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Afghanistan
Nach dem Rückzug der internationalen Truppen

Von Jürgen Webermann |
    Muhammad Shafiq "Safi" ist erst nicht zu sprechen, dann hat er es sich anders überlegt.
    "Guten Morgen."
    Es ist Freitag, der islamische Feiertag, und "Safi" trägt eine weiße Kurta, ein traditionelles Gewand. Das "Guten Morgen" hat Safi in Munster gelernt, er war dort auf der Panzerschule.
    Safi führt in seinen Besprechungsraum in ein unscheinbares Betongebäude. Die Farbe an den Wänden bröckelt, die Bürostühle sind kaputt. Das Licht flackert. Safi kommandiert die Spezialpolizei in Kundus. Und sein Unterstand befindet sich mitten im ehemaligen Feldlager der Bundeswehr, die vor knapp einem Jahr abgezogen ist.
    "Seit die Deutschen weg sind, waren ein paar deutsche Journalisten hier. Aber von der Bundeswehr haben wir seit ihrem Abzug nichts mehr gehört."
    Das Lager in Kundus wirkt wie eine Geisterstadt im amerikanischen Mittleren Westen. Sand hat sich auf die Wege gelegt, Bäume und Büsche sind verdorrt. Ein Schild prangt am Zaun vor Safis Unterstand, auf deutsch steht darauf: "Tal der Tränen", warum, das weiß auch Safi nicht. Es sind kaum Polizisten zu sehen. Diejenigen, die heute Dienst haben, sind draußen, um die Straßen zu sichern oder irgendwo gegen Taliban zu kämpfen.
    "Wir haben Probleme hier. Mit Taliban-Kämpfern aus allen möglichen Gegenden. Aus Pakistan, aus Usbekistan und aus Tadschikistan. Sogar aus dem Iran. Wir haben Bombenanschläge am Straßenrand, Angriffe auf Polizeiposten, was immer die Terroristen wollen."
    Tagsüber können Safis 260 Mann gemeinsam mit der Armee die Hauptstraßen Richtung Mazar-i-Sharif und Richtung Süden sichern. Aber nachts überrennen die Taliban immer wieder Vorposten der Sicherheitskräfte. Kundus ist ein unberechenbarer Ort. Die Fahrt dorthin führt durch Dörfer, die fest in der Hand von Taliban sind. Auch in der Stadt gibt es immer wieder Anschläge. Meist kamen die Angreifer bisher auf dem Motorrad. Seit einiger Zeit sind Motorräder auf Kundus' Straßen deshalb verboten.
    Es ist "Fighting Season" in Afghanistan, Kampf-Saison, wie jedes Jahr im Sommer, wenn die Bergpässe zugänglich sind und die Extremisten ins Land einsickern. Die Taliban greifen an, wo sie können. Allein am vergangenen Montag starben 45 Soldaten und Polizisten bei Kämpfen im Süden des Landes. Und in Kabul, in der Hauptstadt, explodiert beinahe täglich irgendwo ein Sprengsatz oder es schlägt eine selbst gebaute Rakete ein.
    Wer zu Rangin Spanta möchte, muss Zeit mitbringen. Spanta residiert im Präsidentenpalast von Kabul. An sieben Kontrollpunkten wird jede Tasche, jeder Stift und Zettel durch den Röntgenscanner geschoben, und der Besucher genau abgetastet. Die Soldaten haben ihre Maschinenpistolen stets schussbereit. Sie wirken angespannt.
    Ranin Dadfar Spanta ist der Nationale Sicherheitsberater Afghanistans, ein enger Vertrauter des Präsidenten Hamid Karsai. Er hat in Deutschland gelebt, und er mag es, Interviews auf deutsch zu geben.
    "Nein, ich glaube nicht, dass es sich um eine normale Fighting Season handelt. Die Kalkulation ist einerseits, dass die internationalen Truppen zurückgegangen sind, die haben jetzt noch 35.000 Mann, und das sind keine Kampftruppen, die beteiligen sich überhaupt nicht. Und die Taliban denken, sie können die Regierung schwächen und ein paar Provinzen besetzen. Aber die haben es nicht geschafft, bisher eine einzige Provinz dauerhaft zu besetzen. Und wir haben bisher gut verteidigt."
    Wie Kommandeur Safi in Kundus glaubt auch Ranin Spanta, dass es vor allem pakistanische Taliban sind, die in Afghanistan angreifen. Und dass Pakistan hinter dem Terror steckt. Tatsächlich hatte das Nachbarland seit den 90er Jahren immer wieder einzelne Taliban-Gruppen finanziell, heimlich mit eigenen Offizieren und mit Waffen unterstützt. In Pakistan tauchen die Taliban immer wieder unter. Und Spanta glaubt nicht, dass sich daran etwas geändert hat. Dabei kämpft die pakistanische Armee seit Monaten selbst gegen die Taliban. Aber laut Spanta nur gegen die Gruppen, die in Pakistan Terroranschläge verüben. Diejenigen, die in Afghanistan einsickern, blieben dagegen unbehelligt.
    "Definitiv ich kann Ihnen sagen, die haben die afghanischen Taliban nicht bekämpft, die haben die Führung von Al Kaida, die Kontakt mit pakistanischen Geheimdienst haben, nicht bekämpft, sondern geschont, das ist der Grund, warum wir damit gar nicht zufrieden sind."
    Doch sind es nur Ausländer, die aus Pakistan nach Afghanistan einsickern und den Krieg dort voran treiben?
    Zurück im Polizeilager in Kundus, das so langsam verfällt. Das Krankenhaus, das die Deutschen für fünf Millionen Euro für die afghanischen Sicherheitskräfte ausgerüstet haben - es ist außer Betrieb. Kommandeur Safi schickt seine Verwundeten zur Versorgung in die Stadt. Viele Geräte können die Polizisten nicht bedienen, weil sie auf Deutsch beschriftet sind. Nicht mal die Küche können sie benutzen. Und niemand hat ihnen erklärt, was Worte wie "Brandschutzeinrichtung", Hauptmelder oder Voralarm bedeuten.
    Kommandeur Safi sagt zu Beginn des Treffens, noch habe er alles im Griff. Doch je länger das Gespräch dauert, desto mehr muss Safi zugeben, dass nicht nur ausländische Islamisten in Kundus aktiv sind. Unten in der Stadt kursieren Geschichten von Kämpfern, die aus Kundus stammen und bei den Taliban einfach nur Geld verdienen wollen. Kaum jemand in der Stadt hat Arbeit. Hilfsprojekte auch aus Deutschland werden wegen der Kämpfe kaum noch umgesetzt. Das bestätigt auch Safi.
    "Natürlich kämpft hier jeder ums Überleben. Der Autowäscher. Der Ladenbesitzer. Der Restaurantbesitzer. Alle. Und die Lage wird immer problematischer."
    Wird sich das auf die Sicherheitslage auswirken? Safis Antwort folgt sofort:
    "Ja, ich denke, das wird es."
    Während Safi das sagt, sind seine Männer draußen auf dem Land im Dauereinsatz. Fünf Tage dauern die Kämpfe diesmal. Zwei Tage nach dem Interview müssen die Behörden zugeben, dass dabei allein 20 Zivilisten getötet wurden.