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Afghanistan
"Diese Abschiebung ist hochproblematisch"

Menschen nach Afghanistan abzuschieben, während im Bundestag darüber diskutiert werde, ob das Land überhaupt sicher sei - das sehe sie kritisch, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Eva Högl, im DLF. Auch Straftäter hätten Schutz vor Gewalt und Krieg verdient.

Eva Högl im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.12.2016
    Eva Högl (SPD) spricht am 21.10.2016 im Deutschen Bundestag in Berlin.
    "Rechtsstaat und Demokratie sehen vor, dass Menschen abgeschoben werden", so Eva Högl (SPD) - allerdings nicht ins unsichere Afghanistan. (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kumm)
    Es sei zwar "absolut richtig, dass Menschen zurückgeführt werden, die kein Bleiberecht haben". Die Abschiebung nach Afghanistan sehe sie aber "sehr kritisch". Gestern erst sei das Bundestagsmandat für Afghanistan verlängert und festgestellt worden, dass es sich um ein unsicheres Land handele, in dem gekämpft werde.
    Für die 2.000 Menschen, die "vollziehbar ausreisepflichtig" seien, ziehe sie es vor, die freiwillige Ausreise zu befördern, also einen sicheren Ort in der Heimat zu suchen und dorthin auszureisen. Högl stritt ab, dass die Abschiebung, an der auch SPD-Innenminister in NRW und Hamburg beteiligt waren, ein "Kniefall vor Rechtspopulisten" sei.
    Abschiebungen sind Teil der Demokratie
    "Rechtsstaat und Demokratie sehen vor, dass Menschen abgeschoben werden", so Högl. "Wenn wir Akzeptanz dafür gewinnen wollen, dass Menschen geholfen wird, müssen wir auch Menschen zurückführen."
    Die Abschiebung nach Afghanistan sei allerdings hochproblematisch und der Zeitpunkt nicht gut gewählt. Das gelte auch für Straftäter - auch sie hätten Schutz vor Gewalt und Krieg verdient. Nur in Ausnahmefällen bei schweren Straftaten werde der Flüchtlingsstatus aberkannt.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Richtig, verantwortungsvoll und behutsam - so verteidigt Bundesinnenminister Thomas de Maizière, was etwa die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung scharf kritisiert: die erste Sammelabschiebung von 34 abgelehnten Asylsuchenden zurück nach Afghanistan. Weitere Flüge hat der CDU-Innenminister für nächstes Jahr angekündigt. An den Zwangsmaßnahmen haben sich auch Landesinnenminister mit SPD-Parteibuch beteiligt, in Hamburg etwa und im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen. Dort ist die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion deshalb aus Protest zurückgetreten. - Am Telefon ist jetzt die stellvertretende Vorsitzende der SPD im Bundestag. Schönen guten Morgen, Eva Högl.
    "Wir wissen, dass Afghanistan ein sehr unsicheres Land ist"
    Eva Högl: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Frau Högl, Ralf Jäger, der SPD-Innenminister in Düsseldorf, hat sich ja beteiligt an der zwangsweisen Abschiebung nach Afghanistan. Finden Sie das richtig?
    Högl: Zunächst einmal ist es absolut richtig, dass Menschen auch zurückgeführt werden, die hier kein Asyl bekommen, die also kein Bleiberecht haben.
    Barenberg: Unbestritten.
    Högl: Aber die Abschiebung nach Afghanistan sehe auch ich sehr kritisch und auch weite Teile der SPD-Bundestagsfraktion, denn wir haben gerade gestern erst das Mandat verlängert, mit dem die Bundeswehr in Afghanistan bleibt. Wir wissen, dass Afghanistan ein sehr unsicheres Land ist, in dem täglich gekämpft wird und auch an vielen Stellen noch Krieg herrscht. Und wir haben mittlerweile eine Schutzquote von über 50 Prozent, nämlich aktuell 55,5 Prozent. Das heißt, wenn Menschen aus Afghanistan nach Deutschland fliehen, dann kann über die Hälfte dieser Menschen auch bei uns bleiben und Asyl bekommen. Das alles führt dazu, dass wir sagen, Abschiebungen nach Afghanistan sind hoch problematisch.
    "2.000 Afghanen in Deutschland, die abgeschoben werden müssen"
    Barenberg: Haben Sie das auch Ihrem Parteifreund Ralf Jäger und dem Innenminister von Hamburg gesagt?
    Högl: Ralf Jäger und der Innensenator von Hamburg wissen das und wir diskutieren darüber auch immer in der Innenministerkonferenz, bei der wir alle zusammensitzen und über diese Fälle sprechen. Wir sagen, dass in einzelnen Fällen auch eine Abschiebung nach Afghanistan möglich sein muss. Es ist sorgfältig zu prüfen, ob die Menschen dort, wohin sie abgeschoben werden, sicher leben können, dass keine humanitären Gründe dagegen sprechen. Und es ist auch vereinbart worden, dass vorrangig Straftäter abgeschoben werden. Wenn das erfolgt, dann kann das im Einzelfall sinnvoll sein. Aber in großem Stil nach Afghanistan abzuschieben, das sehen wir alle gemeinsam kritisch.
    Barenberg: Jetzt sind es 34 Menschen gewesen, weitere sollen folgen. Ist das aus Ihrer Sicht schon im großen Stil?
    Högl: Wir müssen wissen, dass in Deutschland über 12.000 Afghanen ausreisepflichtig sind. Das heißt, sie dürfen eigentlich in Deutschland nicht bleiben. Davon werden aber über 10.000 auch geduldet, weil die humanitäre Lage so ist, dass sie nicht zurückgeführt werden. Das heißt, wir haben ungefähr 2000 Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, die abgeschoben werden müssen. Hier plädiere ich dafür, auf dieser Basis weiterzumachen, wie wir das generell machen, nämlich die freiwillige Ausreise zu befördern, das heißt die Menschen dazu zu bewegen, sich einen sicheren Ort in ihrer Heimat zu suchen und sie zu unterstützen und zu motivieren, dahin auszureisen.
    "Das ist kein Kniefall vor Rechtspopulisten, sondern unser Rechtsstaat"
    Barenberg: Wenn es nur um eine vergleichsweise geringe Zahl geht, wenn wir Afghanistan anschauen, kann man dann umhin, diese Zwangsmaßnahme als einen Kniefall vor Forderungen von Rechtspopulisten wie der AfD zu betrachten?
    Högl: Nein, das ist kein Kniefall, denn unser Rechtsstaat, unsere Demokratie sehen vor, dass Menschen auch abgeschoben werden. Das ist im Einzelfall häufig grausam. Es gibt viele Härten. Die Menschen leben ja zum Teil lange bei uns. Aber das gehört dazu. Wenn wir Akzeptanz gewinnen wollen in unserer Bevölkerung dafür, dass Menschen hier geholfen wird, dass sie Schutz bekommen, dass sie bei uns bleiben dürfen, dann müssen wir Menschen auch zurückführen in ihre Heimatländer, die hier in unserem Land nicht bleiben dürfen. Das ist kein Kniefall vor Rechtspopulisten, sondern unser Rechtsstaat.
    Barenberg: Was Afghanistan angeht, hat die SPD das ja bisher immer als menschenrechtlich nicht verantwortbar gekennzeichnet. Wie können Sie sich erklären, dass beispielsweise Ralf Jäger, ein SPD-Politiker, seine Meinung jetzt geändert hat?
    Högl: Ralf Jäger muss als Innenminister natürlich in einem großen Land wie Nordrhein-Westfalen, wohin viele Menschen geflohen sind, auch dafür sorgen, dass es Akzeptanz in der Bevölkerung für Geflohene gibt und dass Menschen auch zurückgeführt werden. Trotzdem bleibe ich dabei: Diese Abschiebung ist hoch problematisch und da werden wir auch noch länger drüber diskutieren und auch der Zeitpunkt war nicht gut gewählt. Wenn wir parallel im Deutschen Bundestag deutlich machen, dass Afghanistan ein unsicheres Land ist, dann war auf jeden Fall der zeitliche Zusammenhang nicht optimal.
    Barenberg: Und jetzt müssen Sie für Akzeptanz dafür sorgen, dass Menschen zurückgeschickt werden in ein Land, in dem es Kämpfe in 31 von 34 Provinzen gibt. Hinreichend sicher?
    Högl: Nein! Nein, ich bin dafür, dass wir die Rückführungen nach Afghanistan zurückstellen, dass wir gucken, ob wir die freiwillige Ausreise befördern können. Und ich schließe mich unserer Menschenrechtsbeauftragten Bärbel Kofler an, die sagt, Rückführungen nach Afghanistan sind jetzt nicht richtig, weil die humanitäre Lage nicht ausreichend ist, weil das Land nicht sicher ist. Und auch die Evangelische Kirche und andere haben sich kritisch geäußert. Diese Kritik nehme ich sehr ernst und die gibt es in der SPD-Bundestagsfraktion auf jeden Fall auch stark. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, die Mehrheit vertritt diese Auffassung.
    Schwere Straftäter "haben ihre Flüchtlingseigenschaft verwirkt"
    Barenberg: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, anders als der Bundesinnenminister fordern Sie jetzt die Landesinnenminister auf, dem Beispiel nicht zu folgen, was jetzt gesetzt wurde?
    Högl: Genau, sondern erst sorgfältig zu prüfen und nur in Einzelfällen, in denen wirklich gewährleistet ist, dass die Menschen in Afghanistan wieder sicher leben können. Dazu muss man jeden Einzelfall prüfen. Das ist im Übrigen schon vor zehn Jahren bei den Innenministern auch vereinbart worden, Rückführungen nach Afghanistan nur in Einzelfällen, die vertretbar sind.
    Barenberg: Wie ist eigentlich diese Bemerkung vom Bundesinnenminister zu verstehen, dass es sich bei einem Drittel der Betroffenen jetzt bei diesem Flug, dass es sich da um Straftäter handelt? Haben Straftäter keinen Schutz vor Gewalt und Krieg verdient?
    Högl: Doch, sie haben auch einen Schutz vor Gewalt und Krieg verdient, und wir haben hohe Hürden dafür, wenn jemand so straffällig geworden ist, also wirklich schwere Straftaten begangen hat, dass ihm oder ihr die Flüchtlingseigenschaft aberkannt werden soll. Ansonsten ist das Flüchtlingsrecht so stark, dass es die Strafbarkeit in dem Sinne überlagert, dass die Strafe hier in Deutschland verbüßt werden muss. Auch das wird nur in Ausnahmefällen gemacht. Aber dort, wo Menschen wirklich schwere Straftaten begangen haben, da werden sie zurückgeführt, weil gesagt wird, damit haben sie ihre Flüchtlingseigenschaft verwirkt.
    Barenberg: Das heißt, wenn jemand hier eine Strafe verbüßt, in Deutschland verurteilt ist, dann würden Sie auch in diesem Fall, wenn es um Afghanistan geht, sagen, nicht abschieben?
    "Keine weiteren Verschärfungen" des Asylrechts derzeit nötig
    Högl: Genau so ist das und so sind auch unsere gesetzlichen Regelungen. Das haben wir auch in der Koalition miteinander vereinbart und grundsätzlich vertreten wir auch die Auffassung, dass es besser ist, eine Person verbüßt hier ihre Strafe, als dass wir sie in ein dermaßen unsicheres Land wie Afghanistan zurückführen.
    Barenberg: Wie steht eigentlich eine Partei wie die SPD da, wenn sich jetzt offenbart, dass Sie sagen, die Mehrheit der Bundestagsfraktion ist da sehr skeptisch bis dagegen, und einzelne Minister in den Landesregierungen tun das Gegenteil?
    Högl: Das zeigt natürlich, dass wir das alles miteinander diskutieren müssen und wir es hier mit keinen leichten Sachverhalten zu tun haben. Denn wir haben gemeinsam vereinbart, es ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Wir schauen sehr kritisch und sorgfältig auf die Situation in Afghanistan. Da ist im Übrigen auch das Auswärtige Amt natürlich daran beteiligt. Und die SPD steht für ein humanitäres Asylrecht. Das sind Dinge, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen, und das ist manchmal im Einzelfall so wie jetzt bei der Abschiebung nach Afghanistan nicht ganz einfach.
    Barenberg: Die CSU will ja noch viel weiter gehen. Vor Kurzem gab es den Vorstoß, dass eine Traumatisierung von Migranten beispielsweise kein Abschiebungshindernis sein kann. Wie wollen Sie verhindern, dass da mehr und mehr jetzt strengere Regeln durchgesetzt werden?
    Högl: Da sind wir in der Diskussion auch mit dem Bundesinnenminister. Diese Verschärfungen werden wir nicht mitmachen. Wir haben unser Asylrecht und auch das Ausweisungsrecht deutlich verschärft. Das war auch richtig und wichtig, um der Situation gerecht zu werden, weil so viele Menschen zu uns gekommen sind. Aber jetzt müssen wir diese gesetzlichen Änderungen auch erst mal wirken lassen. Und wir sagen ganz klar, wir brauchen keine weiteren Verschärfungen. Aber natürlich muss die Rückführung auch effektiviert werden. Dazu gehört mehr Geld für die freiwillige Ausreise. Wir stellen rund 100 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Und vor allen Dingen auch eine bessere, konzentriertere Aktion, jetzt nicht in Sachen Afghanistan, aber in andere Länder kann ja abgeschoben werden und das muss auch noch besser koordiniert werden. Dafür haben wir zum Beispiel auch mehr Geld für die Bundespolizei zur Verfügung gestellt, damit die die Bundesländer dabei auch unterstützen kann.
    "Die internationalen Kriterien wollen wir gewahrt wissen"
    Barenberg: Aber wie wollen Sie verhindern, dass beim nächsten Transport, bei der nächsten schon gecharterten Maschine Anfang Januar dann auch Frauen und Familien in die Chartermaschine gesteckt werden?
    Högl: Es gibt eine klare Vereinbarung, dass schwerpunktmäßig alleinstehende Männer, Straftäter, Menschen, die ihr Bleiberecht verwirkt haben, nicht geduldet sind, dass die ausreisepflichtig sind und abgeschoben werden. Und wir haben auch miteinander vereinbart, dass Frauen und Kinder und andere, auch Abschiebungen aus Schulen heraus, aus Krankenhäusern - Sie sprachen Traumatisierungen an -, kranke Menschen, dass die nachrangig abgeschoben werden müssen. Und ich betone noch mal: Jeder Einzelfall muss geprüft werden und die humanitäre Lage in dem Land, in das abgeschoben werden soll, ist ein ganz entscheidendes Kriterium.
    Barenberg: Von der Vereinbarung, von der Sie sprechen, hat der Bundesinnenminister offenbar nichts gehört. Er hat ja schon angekündigt, dass nächstes Mal auch Frauen und Familien dabei sein werden.
    Högl: Ja, wir haben ganz deutlich gemacht, Herr Barenberg, dass wir erwarten, dass die Bundesregierung nicht nur eine Vereinbarung mit der afghanischen Regierung schließt, sondern auch UNHCR und IUN, die Flüchtlingsorganisationen beteiligt sind, denn es ist nicht so, dass man das nur mit einer Regierung vereinbaren kann, sondern wir wollen auch die internationalen Kriterien, die für Flüchtlinge und auch für Rückführungen gelten, die wollen wir auch gewahrt wissen. Deswegen müssen diese Vereinbarungen auch mit den Flüchtlingsorganisationen getroffen werden.
    Barenberg: … sagt Eva Högl, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Högl: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.