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Afghanistan im Fußballrausch

Afghanistan hat die Südasienmeisterschaft 2013 gewonnen. Der Fußball hat es geschafft, dass sich die afghanische Bevölkerung vielleicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte abseits eines Krieges als ein Volk sieht.

Von Shikiba Babori |
    "Als der Ball in die Nähe des afghanischen Tors kam, hat mein Herz so sehr geklopft, dass mein ganzer Körper gezittert hat. Aber dann haben wir zur Gegenattacke angesetzt und ein Tor nach dem anderen geschossen und es geschafft."

    Tarik ist immer noch aufgeregt, wenn er von dem Fußballspiel Afghanistan gegen Pakistan erzählt. Er war Mitte August einer von 6000 Zuschauern, die das Spiel in Kabul verfolgten. Afghanistan gewann 3:0. Sowohl im Stadion als auch auf den Straßen wurde der Sieg ausgelassen gefeiert.

    Afghanistan ist im Fußballrausch. Trotz der Freude, die das ganze Land zurzeit elektrisiert, ist die politische Brisanz im südasiatischen Raum nicht zu leugnen, vor allem wenn Afghanistan auf den Erzrivalen Pakistan trifft. Der Trainer der afghanischen Nationalmannschaft Mohamad Yousef Kargar:

    "Ich möchte dem gesamten afghanischen Volk zu diesem Sieg gratulieren. Es ist sicherlich ein Sieg, der in diesen sehr sensiblen Zeiten eine besondere Bedeutung hat. "

    In Afghanistan ist alles Politik, auch der Fußball. Das zeigte sich vor zwei Wochen, als das Team der afghanischen Nationalmannschaft im Endspiel des South Asian Football Federation Cup Indien mit 2:0 besiegte. Zum ersten Mal überhaupt gelang dem durch Kriege geschundenen Land der Gewinn einer Meisterschaft: Sogar Präsident Hamid Karzai empfing die Mannschaft und äußerte sich anerkennend:

    "Ihr habt geschafft, wozu die Politik in den letzten zwölf Jahren nicht in der Lage war: Ihr habt die Nation vereint und glücklich gemacht. Dazu möchte ich Euch gratulieren."

    Offiziell ist der afghanische Fußballverband schon seit 1948 Mitglied der FIFA. Danach verhinderten Unruhen und Kriege allerdings jahrelang die weitere Entwicklung. Erst nach dem Sturz der Taliban 2001 versuchte man den Neuanfang. Die Mühen haben sich gelohnt: Afghanistan hat heute acht Fußballvereine. In diesem Jahr wurde sogar ein Fußballlied komponiert, das wie eine Hymne rund um die Spiele und auf allen Sendern zu hören ist.

    Die Spiele werden aus Sicherheitsgründen ausschließlich in Kabul ausgetragen. Gespielt wird nicht mehr im Ghazi-Stadium, wo die Taliban Frauen brutal steinigten und ihre Gegner hinrichten ließen, sondern im neu errichteten Stadion Maidan-e Sabz, dem grünen Platz, auf Kunstrasen.

    Die Zuschauer kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Für einen Eintrittspreis von umgerechnet vier Euro, dem Tageslohn eines Arbeiters, jubeln sie Vereinen zu, deren Namen sich aus der Mythologie ableiten oder sich auf historisch bedeutungsvolle Orte beziehen. Sie heißen "Shaheen Asmayee" – Falken des Asmayee-Gebirges, welches am Horizont Kabuls aufragt. Oder "Mawjhai Amu" – Welle des Amus, ein Fluss im Norden Afghanistans und Lebensader einer ganzen Region. Unter den Fans gibt es auch immer mehr Frauen. Sie kommen überwiegend aus der Mittelschicht.

    Bei den Wettkämpfen sollen die Spiele in Mittelpunkt stehen. Ethnische Konflikte und persönliche Belange sollen hier keinen Platz haben. "Gemeinsam ist man erfolgreich". Das ist der neue Teamgeist. Der Fußball mit seiner identitätsstiftenden Wirkung hat es hier geschafft, dass sich die afghanische Bevölkerung vielleicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte abseits eines Krieges als ein Volk sieht.

    Der neue Funke ist sogar auf die Politiker übergesprungen. Selbst sie bedienen sich jetzt Fußballslogans wie "Gemeinsam stark für eine erfolgreiche Zukunft", um für die bevorstehenden Wahlen im April 2014 Stimmen zu sammeln.