Jochen Spengler: 22.000 Ärzte gibt es an Deutschlands Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern. Sie haben sich in den letzten Tagen in einer Urabstimmung zu 98,4Prozent für einen Streik ausgesprochen. Dieser Streik beginnt heute in acht Unikliniken: Freiburg, Heidelberg, München, Würzburg, Bonn, Essen, Mainz und Halle. Die Ärzte fordern bessere Arbeitsbedingungen und deutlich mehr Gehalt. Vor einer Woche haben sie die Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft der Bundesländer abgebrochen, weil die ein grottenschlechtes Angebot vorgelegt hätten.
Der Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft heißt Ulrich Konstantin Rieger und ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Rieger!
Ulrich Konstantin Rieger: Einen schönen guten Morgen, Herr Spengler!
Spengler: Ebenfalls am Telefon ist sein Kontrahent, Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Auch Ihnen Guten Morgen, Herr Montgomery!
Frank Ulrich Montgomery: Einen guten Morgen, Herr Spengler! Nicht so schön bayerisch wie beim Herrn Rieger, sondern norddeutscher.
Spengler: Wir haben zehn Minuten etwa Zeit für einen Austausch der wichtigsten Argumente, und ich möchte die erste Frage an Sie stellen, Herr Montgomery. Was ist den Ärzten denn wichtiger, mehr Geld oder weniger Arbeit?
Montgomery: Das würde ich so nie qualifizieren, sondern wir wollen endlich vernünftige Arbeitsbedingungen haben. Und as setzt sich zusammen aus einem besseren, hierarchie-freien Krankenhaus, aus einer vernünftigen Arbeitszeit und einem anständigen Lohn.
Spengler: Dann lassen Sie uns bei dem Geld beginnen. Stimmt es, dass Sie, Herr Rieger, in der letzten Verhandlungsrunde letzte Woche Einkommenssteigerungen von etwa acht Prozent für die Ärzte im Westen und etwa elf Prozent für die im Osten angeboten haben?
Rieger: Das kann man so nicht sagen. Wir haben ein ganz neues Bezahlungssystem auch zusammen mit dem Marburger Bund erarbeitet. Das beinhaltet, dass derjenige Arzt, der mehr Zeit einbringt und mehr Leistung einbringt, auch mehr verdienen kann. Es ist so, dass wir etwas hier erarbeitet haben, nicht im Sinne eines Angebotes, sondern mal einen Vorschlag unterbreitet haben, wo der einzelne Arzt bis zu 45 Prozent mehr verdienen kann gegenüber heute, aber nach Leistung und nach Arbeitszeit.
Spengler: Also bis zu 45 Prozent hört sich doch gar nicht so schlecht an. Sie fordern ja nur 30 Prozent, Herr Montgomery?
Montgomery: Na ja, wenn man dieses so genannte Angebot oder diesen so genannten Vorschlag mal genau analysiert, dann stellt man fest, dass es nichts weiter ist als die alte Leier der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, nämlich dass man jetzt 40 Stunden arbeiten soll und dass man die Differenz von 38,5 auf 40 bitte gratis bei den Finanzministern der Länder abliefern soll. Dieses Angebot enthält mitnichten 8 Prozent und schon gar nicht 45 Prozent mehr.
Es ist richtig, was Herr Rieger gesagt hat. Wir haben gemeinsam ein neues System entwickelt, aber auch innerhalb eines Systems müssen die Zahlen stimmen. Und diese Zahlen stimmen nicht. Und vor allem, alle Zusatzleistungen werden nur für wenige ausgeworfen und werden ausschließlich in das Benehmen des Arbeitgebers gestellt. Und das kann eine Gewerkschaft nicht zulassen, dass Arbeitgeberwillkür entscheidet, wer wie viel verdient.
Spengler: Herr Rieger, Sie können direkt antworten!
Rieger: Von Arbeitgeberwillkür kann bestimmt nicht die Rede sein. Wir sind uns doch einig, Herr Montgomery. Wir wollen die Arbeitsbedingungen für die Ärzte verbessern, haben auch dazu eine Menge Vorschläge gemacht und sind auch dazu auf gutem Weg. Wir machen eine Leistungsbezahlung. Auch für Ärzte muss es Leistungsbezahlung geben. Leistungsbezahlung heißt natürlich, dass nicht jeder es bekommen kann. Wir haben die Möglichkeit von Arbeitsmarktzulagen in den jeweiligen Bundesländern angeboten. Es kann ja nicht sein, dass möglicherweise Ärzte in Mecklenburg-Vorpommern und in Baden-Württemberg hier die gleiche Möglichkeit haben. Das würde einfach die Universitätskliniken und die einzelnen Kliniken schlichtweg überfordern, wenn man überall die gleichen Möglichkeiten schaffen würde - deswegen ein sehr differenziertes und nach unserer Meinung sehr gerechtes System. Und dass die Möglichkeit besteht, bis zu 45, 50 Prozent mehr zu bekommen als einzelner Arzt, das haben Sie nicht in Abrede gestellt.
Montgomery: Das stelle ich aber schwer in Abrede, Herr Rieger, weil Ihre Rechnung hat natürlich einen Pferdefuß. Sie gehen davon aus, dass heute ein großer Anteil der Überstunden nicht bezahlt wird, und Sie tun sozusagen den Leuten die Verrechtlichung dieses Zustandes jetzt wie eine Wurst vor die Nase hängen, indem Sie behaupten, ihr kriegt jetzt in Zukunft wenigstens die Überstunden bezahlt, die wir euch heute unentgeltlich abpressen. Es wäre viel klüger und viel vernünftiger, Sie würden den unrechtmäßigen Zustand, den wir heute an den Kliniken haben, endlich mal ändern. Deswegen bleibe ich dabei: Dieses Angebot enthält nirgendwo 45 Prozent mehr – das wäre ja vom Mond -, sondern dieses Angebot ist schlicht und einfach der Versuch, wirklich die jungen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland auf lau zu kriegen, und das werden wir nicht mitmachen.
Spengler: Herr Rieger, darf ich mich mal kurz einschalten. Warum dulden Sie denn eigentlich, dass junge Ärzte rund um die Uhr für einen ziemlichen Hungerlohn arbeiten müssen? Warum dulden Sie – die "Süddeutsche Zeitung" spricht heute von einem System Ausbeutung? Spüren Sie keine Fürsorgepflicht als Arbeitgeber für die Ärzte?
Rieger: Zum einen: Ich bin jetzt hier für die Tarifgemeinschaft deutscher Länder zuständig und schaffe ein Tarifsystem. Wie das in der jeweiligen Uniklinik angewandt wird - ich übernehme gerne für viel die Verantwortung -, das ist die Frage der jeweiligen Uniklinik. Der Marburger Bund spricht seit Jahren von Millionen unbezahlter Überstunden. Genau dies haben wir aufgegriffen und haben versucht, ein System zu schaffen, dass in Zukunft ein Arzt – nehmen Sie mal das Beispiel -, wenn er eh schon immer 48 Stunden im Krankenhaus ist, mit dem Krankenhaus einen Vertrag schließen kann über 48 Stunden, und dann bekommt er auch das Geld für 48 Stunden. Über die Höhe, Herr Montgomery, können wir ja noch streiten, aber wir sind uns einig, dass der dann auch das Geld für 48 Stunden bekommt und damit genau dieses Problem der unbezahlten Überstunden gelöst ist. Also wir bemühen uns da sehr, aber mehr als zehn Prozent auch draufzulegen im Grundgehalt ist schlichtweg in der heutigen Zeit nicht möglich. Die Universitätskliniken werden in den nächsten Jahren 500 Millionen weniger Einnahmen haben. Wo soll denn das Geld her kommen?
Montgomery: Also Herr Rieger, wenn Sie denn wenigstens mal zehn Prozent endlich in Ihren Vorschlägen oder Angeboten drauflegen würden, dann würden wir ja schon wieder sehr viel freundlicher mit Ihnen reden, aber das tun Sie ja nicht. Sondern Sie tun schlicht und einfach die Arbeitszeit hoch schreiben und parallel dazu tun Sie dann genau dasselbe in Geld drauflegen. Das ist ein Nullsummenspiel. Dabei verdient kein Mensch etwas mehr.
Aber ich finde viel schlimmer, wie Sie sich eigentlich zu Ihrer Verantwortung nicht bekennen, denn wir als Gewerkschaften müssen doch nicht nur ein Tarifsystem entwickeln, sondern auch seine Anwendung vor Ort nachher mitkontrollieren. Diese Politik des sich die Händewaschens, aber nicht nass machen, die können wir auf Dauer doch nicht mehr tragen, dass wir Tarifsysteme machen, von denen wir von vornherein uns nicht dazu bekennen, wie wir sie hinterher in der Praxis umsetzen können. Das, muss ich mal ehrlich sagen, ist keine anständige Tarifverhandlung, Herr Rieger. Dann spielen wir auch nicht sauber miteinander, wenn Sie nicht dazu stehen, wie das hinterher in den Kliniken umgesetzt werden kann.
Rieger: Tarifpolitik ist kein Spiel, sondern Tarifpolitik sind Rahmenbedingungen, die wir schaffen, Arbeitsrahmenbedingungen. Auch heute muss ich Ihnen sagen, nach dem jetzigen BAT: Jede Überstunde, die angeordnet ist, wird bezahlt, muss bezahlt werden. So steht es im Tarifvertrag.
Montgomery: Na ja, Sie werden verstehen, dass viele Ärzte in den Krankenhäusern darüber nur hohl lachen können.
Rieger: Ja, Herr Montgomery, das sagen Sie uns die ganze Zeit, aber ich kann doch nicht sagen, ich mache ein Tarifsystem, und wenn es dann vor Ort von den eigenen Ärzten nicht angewandt wird. Das Problem vor Ort – das wissen Sie – ist, ob Überstunden angeordnet sind oder nicht. Da kann ich aber als Tarifgemeinschaft nur sagen: Wenn eine Überstunde da ist, muss sie bezahlt werden. Wenn es über Jahre oder Jahrzehnte hinweg vor Ort eine Grauzone gibt? Deswegen haben wir gesagt, wir schaffen ein neues System, in dem dieses Problem vielleicht besser gelöst ist als bisher.
Spengler: Darf ich kurz mal zwischenfragen. Liegt denn ein Kern des Konflikts möglicherweise auch darin, dass viele Ärzte diese Überstunden gar nicht so ungern machen, weil sie doch ein gutes finanzielles Zubrot sind?
Montgomery: Sie würden sie gerne machen und viel lieber machen, wenn es ein finanzielles Zubrot wäre. Aber Fakt ist, dass ein großer Teil dieser Überstunden gerade an den Unikliniken überhaupt nicht bezahlt wird. Da gibt es so eine Standardsituation, dass ein junger Assistenzarzt zu seinem Vorgesetzten geht und bittet, den Überstundenzettel abzuzeichnen. Dann wird gesagt, den zeichnen wir so nicht ab, den kriegt die Verwaltung so nie zu sehen, sondern da steht jetzt eine ganz andere, wesentlich niedrigere Zahl unten drunter, mit dieser berühmten Begründung, die man auch jetzt wieder aus Verwaltungsleiterkreisen hören, das sind ja noch junge Ärzte, die sind ja noch gar nicht voll einsetzbar, die sind ja nur langsam und deswegen entstehen diese Stunden. Diesen Irrsinn wollen wir ein für allemal durchbrechen und wollen jetzt zu einer vernünftigen Tarifregelung kommen, die dieses Unrecht abschafft.
Spengler: Das kann man auch gut nachvollziehen, aber liegt dieser Irrsinn, muss ich jetzt mal nachfragen als Laie, nicht an diesem sehr überkommenen Chefarztsystem, das dafür sorgt, dass ein Chefarzt fünfmal mehr Geld bekommt als ein Oberarzt, dass der immer noch ein Halbgott in weiß ist, dass man dieses System eigentlich mal wirklich abschaffen sollte?
Montgomery: Herr Spengler, da könnte ich es mir jetzt einfach machen und sagen, das Chefarztsystem ist mit Sicherheit nicht von den jungen Ärzten im Krankenhaus erfunden worden, sondern fällt ebenfalls in die Direktionshoheit der Arbeitgeber und damit auch der Tarifgemeinschaft. Auch hierzu müssten Sie eigentlich Herrn Rieger fragen, was er denn vorhat zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf der Hierarchieseite zu tun.
Spengler: Herr Rieger, dann fragen wir Sie doch!
Rieger: Aber selbstverständlich, gerne! Sie wissen, Herr Montgomery, dass fast alle Bundesländer bereits beschlossen haben, dieses Chefarztsystem nicht als solches, aber die Bezahlung – um die geht es – zu verändern, dass der Chefarzt alleine die Rechnungen stellt, dass in Zukunft diese Rechnungen allein von der Uniklinik gestellt werden und dass dort dann die Uniklinik das Geld hat und es verteilen kann. Nur ist das Problem: Von 100 Chefärzten haben wir erst 2 oder 3, die wir umgestellt haben, weil das geht natürlich nur bei Neueinstellungen. Die Inhaber der Rechte geben das natürlich ungern her, aber hier tun die Bundesländer ja auch etwas.
Spengler: Das heißt, die pochen auf ihre Privilegien? Das könnte man schon so sagen?
Montgomery: Aber man macht die Welt doch nicht besser, indem man den einzigen, die im Krankenhaus noch etwas verdienen – und ich bin nun wirklich kein Chefarztvertreter -, auch noch das Geld wegnimmt, denn das Problem ist doch: Die Länder tun zwar in der Tat die Chefarztverträge so schlecht machen, dass man dort heute nichts mehr bekommt, aber davon kommt hinterher nichts bei den Assistenzärzten an, sondern das bleibt bei den Finanzministern im Säckel. Das heißt, die Ungerechtigkeit wird hier nur perpetuiert und wird von einem anderen ausgeübt. Das ist der einzige Unterschied von dem Modell, was Herr Rieger da skizziert.
Rieger: Also Herr Montgomery, Sie sind der Meinung, wir sollen den Chefärzten die Millionen lassen?
Montgomery: Nein, das bin ich nicht, Herr Rieger, sondern wenn, dann sollen Sie diese gerecht verteilen. Sie sollen in einem gerechten System den Menschen zukommen, die viel Arbeit in Form von viel Zeit abliefern. Das sollen Sie ihnen auch anständig honorieren.
Rieger: Genau das haben wir Ihnen angeboten. Ich kann es nur noch mal sagen. Sie haben selber gesagt, wir legen zehn Prozent drauf. Wer bekommt heute zehn Prozent Lohnsteigerung? Jeder Arzt bekommt zehn Prozent in Zukunft mehr als heute. Das ist unser Angebot.
Spengler: Hier müssen wir jetzt einen Punkt machen. – Danke meine Herren! – Das war ein Austausch der Argumente im Tarifkonflikt der Krankenhausärzte. Dank an Ulrich Konstantin Rieger, Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft der Länder, und Dank an Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund.
Der Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft heißt Ulrich Konstantin Rieger und ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Rieger!
Ulrich Konstantin Rieger: Einen schönen guten Morgen, Herr Spengler!
Spengler: Ebenfalls am Telefon ist sein Kontrahent, Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Auch Ihnen Guten Morgen, Herr Montgomery!
Frank Ulrich Montgomery: Einen guten Morgen, Herr Spengler! Nicht so schön bayerisch wie beim Herrn Rieger, sondern norddeutscher.
Spengler: Wir haben zehn Minuten etwa Zeit für einen Austausch der wichtigsten Argumente, und ich möchte die erste Frage an Sie stellen, Herr Montgomery. Was ist den Ärzten denn wichtiger, mehr Geld oder weniger Arbeit?
Montgomery: Das würde ich so nie qualifizieren, sondern wir wollen endlich vernünftige Arbeitsbedingungen haben. Und as setzt sich zusammen aus einem besseren, hierarchie-freien Krankenhaus, aus einer vernünftigen Arbeitszeit und einem anständigen Lohn.
Spengler: Dann lassen Sie uns bei dem Geld beginnen. Stimmt es, dass Sie, Herr Rieger, in der letzten Verhandlungsrunde letzte Woche Einkommenssteigerungen von etwa acht Prozent für die Ärzte im Westen und etwa elf Prozent für die im Osten angeboten haben?
Rieger: Das kann man so nicht sagen. Wir haben ein ganz neues Bezahlungssystem auch zusammen mit dem Marburger Bund erarbeitet. Das beinhaltet, dass derjenige Arzt, der mehr Zeit einbringt und mehr Leistung einbringt, auch mehr verdienen kann. Es ist so, dass wir etwas hier erarbeitet haben, nicht im Sinne eines Angebotes, sondern mal einen Vorschlag unterbreitet haben, wo der einzelne Arzt bis zu 45 Prozent mehr verdienen kann gegenüber heute, aber nach Leistung und nach Arbeitszeit.
Spengler: Also bis zu 45 Prozent hört sich doch gar nicht so schlecht an. Sie fordern ja nur 30 Prozent, Herr Montgomery?
Montgomery: Na ja, wenn man dieses so genannte Angebot oder diesen so genannten Vorschlag mal genau analysiert, dann stellt man fest, dass es nichts weiter ist als die alte Leier der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, nämlich dass man jetzt 40 Stunden arbeiten soll und dass man die Differenz von 38,5 auf 40 bitte gratis bei den Finanzministern der Länder abliefern soll. Dieses Angebot enthält mitnichten 8 Prozent und schon gar nicht 45 Prozent mehr.
Es ist richtig, was Herr Rieger gesagt hat. Wir haben gemeinsam ein neues System entwickelt, aber auch innerhalb eines Systems müssen die Zahlen stimmen. Und diese Zahlen stimmen nicht. Und vor allem, alle Zusatzleistungen werden nur für wenige ausgeworfen und werden ausschließlich in das Benehmen des Arbeitgebers gestellt. Und das kann eine Gewerkschaft nicht zulassen, dass Arbeitgeberwillkür entscheidet, wer wie viel verdient.
Spengler: Herr Rieger, Sie können direkt antworten!
Rieger: Von Arbeitgeberwillkür kann bestimmt nicht die Rede sein. Wir sind uns doch einig, Herr Montgomery. Wir wollen die Arbeitsbedingungen für die Ärzte verbessern, haben auch dazu eine Menge Vorschläge gemacht und sind auch dazu auf gutem Weg. Wir machen eine Leistungsbezahlung. Auch für Ärzte muss es Leistungsbezahlung geben. Leistungsbezahlung heißt natürlich, dass nicht jeder es bekommen kann. Wir haben die Möglichkeit von Arbeitsmarktzulagen in den jeweiligen Bundesländern angeboten. Es kann ja nicht sein, dass möglicherweise Ärzte in Mecklenburg-Vorpommern und in Baden-Württemberg hier die gleiche Möglichkeit haben. Das würde einfach die Universitätskliniken und die einzelnen Kliniken schlichtweg überfordern, wenn man überall die gleichen Möglichkeiten schaffen würde - deswegen ein sehr differenziertes und nach unserer Meinung sehr gerechtes System. Und dass die Möglichkeit besteht, bis zu 45, 50 Prozent mehr zu bekommen als einzelner Arzt, das haben Sie nicht in Abrede gestellt.
Montgomery: Das stelle ich aber schwer in Abrede, Herr Rieger, weil Ihre Rechnung hat natürlich einen Pferdefuß. Sie gehen davon aus, dass heute ein großer Anteil der Überstunden nicht bezahlt wird, und Sie tun sozusagen den Leuten die Verrechtlichung dieses Zustandes jetzt wie eine Wurst vor die Nase hängen, indem Sie behaupten, ihr kriegt jetzt in Zukunft wenigstens die Überstunden bezahlt, die wir euch heute unentgeltlich abpressen. Es wäre viel klüger und viel vernünftiger, Sie würden den unrechtmäßigen Zustand, den wir heute an den Kliniken haben, endlich mal ändern. Deswegen bleibe ich dabei: Dieses Angebot enthält nirgendwo 45 Prozent mehr – das wäre ja vom Mond -, sondern dieses Angebot ist schlicht und einfach der Versuch, wirklich die jungen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland auf lau zu kriegen, und das werden wir nicht mitmachen.
Spengler: Herr Rieger, darf ich mich mal kurz einschalten. Warum dulden Sie denn eigentlich, dass junge Ärzte rund um die Uhr für einen ziemlichen Hungerlohn arbeiten müssen? Warum dulden Sie – die "Süddeutsche Zeitung" spricht heute von einem System Ausbeutung? Spüren Sie keine Fürsorgepflicht als Arbeitgeber für die Ärzte?
Rieger: Zum einen: Ich bin jetzt hier für die Tarifgemeinschaft deutscher Länder zuständig und schaffe ein Tarifsystem. Wie das in der jeweiligen Uniklinik angewandt wird - ich übernehme gerne für viel die Verantwortung -, das ist die Frage der jeweiligen Uniklinik. Der Marburger Bund spricht seit Jahren von Millionen unbezahlter Überstunden. Genau dies haben wir aufgegriffen und haben versucht, ein System zu schaffen, dass in Zukunft ein Arzt – nehmen Sie mal das Beispiel -, wenn er eh schon immer 48 Stunden im Krankenhaus ist, mit dem Krankenhaus einen Vertrag schließen kann über 48 Stunden, und dann bekommt er auch das Geld für 48 Stunden. Über die Höhe, Herr Montgomery, können wir ja noch streiten, aber wir sind uns einig, dass der dann auch das Geld für 48 Stunden bekommt und damit genau dieses Problem der unbezahlten Überstunden gelöst ist. Also wir bemühen uns da sehr, aber mehr als zehn Prozent auch draufzulegen im Grundgehalt ist schlichtweg in der heutigen Zeit nicht möglich. Die Universitätskliniken werden in den nächsten Jahren 500 Millionen weniger Einnahmen haben. Wo soll denn das Geld her kommen?
Montgomery: Also Herr Rieger, wenn Sie denn wenigstens mal zehn Prozent endlich in Ihren Vorschlägen oder Angeboten drauflegen würden, dann würden wir ja schon wieder sehr viel freundlicher mit Ihnen reden, aber das tun Sie ja nicht. Sondern Sie tun schlicht und einfach die Arbeitszeit hoch schreiben und parallel dazu tun Sie dann genau dasselbe in Geld drauflegen. Das ist ein Nullsummenspiel. Dabei verdient kein Mensch etwas mehr.
Aber ich finde viel schlimmer, wie Sie sich eigentlich zu Ihrer Verantwortung nicht bekennen, denn wir als Gewerkschaften müssen doch nicht nur ein Tarifsystem entwickeln, sondern auch seine Anwendung vor Ort nachher mitkontrollieren. Diese Politik des sich die Händewaschens, aber nicht nass machen, die können wir auf Dauer doch nicht mehr tragen, dass wir Tarifsysteme machen, von denen wir von vornherein uns nicht dazu bekennen, wie wir sie hinterher in der Praxis umsetzen können. Das, muss ich mal ehrlich sagen, ist keine anständige Tarifverhandlung, Herr Rieger. Dann spielen wir auch nicht sauber miteinander, wenn Sie nicht dazu stehen, wie das hinterher in den Kliniken umgesetzt werden kann.
Rieger: Tarifpolitik ist kein Spiel, sondern Tarifpolitik sind Rahmenbedingungen, die wir schaffen, Arbeitsrahmenbedingungen. Auch heute muss ich Ihnen sagen, nach dem jetzigen BAT: Jede Überstunde, die angeordnet ist, wird bezahlt, muss bezahlt werden. So steht es im Tarifvertrag.
Montgomery: Na ja, Sie werden verstehen, dass viele Ärzte in den Krankenhäusern darüber nur hohl lachen können.
Rieger: Ja, Herr Montgomery, das sagen Sie uns die ganze Zeit, aber ich kann doch nicht sagen, ich mache ein Tarifsystem, und wenn es dann vor Ort von den eigenen Ärzten nicht angewandt wird. Das Problem vor Ort – das wissen Sie – ist, ob Überstunden angeordnet sind oder nicht. Da kann ich aber als Tarifgemeinschaft nur sagen: Wenn eine Überstunde da ist, muss sie bezahlt werden. Wenn es über Jahre oder Jahrzehnte hinweg vor Ort eine Grauzone gibt? Deswegen haben wir gesagt, wir schaffen ein neues System, in dem dieses Problem vielleicht besser gelöst ist als bisher.
Spengler: Darf ich kurz mal zwischenfragen. Liegt denn ein Kern des Konflikts möglicherweise auch darin, dass viele Ärzte diese Überstunden gar nicht so ungern machen, weil sie doch ein gutes finanzielles Zubrot sind?
Montgomery: Sie würden sie gerne machen und viel lieber machen, wenn es ein finanzielles Zubrot wäre. Aber Fakt ist, dass ein großer Teil dieser Überstunden gerade an den Unikliniken überhaupt nicht bezahlt wird. Da gibt es so eine Standardsituation, dass ein junger Assistenzarzt zu seinem Vorgesetzten geht und bittet, den Überstundenzettel abzuzeichnen. Dann wird gesagt, den zeichnen wir so nicht ab, den kriegt die Verwaltung so nie zu sehen, sondern da steht jetzt eine ganz andere, wesentlich niedrigere Zahl unten drunter, mit dieser berühmten Begründung, die man auch jetzt wieder aus Verwaltungsleiterkreisen hören, das sind ja noch junge Ärzte, die sind ja noch gar nicht voll einsetzbar, die sind ja nur langsam und deswegen entstehen diese Stunden. Diesen Irrsinn wollen wir ein für allemal durchbrechen und wollen jetzt zu einer vernünftigen Tarifregelung kommen, die dieses Unrecht abschafft.
Spengler: Das kann man auch gut nachvollziehen, aber liegt dieser Irrsinn, muss ich jetzt mal nachfragen als Laie, nicht an diesem sehr überkommenen Chefarztsystem, das dafür sorgt, dass ein Chefarzt fünfmal mehr Geld bekommt als ein Oberarzt, dass der immer noch ein Halbgott in weiß ist, dass man dieses System eigentlich mal wirklich abschaffen sollte?
Montgomery: Herr Spengler, da könnte ich es mir jetzt einfach machen und sagen, das Chefarztsystem ist mit Sicherheit nicht von den jungen Ärzten im Krankenhaus erfunden worden, sondern fällt ebenfalls in die Direktionshoheit der Arbeitgeber und damit auch der Tarifgemeinschaft. Auch hierzu müssten Sie eigentlich Herrn Rieger fragen, was er denn vorhat zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf der Hierarchieseite zu tun.
Spengler: Herr Rieger, dann fragen wir Sie doch!
Rieger: Aber selbstverständlich, gerne! Sie wissen, Herr Montgomery, dass fast alle Bundesländer bereits beschlossen haben, dieses Chefarztsystem nicht als solches, aber die Bezahlung – um die geht es – zu verändern, dass der Chefarzt alleine die Rechnungen stellt, dass in Zukunft diese Rechnungen allein von der Uniklinik gestellt werden und dass dort dann die Uniklinik das Geld hat und es verteilen kann. Nur ist das Problem: Von 100 Chefärzten haben wir erst 2 oder 3, die wir umgestellt haben, weil das geht natürlich nur bei Neueinstellungen. Die Inhaber der Rechte geben das natürlich ungern her, aber hier tun die Bundesländer ja auch etwas.
Spengler: Das heißt, die pochen auf ihre Privilegien? Das könnte man schon so sagen?
Montgomery: Aber man macht die Welt doch nicht besser, indem man den einzigen, die im Krankenhaus noch etwas verdienen – und ich bin nun wirklich kein Chefarztvertreter -, auch noch das Geld wegnimmt, denn das Problem ist doch: Die Länder tun zwar in der Tat die Chefarztverträge so schlecht machen, dass man dort heute nichts mehr bekommt, aber davon kommt hinterher nichts bei den Assistenzärzten an, sondern das bleibt bei den Finanzministern im Säckel. Das heißt, die Ungerechtigkeit wird hier nur perpetuiert und wird von einem anderen ausgeübt. Das ist der einzige Unterschied von dem Modell, was Herr Rieger da skizziert.
Rieger: Also Herr Montgomery, Sie sind der Meinung, wir sollen den Chefärzten die Millionen lassen?
Montgomery: Nein, das bin ich nicht, Herr Rieger, sondern wenn, dann sollen Sie diese gerecht verteilen. Sie sollen in einem gerechten System den Menschen zukommen, die viel Arbeit in Form von viel Zeit abliefern. Das sollen Sie ihnen auch anständig honorieren.
Rieger: Genau das haben wir Ihnen angeboten. Ich kann es nur noch mal sagen. Sie haben selber gesagt, wir legen zehn Prozent drauf. Wer bekommt heute zehn Prozent Lohnsteigerung? Jeder Arzt bekommt zehn Prozent in Zukunft mehr als heute. Das ist unser Angebot.
Spengler: Hier müssen wir jetzt einen Punkt machen. – Danke meine Herren! – Das war ein Austausch der Argumente im Tarifkonflikt der Krankenhausärzte. Dank an Ulrich Konstantin Rieger, Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft der Länder, und Dank an Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund.
