, ... Macht in der Wissenschaft, ist Reputation eines Einzelnen eine wichtige Sache? Man kann geteilter Meinung sein. Aber Professor Kittel sozusagen ins wissenschaftliche Eck zu stellen, das ist schon ein starkes Stück.
    Grieß: Sie können sich kurz räuspern, Herr Minister, und ich stelle noch kurz eine Frage, denn Sie haben die Kulturstaatsministerin Monika Grütters ja angesprochen. Die hat in einer Pressemitteilung ja nun erklärt, es solle Veränderungen geben an der Spitze der Stiftung. Das heißt, sie hat sich eigentlich schon gegen Manfred Kittel entschieden.
    Schmidt: Nein, sie hat sich nicht gegen Manfred Kittel entschieden. Ich habe mit allen Beteiligten auch gesprochen, übrigens auch in meiner Funktion als stellvertretender CSU-Vorsitzender. Meine Partei hat immer ein großes Interesse an der Aufarbeitung von Flucht, Vertreibung und deren Ursachen vorher gehabt. Und das ist eine Überinterpretation. Ich könnte nachvollziehen, wenn Professor Kittel von seiner Seite irgendwann auch sagt, nun, dann reicht es mir allerdings auch. Ich würde es begrüßen, wenn er trotzdem bleibt und wenn die Damen und Herren im wissenschaftlichen Beirat sagen würden: Na gut, dann setzen wir uns mal zusammen. Keiner will was Böses und keiner will was Falsches. Sollte Ideologie dahinter sein, nicht von Kittel, sondern von anderen, dann hat es allerdings ein Thema, das auch die Politik erreicht hat. Und da würde ich mich dann auch sehr einschalten.
    Nicht mit wissenschaftlichem Kleinklein kaputt machen
    Grieß: Nun ist ja Manfred Kittel verbeamtet, das heißt, er wird natürlich irgendeine Art von Übergangsposten bekommen. Würden Sie das empfehlen, da eine Brücke zu suchen?
    Schmidt: Erstens Mal ist es nicht Aufgabe des wissenschaftlichen Beirats von irgendjemandem, Personalpolitik zu betreiben und Erpressungspolitik schon gleich überhaupt nicht. Zum Zweiten ist das wohl der Stiftungsrat, der dann darüber zu entscheiden hätte. Zum Dritten kenne ich die arbeitsrechliche Situation von Professor Kittel im Detail nicht, das ist auch nicht mein Thema. Wichtig ist, dass alle unbeschadet rausgehen aus dieser Debatte und vor allem, dass die Sache, nämlich in der Tat in einem globalen Kontext mit einem bedeutenden Blick auf die Vertreibung von Deutschen nach 1945 und leider den Parallelen, die wir ja in der Realität heute, in der Gegenwart, haben bei anderen Vertreibungen aus Europa, dass man das zusammenführt und zusammenbehält, das ist doch ein großartiges Werk, und bitte nicht jetzt mit wissenschaftlichem Kleinklein kaputt machen.
    Grieß: Rückendeckung für den Direktor der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" vom stellvertretenden CSU-Vorsitzenden Christian Schmidt. Herr Schmidt, danke schön für das Gespräch heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk!
    Schmidt: Gerne, danke.
    Grieß: Ihnen einen schönen Tag, danke, auf Wiederhören!
    Schmidt: Danke sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.