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"Ärzte ohne Grenzen" fordert Ende der Gewalt im Sudan

Birke: Allen Appellen zum Trotz scheinen die arabisch sprechenden Janjaweed-Milizen im Westsudan weiter ihr Unwesen zu treiben. Die Situation in der Region Darfur spitzt sich dramatisch zu. Mehr als 1,2 Millionen Menschen, meist afrikanische Bauern, wurden aus ihren Dörfern vertrieben, befinden sich auf der Flucht. Die Regenzeit naht und könnte das Drama noch verschärfen. Am Telefon spreche ich nun Frau Ulrike von Pilar, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen". Frau Pilar, auch Ihre Hilfsorganisation ist ja in der Region engagiert. Wie viele Menschen sind nach Ihren Erkenntnissen dort unten betroffen?

Moderation: Burkhard Birke |
    Pilar: Wir haben auch bessere Schätzungen über die Menschen, die auf der Flucht sind. Wir gehen aus von derzeit einer Million Menschen, die vertrieben sind in Darfur. Man muss allerdings dazurechnen, dass natürlich noch mal hunderttausende der lokalen Bevölkerung auch in Mitleidenschaft gezogen sind, denn die müssen das Wenige, was sie haben, mit den Flüchtlingen teilen. Wir selber versorgen im Moment circa 400.000 Menschen. Natürlich werden andere von anderen Hilfsorganisationen erreicht, wie viele wissen wir nicht. Wir wissen allerdings, dass es eine ganze Menge Menschen gibt, die wir nicht erreichen im Moment. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Region so groß ist und die Menschen so verstreut sind und dass es keine Infrastruktur gibt. Zum Zweiten hat das natürlich damit zu tun, dass es in einigen Regionen Sicherheitsprobleme gibt und dass mit der beginnenden Regenzeit einige Gegenden auch nicht mehr erreicht werden können.

    Birke: 400.000 Menschen, das ist ja doch eine beträchtliche Zahl. Wie erreichen Sie die und wie versorgen Sie die?

    Pilar: Ja, wir sind ja eine medizinische humanitäre Organisation, dass heißt, wir kümmern uns in aller erster Linie wirklich um das Überleben und die Grundversorgung und haben zum Beispiel in vielen dieser ad-hoc-Lager, die da entstanden sind, Ernährungszentren für schwer unterernährte Kinder, zum Teil auch Erwachsene. Wir versuchen uns auch um die hygienischen Verhältnisse zu kümmern, die extrem mühsam sind, weil es eben nicht genug Wasser gibt, gerade noch genug zum Trinken eventuell, aber eben nicht mehr für Sauberkeit und andere hygienische Bedürfnisse. Es gibt viel zu wenig Latrinen, so dass jetzt zu Beginn der Jahreszeit man sich das Lager vorstellen kann wie eine Schlammwüste, wo eine Fäkalienbrühe durch die Gegend schwapp und im Zweifelsfall auch die wenigen Brunnen, die offen sind, die es gibt, noch dadurch verseucht werden können. Da bereiten wir uns auch auf Epidemien vor, insbesondere Durchfallepidemien, aber auch Cholera und Malaria. Wir erreichen die Menschen zum Teil noch mit Lastwagen zum Teil aber werden wir sicher auch Flugzeuge einsetzen müssen. Wir versuchen vor allen Dingen jetzt Lagervorräte in einigen Schlüsselgegenden aufzubauen, so dass selbst wenn die Regenzeit verstärkt einsetzt, wir doch hoffentlich noch einige dieser Menschen erreichen und versorgen können.

    Birke: Was benötigen Sie als Hilfsorganisation momentan am dringendsten, um den Menschen in Darfur zu helfen?

    Pilar: Das Wichtigste ist, dass die Gewalt, der die Menschen ausgesetzt sind, stoppt. Da können humanitäre Organisationen nichts tun. Es macht eben keinen Sinn humanitäre Hilfe zu schicken, wenn die Menschen gleichzeitig nach wie vor diesen Attacken ausgesetzt sind und die Lager nicht verlassen können, weil sie draußen nach wie vor verfolgt werden. Im Lager gibt es nicht genug zu essen, außerhalb des Lagers kann man sich kaum hintrauen. Manche Familien schicken kleine Kinder vor Morgengrauen raus, um Feuerholz zu sammeln, das sie dann verkaufen, in der Hoffnung, die würden nicht angegriffen. Das trügt natürlich manchmal. Unsere zentrale Forderung ist: Stoppt die Gewalt! Wir würden es uns doch sehr wünschen, dass die Europäische Union, genauso wie der Sicherheitsrat, endlich zu einer klaren und starken und einmütigen Resolution kommen.

    Birke: Internationale Truppen, nicht nur der afrikanischen Union, die ja nur 300 Milizionäre dahin geschickt hat, sondern regelrechte Truppen aus der Europäischen Union, der NATO, über die UNO mit Mandat?

    Pilar: Ich kann das nicht entscheiden. Das ist wirklich eine sehr schwierige und sehr verantwortungsvolle politische Entscheidung, wie man dort, mit welchem Druck Sicherheit schaffen kann. Ich glaube, dafür sind die humanitären Organisationen nicht da. Wir sind dazu da die Leute zu versorgen und zu sagen: "Die Gewalt hört nicht auf. Tut endlich etwas."

    Birke: Wie finanziert sich eine Organisation wie "Ärzte ohne Grenzen"? Durch Spenden? Wie ist die Spendensituation momentan?

    Pilar: Ärzte ohne Grenzen in Deutschland finanziert sich fast ausschließlich durch Privatspenden. Wir haben gerade heute unseren Jahresbericht vorgestellt. Wir haben letztes Jahr 18 Millionen Euro insgesamt eingenommen. Das ist etwas mehr als im Jahr davor. Uns geht es in der Beziehung gut. Wir sind zufrieden. "Ärzte ohne Grenzen" weltweit finanziert sich auch hauptsächlich durch Privatspenden. Wir haben da auch interne Regeln aufgestellt, dass das mindesten die Hälfte sein muss. Im Moment sind wir aber bei circa 80 Prozent Privatspenden von unserem Gesamteinkommen. Der Rest verteilt sich dann auf Europäische Kommission und viele Regierungen und Stiftungen.

    Birke: Jetzt wurden im Zusammenhang mit einer anderen Hilfsorganisation, Cap Anamur, gelegentlich Fragen aufgeworfen, wie spektakulär man sich in Szene setzen muss, um auch ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und an Spenden zu kommen. Halten Sie spektakuläre Aktionen da für angebracht?

    Pilar: Also ohne Öffentlichkeit ist es natürlich manchmal schwer, Aufmerksamkeit für die eigenen Anliegen zu erreichen. "Ärzte ohne Grenzen" ist natürlich eine Medizinerorganisation, ist eine humanitäre Organisation, die vorwiegend versucht, in Konflikten tätig zu werden. Da verbieten sich spektakuläre Aktionen dieser Art. Das sollen andere machen. Aber wir können ja mal vorschlagen, dass Joschka Fischer sich in einem Flüchtlingslager in Darfur anketten lässt. Vielleicht hat das dann eine Wirkung.