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Afrika im Mittelalter
Ein unterschätzter Kontinent

Über das afrikanische Mittelalter ist wenig bekannt. Wie es dennoch gelingen kann, mehr über Afrika zu erfahren, zeigt der Historiker François-Xavier Fauvelle in seinem Buch "Das goldene Rhinozeros". Sein Fazit: Der Kontinent ist alles andere als gesichtslos.

Von Marc Engelhardt | 15.01.2018
    Buchcover: François-Xavier Fauvelle: "Das goldene Rhinozeros"
    Afrika wartet noch darauf, dass die Geschichte des Kontinents entdeckt wird. (Buchcover: C.H. Beck Verlag, Foto: dpa / picture alliance / Arved Gintenreiter)
    Afrikas Geschichte liegt weitgehend im Dunkeln. Sicher, man kennt die Pyramiden, Karthago, vielleicht noch die nubischen Tempel im heutigen Sudan. Aber sonst? Als portugiesische Seefahrer im 15. Jahrhundert ihre ersten Handelsposten südlich der Sahara errichteten, berichteten sie von einem geschichtslosen Kontinent. Dieses Bild hat sich bis heute gehalten.
    Hohes Ansehen in Europa
    Vollkommen zu Unrecht, wie der französische Historiker François-Xavier Fauvelle auf eindrucksvolle Weise belegt. In seinem Buch "Das goldene Rhinozeros" geht er auf eine immer wieder überraschende Spurensuche, die zeigt, wie vielseitig Afrikas Vergangenheit ist.
    "Die "dunklen Jahrhunderte" Afrikas sind nur so dunkel, weil die Dokumentation ein so schwaches Licht auf sie wirft. Doch so spärlich und vage sie auch dokumentiert sein mögen, sie verdienten wohl eher den Namen "goldene Jahrhunderte". Dieses Afrika erlebte die Entwicklung von Städten, in denen Fürsten ihre Paläste hatten und Moscheen oder Kirchen gebaut wurden, wo fremde Kaufleute ansässig waren und man Luxusartikel und Sklaven tauschte. Es war entscheidend an der Ausbeutung seiner eigenen Ressourcen beteiligt, unter denen das Gold eine besondere Stellung einnahm. In der damaligen Welt genoss dieses Afrika hohes Ansehen, von Europa bis China."
    Vieles nur mündlich überliefert
    Fast ein Jahrtausend betrachtet Fauvelle, die Zeit vom siebten bis zum 16. Jahrhundert. Es ist eine Zeit, aus der kaum Quellen erhalten geblieben sind, wie er selber betont. Die wenigen sind nicht etwa europäischen, sondern vor allem arabischen Ursprungs. Schriften von Gelehrten wie Ibn Battuta, der im 14. Jahrhundert eine Weltreise durch die islamische Welt unternahm, helfen bei der Entschlüsselung der wenigen Fundstücke, die es aus Afrikas Mittelalter gibt. Afrikanische Überlieferungen gibt es dagegen kaum. Denn Schriftkulturen waren rar, Geschichte wurde vorwiegend mündlich überliefert - und geriet in Vergessenheit.
    "Man stelle sich vor, wir wissen nicht einmal, wo sich die Hauptstadt von Mali in ihrer Blütezeit, Mitte des 14. Jahrhunderts, befand. Unzureichende Forschung? Wahrscheinlich. Aber fügen wir gleich hinzu: Wenn die Orte, von Dünen, Mangroven oder der Savanne verschlungen, verloren gegangen sind, wenn die zufällig durch archäologische oder geologische Erkundungen wiederentdeckte Stätten keine lebendige Bedeutung bewahrt haben, dann nicht nur, weil sie unzureichend schriftlich dokumentiert sind, sondern weil das kollektive Gedächtnis unterbrochen wurde."
    Nicht dunkel, sondern vergessen sei die Geschichte Afrikas nach Sklavenhandel und Kolonialzeit. Und aus dieser Vergessenheit befreit Fauvelle sie, indem er in 34 Episoden berichtet, was sich heute rekonstruieren lässt. Es ist ein großes Puzzlespiel, und Fauvelle ein ehrlicher Spieler. Er habe das Mosaikfenster dem großen narrativen Fresko vorgezogen, schreibt er. Manchmal bedeutet das, dass er nur vermuten kann, was eine am Yangtse gefundene Stele wirklich über chinesische Afrikareisen im 7. Jahrhundert verrät - oder ob einer der ersten muslimischen Eroberer, Uqba ibn Nafi, um 666 tatsächlich immer tiefer in die Sahara vorstieß, nur mit einer Frage an die bekehrten Siedler als Kompass: Gibt es noch jemanden jenseits von Euch?
    Perfekte Logistik in der Sahara
    Dann wieder präsentiert Fauvelle auf einmal einen detaillierten Stadtplan, der zeigt, wie organisiert die Handelsstädte in der Sahara waren: Jedem Händler sein eigener Hof, errichtet an den Ausfallstraßen zur Transsahara-Route. Perfekte Logistik vor mehr als 1000 Jahren. Aus Persien und dem Irak kamen die Menschen in die Stadt Aoudaghost im heutigen Mauretanien, und setzten riesige Summen um.
    "Die schriftlichen Quellen sagen uns, dass Aoudaghost (aus dem Norden) Kupfer importiert und (in Richtung Norden) Gold exportiert. Aber die Archäologie lässt uns verstehen, dass es sich hier nicht um einen einfachen Austausch von Rohmetallen handelt. Die Grabungen haben in der Tat Spuren von Metallverarbeitung und Manufaktur ergeben. Neben dem Leder von Oryxantilopen, aus dem man Schilde macht, die in der ganzen Sahara und im Maghreb berühmt sind, neben der einheimischen Keramik- und Glasherstellung, den Perlen aus Muscheln und den Straußeneierschalen, die von der Existenz eines regelrechten Handwerkzentrums zeugen, ist Aoudaghost auch und bereits ein "industrielles" Zentrum, das von seiner günstigen Lage als Umschlagplatz und Handelshafen profitiert."
    Aoudaghost ist eine der wenigen großen Grabungsstätten in Afrika südlich der Sahara. In anderen Fällen lässt sich nicht einmal genau rekonstruieren, wo eine Stadt einmal stand. Das angeblich sagenhaft reiche Ghana wird im 11. Jahrhundert in einer von Dünen eingeschlossenen Senke im Süden Mauretaniens verortet - hundert Jahre später an einem Fluss im heutigen Marokko.
    Handel mit Asien?
    Manchmal ist es gar nur ein einzelnes Fundstück, das Hinweise auf die Vergangenheit gibt: Etwa das goldene Rhinoceros, das dem Buch seinen Titel gibt und 1932 von Löwenjägern aus einem 900 Jahre alten Grab in Südafrika gestohlen wurde.
    "Das kleine Rhinozeros zeugt vielleicht auf seine Art von der Existenz eines noch komplexeren Beziehungsnetzes. Rekonstruiert, dann restauriert, ist das Objekt etwas mehr als vierzehn Zentimeter lang. Die Ausgräber, die Konservatoren, die Restauratoren sind sich sicher: Das Tier hat nie ein zweites Horn besessen. Man kann darin einfach ein stilistisches Merkmal sehen oder die Darstellung einer asiatischen Spezies, des Indischen Panzernashorns oder des Java-Nashorns."
    Trieben Südafrikaner vor 900 Jahren also schon Handel mit Asien? Fauvelle weiß es nicht genau, aber er präsentiert die durchaus zahlreichen Fakten mit einer solchen Faszination, dass man bei den offenen Fragen gerne miträtselt. Das gilt für die Swahili-Städte von Kilwa ebenso wie für die riesigen Stelen von Axum oder das Reich Groß-Simbabwe. "Das goldene Rhinozeros" ist eine spannende Lektüre, und zugleich ein Plädoyer für mehr Geschichts- und Selbstbewusstsein in Afrika. Der Kontinent ist nicht geschichtslos - seine Geschichte wartet nur in vielen Fällen noch darauf, entdeckt zu werden.
    François-Xavier Fauvelle: "Das goldene Rhinozeros. Afrika im Mittelalter"
    C.H.Beck, 320 Seiten, 29,95 Euro, Aus dem Französischen übersetzt von Thomas Schultz