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Afghanistan-Konferenz in Berlin

Lange: Tagelang wurde über Ort und Termin gebrütet. Seit gestern Abend ist klar, in Berlin beginnt am Montag eine Afghanistan-Konferenz. Dann sollen die Vertreter der Volksgruppen unter dem Schirm der UNO über eine Übergangsregierung verhandeln. Grundlage ist ein Fünf-Punkte-Plan, der den Weg zu einer Verfassung und zu einer dauerhaften Regierung beschreibt. Welche Chancen, welche Risiken stecken in dieser Konferenz? Wie sind im Moment die Machtverhältnisse in Afghanistan und mit welchen politischen Akteuren haben wir es demnächst überhaupt zu tun? In unserem Studio in Berlin begrüße ich jetzt Christoph Burgmer, Journalist und Afghanistan-Kenner. Guten Morgen.

    Burgmer: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Herr Burgmer, was dürfen wir uns von dieser Konferenz erhoffen und welche Hoffnungen sollten wir besser jetzt schon begraben?

    Burgmer: Begraben sollten wir die Hoffnung auf eine schnelle politische Lösung und auf eine Übereinkunft verschiedener afghanischer Gruppen in Berlin. Die Hoffnung, die wir haben können, ist, dass die verschiedenen Führer der verschiedenen Gruppen überhaupt mal wieder auf internationalem Parkett, zusammen mit der UNO, miteinander sprechen. Das war das letzte Mal 1996 der Fall.

    Lange: Es gibt den König im Exil. Es gibt den ehemaligen Präsidenten Rabbani. Es gibt die Führer der Paschtunen, der Usbeken, der Tadschiken. Lassen Sie uns das mal sortieren. Wofür stehen sie und wie stark sind sie?

    Burgmer: Es gibt verschiedene Gruppen, die sich nicht nur an den ethnischen Besonderheiten ausrichten, also Usbeken, Tadschiken, Hazara, Paschtunen. Es gibt auch militärische Gruppen. Es gibt Interessensverbände, die auf Stammesallianzen beruhen. Wenn wir das durchgehen wollen, die Usbeken stehen eigentlich für den Einfluss Usbekistans, des Nordens, die Tadschiken stehen für den Einfluss Tadschikistans, die Hazara stehen für den Einfluss der Schiiten, insbesondere Iran, die Paschtunen stehen für den Einfluss Pakistans, wenn man so will. Also jede dieser Volksgruppen steht für ein externes anderes Land.

    Lange: Was dann auch gleichzeitig beschreibt, welches Problem Afghanistan insgesamt hat.

    Burgmer: Insgesamt hat Afghanistan das Problem, dass es eigentlich kein Land ist, wenn man so will. Für Afghanistan als Ganzes steht letztlich eigentlich nur noch der König.

    Lange: Sehen Sie denn irgendein Minimalkonsens zwischen denen, was die Zukunft des Landes angeht?

    Burgmer: Ja, also ein Minimalkonsens scheint darin zu bestehen, dass es eine politische Führung geben wird, wahrscheinlich unter Führung von Rabbani. In Kabul wird sich diese Führung etablieren. In den Landesteilen werden dann aber wiederum regionale Machthaber regieren. Zum Beispiel im Norden, in Masar-i-Scharif deutet es sich schon an, dass Dostum, jener Warlord, der für Gräueltaten bei der Eroberung von Masar-i-Scharif 1997 durch seine Truppen verantwortlich gemacht wurde, wieder die Macht übernehmen wird. In Herat, also im äußersten Nordwesten, wird sich wahrscheinlich eine vom Iran gestützte regionale Regierung etablieren, und so kann man eigentlich ganz Afghanistan durchdeklinieren und überall dort werden sich - nach Provinzen sortiert - gewisse Einflüsse ergeben, die aber unter dem Dach einer Zentralregierung in Kabul stehen werden, die dann auch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wäre und würde. Wenn man das erreichen könnte, dann wäre das schon ein gewisser Fortschritt, denn man hätte auf jeden Fall diesen Tiger der Warlords, der seit zehn Jahren in Afghanistan wütet, domestiziert.

    Lange: In Afghanistan herrschte ja auch vor dem Taliban-Regime Bürgerkrieg. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Akteure jetzt sozusagen zum Status quo ante zurückkehren und dann mit dem Bürgerkrieg weitermachen, wo sie seinerzeit aufgehört haben?

    Burgmer: Also, der Grund dafür, dass sich die Taliban als Herrscher in Afghanistan etablieren konnten, waren genau diese Bürgerkriegszustände, die das politische Zentrum Kabul in Schutt und Asche gelegt hatten. Die Auseinandersetzungen der verschiedenen Gruppen waren Auseinandersetzungen, nicht nur zwischen politischen Akteuren, sondern auch zwischen städtischer Intelligenz und, sagen wir mal ländlichen, lokalen, nicht urbanen Strukturen. Es ist ein sehr vielschichtiger Konflikt gewesen und die Taliban haben versucht, durch eine fast schon unmenschliche Disziplin diese Ordnung im ganzen Land wiederherzustellen. Ob das der Nordallianz gelingen wird, halte ich für sehr fraglich. Ob es zu einem neuen Bürgerkrieg kommen wird, weiß man nicht, weil der alte Krieg noch gar nicht beendet ist, das kann niemand voraussagen.

    Lange: Es gab schon gewisse historische Vorläufer bei dem Versuch, bestimmte Länder zu befrieden, denken wir an Somalia oder an Bosnien. Gibt es irgendein Land wo Sie meinen, das könnte parallel laufen?

    Burgmer: Also, mit der Situation in Somalia gemein hat Afghanistan sicherlich die verschiedenen regionalen Warlords, die ihre Herrschaft nacht traditionellen Stammesorganisationsprinzipien etablieren. Mit Bosnien gemein hat Afghanistan, dass sich auch ein religiöser Konflikt dahinter verbirgt, zwischen den Hazara als ethnische Minderheit, aber auch als schiitische Minderheit und den Paschtunen, den Tadschiken. Und so ist es eine Art eigener Konflikt, aber auch eine Art neuer, besonderer Konflikt, weil weder in Bosnien noch in Somalia so viele Regionalmächte eine Rolle gespielt haben, wie es in Afghanistan der Fall ist. Also, wir haben den Einfluss aller Staaten drum herum. Es geht um eine Neuordnung dieses mittelasiatischen Raumes, und das wird an Afghanistan festgemacht.

    Lange: Immerhin ziehen die USA und Russland am selben Strang. Das könnte die Chancen für eine Einigung verbessern.

    Burgmer: Das kann die Chancen verbessern. Allerdings ist der Einfluss der Russen nicht besonders groß, denn die Erfahrung, die man mit der damaligen Sowjetunion in Afghanistan gemacht hat, wirkt nach. Die USA werden sicherlich das Patronat in Afghanistan haben und sie werden auch diese neue Regierung in Afghanistan stützen, denn es wird mit dieser neuen Regierung wahrscheinlich gelingen, Pakistan in gewisse Grenzen und Schranken zu verweisen. Pakistan hatte sich durch die Taliban so etwas wie die Position einer Regionalmacht, einer Art Ordnungsmacht verschaffen, und das wird durch diese Hintertür den USA gelingen. Der europäische Einfluss - um darauf nochmals zu sprechen zu kommen - wird nicht sonderlich groß sein, obwohl es gerade zu Deutschland sehr große Affinitäten gibt, wie Sie wissen, und auch sehr gute Beziehungen, die sich auch durch die Zeiten der Taliban gehalten haben.

    Lange: Herr Burgmer, das Taliban-Regime ist u.a. auch durch diese nahezu unglaubliche Entrechtung der Frauen aufgefallen. Haben die afghanischen Frauen denn jetzt eine reelle Chance, am politischen und gesellschaftlichen Leben angemessen beteiligt zu werden?

    Burgmer: Nein, das muss man verneinen. Die afghanischen Frauenorganisationen haben sich in ihrer Not - kann man praktisch sagen - auf den König bezogen. Sie versuchen, über den König eine Neuordnung des Landes durchzusetzen, wobei man unterscheiden muss zwischen urbanen Frauenorganisationen, d.h. Frauenorganisationen, die in den Städten sind, in Kabul, Herat oder Kandahar und Organisationen auf dem Land. In den Städten wird es sicherlich eine gewisse Frauenbeteiligung geben. Das Problem ist, dass die meisten Frauen auf dem Land sind, auf dem Land wohnen, Analphabetismus normal ist, und sie überhaupt keine Möglichkeit zur politischen Partizipation haben. Die neue Regierung hat schon klargemacht, dass sie es eigentlich nicht gerne sieht, wenn sich Frauen in der Öffentlichkeit zeigen. Rabbani ist zwar nicht so radikal, wie die Taliban, aber er ist keiner, der unbedingt für einen emanzipatorischen Gesellschaftsansatz steht. Keine dieser Gruppen steht dafür.

    Lange: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Burgmer.

    Link: Interview als RealAudio