Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Äthiopien
Ein Land in Aufruhr

Äthiopien ein enger Verbündeter des Westens im Kampf gegen Terrorismus und bei der Bekämpfung der Ursachen, die Hunderttausende zur Flucht aus Afrika treiben. Denn das Land ist ein Wachstumsmotor in der Region. Aber nach Jahrzehnten der politischen Unterdrückung rollt eine blutige Protestwelle gegen das äthiopisches Regime.

Von Linda Staude | 11.10.2016
    Der weißgekleidete Mann liegt leblos und verdreckt auf einer Bahre, die getragen wird. Hinter ihm stehen mehrere geschockt aussehende Menschen.
    In der äthiopischen Stadt Bishoftu wird ein Opfer einer Massenpanik nach regierungskritischen Protesten geborgen. (AFP / ZACHARIAS ABUBEKER)
    Trauer im Dorf Dankaka im Süden von Äthiopien. Hunderte Verwandte und Freunde weinen und klagen bei der Beerdigung von Tesfaye Tadese. Der junge Mann ist am vergangenen Sonntag beim Erntedankfest in Bishoftu ums Leben gekommen. Zu Tode getrampelt bei einer Massenpanik, nachdem Sicherheitskräfte Tränengas und Gummigeschosse gegen Demonstranten eingesetzt hatten.
    "Wenn wir in diesem Land Frieden hätten, dann wären nicht 200 Menschen so gestorben. Bei wem sollen wir uns beschweren? Die Regierung spielt Gott. Mit wem sollen wir reden? Wir begraben nur unsere Toten. Ich habe gesehen, wie sie Leichen auf LKW verladen haben wie Weizen oder Mais. Das sind doch menschliche Wesen!" So Biru Tadese, der Vater des Opfers, verbittert. Seither haben wutentbrannte Menschen in einer Welle von Protesten fast 60 Autos angezündet und ein knappes Dutzend Fabriken und Blumenfarmen niedergebrannt.
    Fast alle im Besitz von Ausländern, die das Land dafür von der Regierung bekommen haben. Nach der Enteignung der äthiopischen Besitzer wie der Farmerin Dasata Dumesso. "Wie können wir ohne unser Land leben? Wie können das unsere Kinder? Wenn wir kein eigenes Land haben, pachten wir es von anderen. Aber wenn es kein Farmland gibt, wie sollen wir dann überleben?"
    Jahrzehnte der politischen Unterdrückung und Diskriminierung
    Mit einem Streit um die inzwischen aufgegebene Enteignung von Farmland für den Ausbau von Addis Abeba haben die Demonstrationen im vergangenen November begonnen. Seither sind nach Angaben von internationalen Menschenrechtsorganisationen mindestens 500 Menschen von Sicherheitskräften getötet worden.
    "Mein Sohn ist nur ausgegangen, um sein Handy aufzuladen. Sie haben ihn von hinten erschossen, als er versuchte, vor ihnen wegzulaufen. Er hat keine Steine geworfen, nichts. Er ist Lehrer. Mein Sohn ist gestorben, obwohl er nichts Böses getan hat."
    Chala Gutema gehört zur Volksgruppe der Oromo – der größten in Äthiopien. Ihr Protest, dem sich inzwischen auch das zweitgrößte Volk der Amharen angeschlossen hat, richtet sich gegen Jahrzehnte der politischen Unterdrückung und Diskriminierung. Lencho Bati von der Oromo Democratic Front: "Das brutale Vorgehen gegen die Oromo geschieht nicht zum ersten Mal. Das geht seit 25 Jahren so. Die Oromo haben legitime Beschwerden. Das hat nichts mit Terrorismus zu tun."
    Oppositionelle und Journalisten riskieren Gefängnis oder Exil
    In Äthiopien hat die Regierungspartei alle Sitze im Parlament. Oppositionelle und Journalisten riskieren Gefängnis oder Exil. Die Regierung betrachtet die Demonstranten trotzdem nur als Aufrührer. Kommunikationsminister Getachew Reda auf Al Jazeera: "Wir benutzen Terrorismus nicht als Entschuldigung. Wir haben Beweise, dass diese Leute an Terrorakten beteiligt sind. Die einzige praktikable Option ist, sich unseren friedlichen Anstrengungen anzuschließen."
    Äthiopien ist trotz der jüngsten Dürre der Wachstumsmotor der Region und ein enger Verbündeter des Westens beim Kampf gegen Terror und bei der Fluchtursachenbekämpfung. Aber das ist gefährdet. Am vergangenen Sonntag hat Ministerpräsident Hailemariam Desalegn den Notstand ausgerufen – für sechs Monate. Mo Ibrahim, der Herausgeber des angesehenen Index für gute Regierungsführung in Afrika: "Diese Probleme können nicht von der Polizei gelöst werden, sondern nur politisch. Zivile Auseinandersetzungen untergraben jede Entwicklung. Das Land wird in Flammen aufgehen."