Donnerstag, 28. März 2024

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AfD zur Überwachung per Sprachassistent
"Wir sehen orwellsche Verhältnisse"

Ermittlern sollte kein Zugriff auf Daten von Smartphone-Geräten gewährt werden, sagte AfD-Digitalpolitikerin Joana Cotar im Dlf - auch nicht zur Verbrechensbekämpfung. Solche Pläne seien ein "Angriff auf die Unverletzlichkeit der Wohnung". Der Staat schaffe sich so immer mehr Zugriffsmöglichkeiten auf die Bürger.

Joana Cotar im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.06.2019
Joana Cotar, AfD, spricht bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude
Die digitalpolitische Sprecherin der AfD, Joana Cotar, lehnt es ab, Ermittlern Zugriff auf die Daten von Smarthome-Geräten zu gewähren. (picture alliance/Sina Schuldt/dpa)
Die Innenminister von Bund und Ländern beraten über einen möglichen Zugriff auf Daten digitaler Sprachassistenten in der Strafverfolgung. Die Innenminister von Union und SPD wollen dabei sogenannte digitale Spuren aus dem Bereich Smart Home - beispielsweise Aufzeichnungen von Sprachassistenten - als Beweismittel vor Gericht verwenden.
Digitalen Spuren kommen laut der Beschlussvorlage "eine immer größere Bedeutung" bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen und terroristischen Bedrohungslagen zu. Fernseher, Kühlschränke oder Sprachassistenten wie Alexa, die mit dem Internet verbunden sind, sammeln nach Auffassung der Innenminister permanent wertvolle Daten, die für Sicherheitsbehörden von Bedeutung sein könnten.
Erinnerung an das Ceaușescu-Regime
Die digitalpolitische Sprecherin der AfD, Joana Cotar, lehnt es ab, Ermittlern Zugriff auf die Daten von Smarthome-Geräten zu gewähren.
Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Joana Cotar über "orwellsche Verhältnisse", man habe dann die Wanze im Wohnzimmer. Sie fühle sich als gebürtige Rumänin an die Überwachung durch das Ceaușescu-Regime erinnert. Solche Pläne seien ein "Angriff auf die Freiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung". Der Staat schaffe sich immer mehr Zugriffsmöglichkeiten auf die Bürger, dafür habe sie überhaupt kein Verständnis.
"Wir brauchen einen Staat, der willens ist, zu handeln"
"Die Freiheitsrechte werden immer geschliffen, in dem man den Bürgern erzählt, dass man sie vor einer Gefahr beschützen möchte. Und wenn man sagt, dass man uns vor den Terroristen beschützen möchte - Anis Amri wurde überwacht, Anis Amri war polizeibekannt und er konnte trotzdem mit dem Lastwagen über den Weihnachtsmarkt fahren. Das heißt, wir brauchen nicht mehr Überwachung, sondern wir brauchen einen Staat, der willens ist, zu handeln, wenn tatsächlich gehandelt werden muss. Wenn er die Wohnzimmer der eigenen Bürger besser überwachen will als die eigenen Grenzen, dann stimmt in diesem Staat etwas nicht."
"Wenn man anfängt, Zugriff auf die Smartgeräte der Bürger zu nehmen, dann weiß man nicht - wo hört das auf, wo fängt die Überwachung tatsächlich an und wo hört das auf."

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Mario Dobovisek: Am Abend hatte ich Gelegenheit, mit Joana Cotar zu sprechen. Sie ist digitalpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Bundestag. Ich habe sie gefragt, warum die AfD den Plan der Innenminister ablehnt.
Joana Cotar: Weil wir da wirklich orwellsche Verhältnisse sehen. Man hat dann die Wanze im Wohnzimmer. Ich kenne das, ich bin in Rumänien geboren, ich kenne das vom Ceausescu-Regime. Das ist ein Angriff auf die Freiheit, das ist ein Angriff auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. Ich sehe es nicht ein, dass wir auf der einen Seite den Datenschutz überregulieren durch die DSGVO, und auf der anderen Seite möchten wir dem Staat immer mehr Platz einräumen, immer mehr Zugriffsmöglichkeiten auf die Bürger. Dafür habe ich überhaupt gar kein Verständnis. Wir leben in einer Demokratie und da zählt die Freiheit und für die treten wir ein.
"Wir brauchen nicht mehr Überwachung"
Dobovisek: Jetzt geht es ja ausdrücklich nicht um Alltagssituationen, in denen uns der Staat mittels der Televisoren a la George Orwell jederzeit überwachen soll. Es geht um Mord und Terror, um Menschenleben. Ich zitiere aus der Beschlussvorlage der Innenminister: "Digitalen Spuren", heißt es da, "kommt eine immer größere Bedeutung bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen und terroristischen Bedrohungslagen zu." – Wollen Sie als AfD diese Spuren bei schweren Straftaten ignorieren?
Cotar: Nein. Aber es ist ja immer dasselbe. Man erzählt uns immer vonseiten der Politik, dass man die Bürger nur beschützen möchte. Die Freiheitsrechte werden immer geschliffen, indem man den Bürgern erzählt, dass man sie vor einer Gefahr beschützen möchte. Und wenn man sagt, man möchte uns vor den Terroristen beschützen – Anis Amri wurde überwacht, Anis Amri war polizeibekannt und er konnte trotzdem mit einem Lastwagen über den Weihnachtsmarkt fahren. Das heißt, wir brauchen nicht mehr Überwachung; wir brauchen einen Staat, der willens ist zu handeln, wenn tatsächlich gehandelt werden muss. Wenn er die Wohnzimmer von den eigenen Bürgern besser überwachen möchte als die eigenen Grenzen, dann stimmt etwas in diesem Staat nicht.
Dobovisek: Lassen Sie uns bei der technischen Überwachung bleiben, weil das ein ganz spannendes Thema ist. Es soll ja immer ein Richter die Überwachung anordnen. Was ist daran falsch?
Cotar: Ich habe da so meine Zweifel, ob die Richter tatsächlich das alles so lesen und verstehen, was sie da überwachen.
Staatstrojaner - "die Wanze, die man mit sich rumträgt"
Dobovisek: Sie zweifeln am Rechtsstaat?
Cotar: Nein, überhaupt nicht! Aber ein Richter soll ja auch zum Beispiel die Staatstrojaner freigeben, damit die Handys überwacht werden. Das wäre dann übrigens die Wanze, die man nicht im Wohnzimmer hat, sondern die Wanze, die man mit sich herumträgt.
Ein Richter hat nicht immer eine Technikahnung von dem, was er da tatsächlich freigibt. Es klingt schön, ein Richtervorbehalt; bloß wenn man sich die Realität anguckt: Viele Richter geben das einfach frei, ohne sich das wirklich anzugucken. Das hier ist tatsächlich ein Angriff auf die Freiheit der Bürger in diesem Land und dem müssen wir uns entgegenstellen.
Dobovisek: Aber da wird doch, Frau Cotar, vielleicht anders herum ein Schuh daraus, dass wir die Richter besser ausbilden.
Cotar: Wir müssen nicht nur die Richter besser ausbilden; wir müssen auch die Beamten besser ausbilden, damit sie wissen, wann sie reagieren sollen, wann tatsächlich Handeln nötig ist, und die Behörden besser ausbilden und nicht anfangen, unbeschuldigte Bürger zu überwachen. Denn das ist es letztendlich! Wenn man anfängt, Zugriff auf die Smart-Geräte der Bürger zu nehmen, dann weiß man nicht, wo hört das auf, wo fängt die Überwachung tatsächlich an und wo hört das auf. Wir sehen es bei der Quellen-TKÜ. Es hieß, da geht es auch nur um terroristische Gefahren. Mittlerweile geht man dazu über und sagt: Okay, wir möchten die Quellen-TKÜ auch bei Einbrüchen einsetzen. Man gibt dem Staat einmal einen kleinen Finger und dann nimmt er die ganze Hand und irgendwann werden alle Bürger überwacht.
Dobovisek: Der Staat sind auch Sie. Sie sind demokratisch gewählte Abgeordnete im Bundestag. Damit repräsentieren Sie auch den Staat. Der Staat laufe der technischen Entwicklung hinterher, argumentiert zum Beispiel Bundesinnenminister Horst Seehofer. Will die AfD der Entwicklung hinterherlaufen, auch der technischen Entwicklung von Kriminellen und Terroristen?
Cotar: Nein! Aber wir sehen die Gefahren, die es gibt. Aber wir sehen auch, dass es schon jetzt und heute Möglichkeiten gibt, den Gefahren zu begegnen. Wenn wir sehen, dass alle islamistischen Terroristen, die Anschläge in Europa verübt haben, polizeibekannt waren und überwacht wurden, dann stellt sich nicht die Frage nach mehr Überwachung. Dann stellt sich uns die Frage nach dem Handeln. Und wir können das nicht immer sagen, es klingt immer gut, wir möchten Terroristen festnehmen, wir gehen gegen Kapitalverbrechen vor, Kinderpornografie wird auch immer gerne genommen. Das sind schlimme Straftaten. Natürlich muss man dagegen vorgehen. Aber wir haben heute schon die Mittel, um dagegen vorzugehen.
"Muster, dass der Staat gegen das Netz, gegen die Freiheit der Bürger vorgeht"
Dobovisek: Man muss ja nicht das eine tun, um das andere zu lassen, Frau Cotar. Wir reden ja jetzt explizit über die technische Überwachung. Die geht nicht ausschließlich gegen ausländische islamistische Terroristen, sondern insgesamt gegen Straftäter, ohne Unterschiede zu machen. Also noch einmal die Frage: Warum ist das ein Fehler, wenn die Technik der Polizei mit der Technik unseres Alltages mitgeht? Oder soll die Polizei bei der Telefonüberwachung stehen bleiben?
Cotar: Mir geht es darum, dass sich das, was Innenminister Seehofer im Moment fordert, wirklich in ein Muster einträgt. Wir haben hier die Forderung, jetzt Alexa, Siri und smarte Geräte zu überwachen. Wir haben die Forderung, Zugriffe auf die Messenger-Dienste zu nehmen. Wir haben die Forderung von Online-Durchsuchungen bei Journalisten, die jetzt bei der Harmonisierung des Verfassungsschutzgesetzes kommen soll. Wir haben den Staatstrojaner. Wir haben im Internet den Angriff auf die Meinungsfreiheit im Netz über die Upload-Filter etc. Das ist alles ein Muster, was sich abzeichnet, dass der Staat gegen das Netz, gegen die Freiheit der Bürger vorgeht, und dem stelle ich mich vehement entgegen.
Dobovisek: Der große Lauschangriff ist über 20 Jahre her. Sie erinnern sich wahrscheinlich auch noch. Inzwischen holen sich viele Menschen die Wanzen dann sozusagen freiwillig nach Hause, bei denen dann die Mitarbeiter zum Beispiel von Amazon in den USA bereits teils mithören und sogar mitschreiben, wie berichtet wird. Müssen wir uns am Ende nicht viel mehr über solche Mithörer Sorgen machen als um richterlich beauftragte Polizisten in Einzelfällen?
Cotar: Wir müssen uns um beide Sachen Sorgen machen. Natürlich! Und das sollte jeder Bürger wissen, was es bedeutet, sich eine Alexa oder eine Siri nach Hause zu holen, dass da Firmen in Amerika mithören. Das ist aber allgemein bekannt und wenn die Bürger sich dafür entscheiden, diese Geräte trotzdem ins Haus zu holen, müssen sie wissen, was sie damit tun.
"Staat darf sich nicht die Freiheit nehmen, auf alle möglichen Daten zuzugreifen"
Dobovisek: Wie könnte denn aus Ihrer Sicht ein Kompromiss aussehen, damit auch Ermittler diese Technik mitnutzen können?
Cotar: Wie gesagt, ich habe ein Problem damit, die Unverletzlichkeit der Wohnung anzugreifen, und eine Alexa und eine Siri, die ständig mithören und alles aufzeichnen und danach muss man es den Behörden übergeben, da habe ich ein Problem mit.
Dobovisek: Überwachungsgeräte installieren zu lassen, Stichwort großer Lauschangriff, das geht, aber vorhandene Wanzen zu nutzen, das geht nicht?
Cotar: Nein! Wir brauchen mehr Privatheit. Dafür trete ich massiv ein. Wir brauchen mehr Privatheit, wir brauchen Transparenz, wir brauchen eine End-zu-End-Verschlüsselung. Der Staat darf sich nicht die Freiheit nehmen, auf alle möglichen Daten der Bürger zuzugreifen. Wir brauchen sichere Vorgaben, wir brauchen sichere Geräte. Uns wird schon seit Jahren ein IT 2.0 Sicherungsgesetz versprochen; auch das kommt nicht. Auch das wird uns immer wieder gesagt, es kommt. Wir warten darauf, dass es kommt, um zu sehen, was da drinsteht. Aber solange wir hier keine Transparenz schaffen, solange wir den Bürgern nicht sagen, was sie tatsächlich erwartet, solange wir die Bürger nicht schützen auch vor unrechtmäßigen Zugriffen, solange werden wir uns den Plänen, die im Moment im Raum stehen, entgegenstellen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.