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"Afghanistan ist nicht Irak"

Der afghanische Außenminister Rangin Spanta hält die Darstellung der Gewalt in seinem Land für überzogen. Wachsamkeit sei sehr wichtig, "aber die Lage ist nicht so dramatisch", sagte Spanta. Er bekräftigte die Kritik seines Präsidenten Hamid Karsai an den internationalen Truppen, die bei ihren Einsätzen mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen sollten.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wieder sind es am vergangenen Wochenende auch zivile Opfer gewesen, Frauen und Kinder, die im afghanischen Grenzgebiet getötet worden sind. Vieles spricht dafür, dass ausgerechnet die internationale Schutztruppe ISAF dafür verantwortlich ist. Die Kämpfe im Süden des Landes werden immer heftiger, die Taliban-Milizen immer stärker, die Zahl der Toten immer größer auf allen Seiten. Grund für Präsident Karsai, die NATO-Truppen heftig zu kritisieren, sie aufzufordern, ihre Militärstrategie zu ändern. Geht Kabul auf Distanz zur westlichen Staatengemeinschaft? Die politischen Spannungen haben jedenfalls ganz massiv zugenommen.

    Am Telefon begrüße ich nun den afghanischen Außenminister Rangin Spanta. Guten Morgen!

    Rangin Spanta: Schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Spanta, was machen die ISAF-Soldaten falsch?

    Spanta: Eigentlich haben wir eine gemeinsame Aufgabe, nämlich die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. In den letzten fünfeinhalb Jahren haben wir viel erreicht in Afghanistan. Aber in den letzten Tagen haben wieder die Fälle der zivilen Opfer zugenommen infolge der massiven Bombardements, die stattfinden. Das ist natürlich, ich kann das auch verstehen, das ist die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und Sicherheitstruppen auf terroristische Aktivitäten der Taliban. Die Taliban-Truppen sind nicht verstärkt worden; die sind schwächer. Aber die ziehen sich zurück und verstecken sich unter der Zivilbevölkerung.

    Jetzt gibt es zwei Aufgaben: Entweder die Anti-Terror-Allianz bombardiert sie, oder sie bombardiert nicht. In beiden Fällen sind die Taliban Gewinner. Wenn sie unversehrt bleiben, dann haben sie Erfolg, aber wenn sie bombardiert werden, dann haben wir zivile Opfer, und dann gibt es ein anderes Problem. Wir haben gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft gegen diese Taktik der Taliban neue Strategien zu entwickeln. Wichtig ist, dass wir gemeinsam diesen Kampf fortsetzen wollen. Wir müssen den Terror in dieser Region endgültig vernichten.

    Müller: Herr Spanta, noch mal die Frage: Was machen die ISAF-Soldaten denn falsch?

    Spanta: Wir brauchen mehr Koordination mit afghanischen Sicherheitskräften. Die Folge der massiven Bombardements sind manchmal Tote in der Zivilbevölkerung. Auf diese Art können wir die Taliban nicht vernichten. Da brauchen wir eine bessere Koordination mit Einheimischen und mit afghanischen Sicherheitsorganen.

    Müller: Demnach sind die NATO-Truppen zu martialisch, zu bombastisch im wahrsten Sinne des Wortes?

    Spanta: Das würde ich nicht sagen. Aber auf jeden Fall alleine nur mit Bombardements und einer Inkaufnahme von Toten in der Zivilbevölkerung erreichen wir nicht das, was wir wollen. Das Gegenteil können wir erreichen. Das heißt, die Taliban könnte an Sympathie gewinnen, und das ist deren Taktik.

    Müller: Gilt das für eine bestimmte Einheit der ISAF-Truppen oder für bestimmte Truppenkontingente? Frage deshalb, weil immer wieder ganz besonders die amerikanischen Truppen in der Kritik stehen.

    Spanta: Wissen Sie, die Amerikaner tragen die Hauptlast im Kampf gegen den Terrorismus und die Hauptlast des Wiederaufbaus in Afghanistan. Das würde ich nicht so sagen, dass es alleine die Amerikaner sind, aber weil terroristische Aktivitäten im Süd- und Ostteil Afghanistans am meisten stattfinden, betrifft das natürlich Gebiete, wo Amerikaner, Engländer und Kanadier sowie auch Niederländer stationiert sind. Infolgedessen können die zivilen Opfer durch Kampfhandlungen von diesen Truppen verursacht werden.

    Müller: Nun möchte ja, Herr Spanta, Ihre Regierung in Kabul schon seit längerem diese Strategie modifizieren, wenn wir das etwas moderat ausdrücken wollen, das heißt, die ISAF-Truppen doch dazu zu bewegen, etwas zielgenauer und weniger massiv vorzugehen. Warum hört Washington nicht auf die Regierung in Kabul?

    Spanta: Das haben wir mehrere Male angemahnt, und wie Sie auch mitbekommen haben, hat Präsident Karsai jetzt sehr heftig reagiert. Wir sind damit nicht einverstanden. Wir müssen gemeinsame Strukturen zur besseren Koordination der Kampfhandlungen und auch Kampfhandlungen aus der Luft schaffen, damit die Zahl der zivilen Opfer enorm reduziert wird. Das ist unser Wunsch, und darauf bestehen wir auch.

    Müller: Verliert der Westen an Glaubwürdigkeit in Afghanistan?

    Spanta: Nein! Der Westen ist wirklich, das wird auch von der afghanischen Mehrheit so wahrgenommen, als Befreier nach Afghanistan gekommen. Die sind nicht als Besatzungsmacht gekommen. Das Taliban-Regime ist weg. Mehr als sechs Millionen afghanische Kinder gehen zur Schule. Wir haben freie Zeitungen, eine freie Presse, einen gewählten Präsidenten, ein gewähltes Parlament, und wir haben in den letzten fünfeinhalb Jahren mehr als 3500 asphaltierte Straßen gebaut. Die Wirtschaft entwickelt sich mindestens in großen Teilen Afghanistans. Wir haben Probleme im Süden und Südosten Afghanistans ,und diese Probleme müssen wir reduzieren, mehr zivile Aufbauelemente reinbringen in den Anti-Terror-Kampf, den wir momentan gemeinsam führen.

    Müller: Herr Minister, Ihre Regierung steht auch immer heftiger in der Kritik in den zurückliegenden Monaten. Was haben sie falsch gemacht?

    !Spanta: Wir sind mit vier zentralen Herausforderungen konfrontiert: erstens dem Fortdauern und Fortbestehen des Terrorismus. Zweitens ist es die Drogenproblematik in Afghanistan. Drittens ist es die Schwäche der staatlichen Institutionen, Serviceleistungen an die Bevölkerung heranzubringen, und viertens gibt es das Problem der Korruption. Hier müssen wir entsprechend umfangreiche Anti-Strategien entwickeln.

    Müller: Korrespondentenberichte besagen, dass die Regierung in Kabul und auch Präsident Karsai immer mehr an Rückhalt in der Bevölkerung verliert. Stimmen diese Berichte?

    Spanta: Wissen Sie, da muss man die Lage vor Ort mal sehen. Wir haben natürlich einige Schwierigkeiten. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Was wir erreichen wollten, die Ziele, die wir uns gesetzt haben, haben wir noch nicht erreicht. Aber das Erreichte bis jetzt ist doch immens. Darüber sind wir stolz. Unsere Regierung hat die Unterstützung der absoluten Mehrheit der afghanischen Bevölkerung. Auch die internationalen Gemeinschaft in Afghanistan hat die Unterstützung der Mehrheit der afghanischen Bevölkerung. Afghanistan ist nicht Irak. Hier ist die Lage ganz anders.

    Müller: Wer ist dafür verantwortlich, dass die Taliban-Milizen immer stärker werden?

    Spanta: Die Taliban-Milizen werden nicht stärker. Als ich letztes Mal in Deutschland war, habe ich in allen Zeitungen und bei allen Diskussionen miterlebt, dass man von einer Frühlingsoffensive der Taliban und einer Art Horrorszenario gesprochen hat, und Sie wissen, so eine Offensive ist nicht zu Stande gekommen. Es gibt Selbstmordattentate, und die machen das alles natürlich sehr medienwirksam. Unser Problem ist, dass wir unsere Erfolge nicht genug an die Öffentlichkeit sowohl in Afghanistan wie auch außerhalb des Landes bringen können, damit die Menschen das wahrnehmen können, dass man in Afghanistan auch viel erreicht hat.

    Müller: Sie sagen, die Taliban-Milizen werden nicht stärker. Warum werden die Kämpfe dann im Süden immer heftiger, und warum steigen die Todeszahlen?

    Spanta: Vergleichen wir mit dem letzten Jahr: Im letzten Sommer hatten wir eine Offensive der Taliban, wo die in der Lage war, Distrikte für ein, zwei Wochen zu erobern und unter Kontrolle zu bringen, nicht einen Distrikt, sondern mehrere in der Region Helmand und Kandahar. In diesem Sommer haben sie es bis jetzt noch nicht geschafft, ein einziges Dorf unter Kontrolle zu bringen. Nur ein einziges Beispiel, das haben wir nach zwei Tagen wieder befreit.

    Müller: Blicken wir auf den Norden des Landes. Dort sind auch deutsche Soldaten stationiert und engagiert. Es hat jüngst wieder Anschläge gegeben auch gegen deutsche Soldaten. Hat der Rückhalt der Deutschen in Afghanistan verloren?

    Spanta: Nein! Die Deutschen genießen immer noch große Sympathie bei der Bevölkerung. Wir müssen wachsam bleiben und auch vorsichtig bleiben, weil die Terroristen versuchen, überall zurückzuschlagen wo sie dazu in der Lage sind. Die Wachsamkeit ist sehr wichtig, aber die Lage ist nicht so dramatisch.

    Müller: Herr Spanta, wenn Sie sagen, die Sicherheitslage unterscheidet sich natürlich zwischen Nord und Süd, heißt das auch im Umkehrschluss, die deutschen Soldaten haben es wesentlich einfacher als die britischen, kanadischen und amerikanischen?

    Spanta: Ja, das ist wahr. Die Sicherheitslage im Norden und Westen Afghanistans ist unvergleichbar mit der im Süden. Die Problemfelder sind im Süden an der Grenze zu Pakistan, weil die Terroristen vom Ausland nach Afghanistan kommen, wo sie bewaffnet und ausgebildet werden und wo sie ihre Finanzquellen haben. Der Norden ist ziemlich sicher.

    Müller: Es wird ja, Herr Spanta, viel darüber gestritten, inwieweit das deutsche Konzept der deutschen Soldaten, also zivilen Wiederaufbau ganz nach vorne auf die Agenda zu setzen, eben auch übertragbar ist in den Süden. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, ist das nicht übertragbar in den Süden?

    Spanta: Wir müssen diesen Prozess natürlich beginnen. Wir brauchen eine umfangreiche Strategie. Das heißt, wir sollten mit der militärischen Stärke vorgehen, die wir demonstrieren sollten, wo wir auch gegen die Terroristen handeln sollten, gleichzeitig versuchen, Wiederaufbauprojekte und mehr zivile Elemente wie Schulbau, Krankenhäuser auszubauen und bei der Bevölkerung in den südlichen Provinzen alternativen Anbau anstelle von Drogen anzubieten et cetera, diese Politik müssen wir vorantreiben, aber gleichzeitig die afghanischen Sicherheitskräfte verstärken, damit Afghanistan in die Lage versetzt wird, das Land selbst zu verteidigen. Ohne eine Anti-Terror-Strategie mit militärischen und zivilen Elementen werden wir keinen Erfolg haben. Ich bin sehr froh darüber, dass diese Strategie als richtige Strategie zur Kenntnis genommen wird auch von anderen Ländern.

    Müller: Das war der afghanische Außenminister Rangin Spanta. Vielen Dank für das Gespräch.