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Aerotec aus Varel
Flugzeugteile aus dem 3D-Drucker

Was früher gefräst wurde, wird heute gedruckt: zum Beispiel Fugzeugteile. Kühlschrankgroße Industrieanlagen fertigen sie bei der Firma Aerotec im niedersächsischen Varel aus Metallpulver. Laut Airbus ermöglicht der 3D-Druck bis zu 90 Prozent Materialersparnis.

Von Alexander Budde | 03.11.2017
    Bildnummer: 55434125 Datum: 30.05.2011 Copyright: imago/Rust Fa. Premium Aerotec (ehem. Airbus) in Neuenwege bei Varel am Jadebusen am 30.05.2011. Wirtschaft kbdig xkg 2011 quer o0 Industrie, Luftfahrtindustrie, Gebäude, Fahne, Nationalfahne, Europa, EU, Deutschlandfahne, GER Bildnummer 55434125 Date 30 05 2011 Copyright Imago Rust Fa Premium Tech Airbus in New ways at Varel at Jadebusen at 30 05 2011 Economy Kbdig xkg 2011 horizontal o0 Industry Aviation industry Building Flag National flag Europe EU German flag country ger
    Die Zukunft des europäischen Flugzeugbaus kann in Niedersachsen besichtigt werden: Aerotec aus Varel (imago stock&people)
    Thomas Ehm späht durch das gläserne Sichtfenster der EOS 290. Im so genannten Bauraum des Metalldruckers macht sich der 400 Watt starke Laser ans Werk. Es blitzt, es dampft – und Schicht um Schicht formt sich wie von Geisterhand ein Flugzeugbauteil aus Aluminium. Ehm ist seit 2015 Chef der Airbus-Tochter Premium Aerotec. Das Staunen hat sich der 51-Jährige bewahrt.
    "Ich gehöre zur Generation, wo wir früher noch Star Trek-Sachen angeschaut haben und immer die Replikatoren gesehen haben, die aus Nichts plötzlich etwas aufbauen. Damals haben wir gedacht, das wird es niemals geben und insofern bin ich jedes Mal auch fasziniert, wenn ich da reinschaue und sehe wie eben aus Nichts mit Pulver dann ein Bauteil langsam aufgebaut wird."
    Automatisierter Fertigungsprozess
    Kostenvorteile versprechen sich die drei Projektpartner Premium Aerotec, Daimler und EOS von weitgehend automatisierten Abläufen im Fertigungsprozess – von der Zuführung des Metallpulvers bis zur Verarbeitung nach dem Druck. In der Werkshalle in Varel summen gleich mehrere der derzeit leistungsfähigsten Metalldrucker.
    "Wir haben nebendran schon die neuste und weltweit modernste Maschine gesehen mit vier Lasern – und da geht ein richtiges Blitzgewitter schon los!"
    Dabei "drucken" die kühlschrankgroßen Industrieanlagen im strengen Wortsinn gar nicht: Befüllt mit dem Metallpulver bauen sie die dreidimensionalen Werkstücke, Blatt für Blatt, in nur Bruchteile von Millimetern dünnen Schichten auf. Projektleiter Thomas Bielefeld erläutert das Grundprinzip dieser so genannten additiven Fertigung:
    "Das 3D-Drucken ist eigentlich nichts anderes als Auftrag-Schweißprozess innerhalb eines Pulverbettes. Wir haben hier ein Metallpulver in einem entsprechenden Behälter aufbewahrt, und von oben strahlt der Laser und verschweißt praktisch das Pulver lokal miteinander."
    90 Prozent Materialersparnis
    In herkömmlicher Bauweise wurden die Teile noch aufwendig zerspant, also aus einem Block herausgefräst. Laut Airbus ermöglicht der 3D-Druck bis zu 90 Prozent Materialersparnis.
    Sobald die Vorlage gescannt und im Rechner zum digitalen Modell verarbeitet worden ist, kann es losgehen. Das Kopfzerbrechen der Projektpartner setzt allerdings schon viel früher in der Prozesskette ein: "Wir brauchen als Ausgangstoff die gewünschte Metalllegierung in Form eines Pulvers. Das sind sehr kleine Kügelchen, die dort praktisch so gut abrollen, dass es aussieht, als ob es fließt."
    Die additive Fertigung ermöglicht leichte, filigrane Strukturen, die nicht länger aus vernieteten Metallspanten bestehen. Material wird dort eingesetzt, wo Kräfte wirken. Firmenchef Ehm lässt sich gern von der Natur inspirieren. Das Abbild einer Seerose oder eines Vogelknochens beflügelt seine Fantasie:
    "Wir haben jahrelang den Ingenieuren erzählt, sie können nur das entwickeln, was man nachher auch fertigen kann, das heißt wir haben sie eingeschränkt in ihrer Denkweise. Heute, mit dem Drucken, müssen wir sagen: Du kannst grundsätzlich alles designen, was Du möchtest! Und mach es so, dass es möglichst leicht ist und nur dort Material verbaut wird, wo man es auch braucht!"
    Anders als Titan ist Aluminium relativ preiswert. Ein Kilo Plattenmaterial schlägt im Einkauf mit rund 5 Euro zu Buche, in Pulverform kostet der Werkstoff momentan noch das Zehnfache. Das Beispiel macht deutlich: Es muss noch einiges geschehen, bis sich die Umstellung auf die 3D-Technik rechnet.
    Menschenfreie Vision?
    Volumen ist auch hier das Zauberwort: Mit dem simultanen Einsatz zahlreicher Drucker lassen sich die einzelnen Arbeitsschritte drastisch beschleunigen.
    Im Werbefilm gibt es die Fabrik der Zukunft bereits: Vollautomatische Transportvehikel rollen durch staubreine Hallen, in denen die 3D-Drucker zu Hunderten in Reihe stehen. Delikat: Menschen sind in dieser Vision offenbar nicht länger eingeplant – zumindest sind keine zu sehen.
    "Ich glaube, es ist ein Film und in der Realität wissen wir, wie es aussieht. Es wird ohne Menschen nicht gehen." Jürgen Bruns lächelt verlegen. Der Betriebsrat erzählt von Zeiten, wo sie am Standort um Existenzen bangten. Investitionen, die Forschung und Innovation im ländlichen Raum erst möglich machten, wurden zur Überlebensfrage, erzählt Bruns:
    "Wir standen vor dem Verkauf, und es waren viele Arbeitsplätze gefährdet. Dann haben wir in einer langwierigen und schwierigen Auseinandersetzung es hinbekommen, dass wir, glaube ich, den Standort mittlerweile langfristig abgesichert haben."
    Erhalt der Facharbeit
    Premium Aerotec beschäftigt in Deutschland knapp 9.000 Menschen, am Standort Varel sind es rund 1.500. Im Werk Varel bedeutet der Wandel, dass womöglich jedes zweite Produkt aus traditioneller Zerspanungstechnik ersetzt werden könnte. Bruns kämpft für den Erhalt der Facharbeit, wo immer das möglich ist: "Wir wollen ganz vorne sein, um zu wissen, was passiert in den Veränderungen. Ich glaube, wir dürfen nicht immer nur über die Technologie reden, sondern uns ist insbesondere wichtig, dass wir über die Menschen reden. Was macht das mit den Menschen, wie gestalten wir die zukünftige Arbeitswelt, wie gestalten wir Arbeitszeiten, wie gestalten wir neue Berufsbilder. Ich glaube, das ist unglaublich wichtig, dass auch die Beschäftigten diesen Weg mitgehen."
    Das Gebot der Stunde
    Vor allem China und die USA geben bei der Entwicklung Vollgas. Die 3D-Technik und die neuen Geschäftsmodelle rundum haben das Potential, ganze Wirtschaftszweige auf den Kopf zu stellen.
    "Airbus muss ja heute jedes Flugzeug, das irgendwo liegenbleibt, mit einem Ersatzteil versorgen. Das machen wir heute über große Läger, die weltweit sich überall befinden. Man kann sich vorstellen perspektivisch, dass dort nur noch Drucker stehen. Man schickt ein Datenmodell und dann wir das Ersatzteil einfach gedruckt. Und das ist etwas, wo sich die gesamte Wertschöpfungskette in der Luft- und Raumfahrt verändern wird",
    sagt Thomas Ehm zum Abschied. Aus seiner Sicht können die deutschen Standorte nur dann dauerhaft im Wettbewerb bestehen, wenn sie in Hightech investieren. Die Technologien aus den Laboren herausholen und zum Einsatz bringen: Das ist für den Firmenchef das Gebot der Stunde.