Afrika, Asien, Russland und Osteuropa, das sind die Brennpunkte. Am Sonntag beginnt in Barcelona die 14. internationale Aidskonferenz, und schon vorher ist klar, was nachher geschehen muss. Die Anstrengungen im Kampf gegen Aids müssen verstärkt werden. Am Telefon in Genf ist Bernhard Schwartländer, Chefepidemiologe von UNAIDS. Guten Morgen, Herr Schwartländer.
Schwartländer: Guten Morgen.
Remme: Herr Schwartländer, welche Aufgaben stellen sich vor der Konferenz in Barcelona?
Schwartländer: Die Aufgaben sind massiv. Sie haben schon gesagt, dass wir bereits mehr als 20 Millionen Menschen durch die Immunschwächekrankheit Aids verloren haben, aber das Schlimme ist, dass noch sehr, sehr viel mehr kommen wird, wenn wir nicht ganz drastische Maßnahmen ergreifen. Die Schätzungen liegen, dass in den nächsten acht Jahren bis 2010, wenn wir nicht wirklich die Programme hier aufrütteln, noch einmal 45 Millionen zusätzliche Menschen mit HIV infiziert werden. Was ganz besonders wichtig ist: Das sind natürlich keine Dinge, die unvermeidbar sind. Wir können etwas dagegen tun. Wir haben inzwischen Erfahrungen aus allen Bereichen der Welt. Es ist nur eine Sache, dass wir eben die verschiedenen Puzzleteile zusammenführen, und wenn das effektiv geschieht, dann kann man von diesen 45 Millionen wahrscheinlich etwa 30 Millionen Infektionen vermeiden.
Remme: Das war wirklich das Positive an diesen Zahlen, die veröffentlicht wurden: Das Ausmaß wird deutlich. Was sind das für drastische Maßnahmen, von denen Sie sprechen?
Schwartländer: Nun ja, wir wissen, dass viele Dinge sehr helfen können. Das sind allem voran die Aufklärungsmaßnahmen, die sich wahrscheinlich sehr stark auf junge Menschen fokussieren sollten, denn das sind diejenigen, die praktisch die Gesellschaften tragen. Das sind aber auch diejenigen, die in allen Bereichen der Welt ganz besonders empfindlich sind, sich mit HIV zu infizieren. Das hat verschiedene Gründe. Wir haben Situationen, in Afrika beispielsweise, wo etwa ein Drittel der jungen Mädchen, die in eine Schwangerschaftsklinik kommen, die weniger als 20 Jahre alt sind, bereits mit HIV infiziert sind. Aber wiederum ganz wichtig: Es sind auch die jungen Menschen, die bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn wir ihnen die richtige Information geben, wenn wir ihnen die Mittel geben, auch die HIV-Infektion zu verhindern - das sind ganz simple Dinge, wie zum Beispiel der Zugang zu Kondomen -, und wenn wir eine Situation schaffen, wo diese Mittel auch vernünftig eingesetzt werden können.
Remme: Aber das, was Sie jetzt eben als Maßnahmen beschrieben haben, das sind ja Dinge, die vermutlich schon seit Jahren praktiziert werden- Aufklärung und dergleichen mehr. Wie kommen Sie dann zu einer so drastischen Prognose dessen, was diese Maßnahmen bewirken können?
Schwartländer: Das ist die Crux der Sache. Es ist natürlich so, dass wir das eigentlich wissen. Aber in vielen Ländern der Welt ist das natürlich noch überhaupt gar nicht anerkannt. Es wird nicht über Aids geredet. Es ist eine stigmatisierte Geschichte.
Remme: Ist das immer noch so? Auch in Afrika?
Schwartländer: Das ist auch in Afrika so. Das ist sogar ganz besonders so in vielen Ländern Afrikas, und das ist natürlich eine ganz verrückte Situation, weil dort ja teilweise in einigen Städten bereits jeder zweite Erwachsene mit HIV infiziert wird. Noch wird nicht genug darüber gesprochen. Das heißt, es sind dort die Führungsschichten auf allen Ebenen der Gesellschaft gefragt. Wir reden nicht nur über den Präsidenten, der natürlich auch darüber sprechen muss. Wir reden über die Community-Leaders, wie wir sagen. Das sind die Frauen im Dorf, die zusammenkommen und über diese Dinge, über das Leben verhandeln. Das sind alles Ebenen, die wir infiltrieren müssen, wo wir Aufklärungsarbeit leisten müssen, sodass frei über das Thema gesprochen werden kann und dadurch eine Atmosphäre geschaffen werden kann, wo dann auch tatsächlich diese Präventionsstrategien greifen können.
Remme: Es wurde in den vergangenen Jahren viel darüber gestritten, dass auch die armen Schichten in den betroffenen Ländern Zugang zu Medikamenten haben müssen. Hat sich in dieser Frage etwas getan, etwas verbessert?
Schwartländer: Ja, das hat sich drastisch verbessert. Es ist also tatsächlich so, dass wir davon reden, dass wir in einer völlig neuen Situation der Aidsbekämpfung sind, dadurch dass die Preise für Medikamente sind drastisch zurückgegangen, die doch irrsinnig teuer waren im Verhältnis zu den Mitteln, die in den armen Ländern vorhanden sind. 10.000, 20.000 Dollar im Jahr kann dort natürlich kein Mensch dort aufbringen. Die Preise sind praktisch mehr als 90 Prozent aufgrund zäher und harter Verhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie heruntergegangen und sind jetzt in Größenordnungen, die für die armen Länder erreichbar sind. Es ist aber auch ganz wichtig zu sagen, dass nicht nur diese Preisreduktionen dazu geführt haben, dass das jetzt sehr viel realistischer ist, sondern auch eine neue Welle der Unterstützung von internationalen Mitteln aufkommt - das ist noch lange nicht genug, aber es ist ein Beginn - und dass jetzt ganz explizit die Therapie in diese Programme miteingeschlossen wird, was auch neu ist und auch nur aufgrund dessen, dass die Preise jetzt so drastisch zurückgegangen sind. Es ist mir in diesem Zusammenhang ganz wichtig zu sagen: Die Behandlung von Menschen, die mit HIV infiziert sind, ist natürlich auch eine ganz wichtige Voraussetzung, dass die Präventionsstrategien wiederum greifen können. Wenn ich nichts für die Leute tun kann, die krank sind, die ihre Kinder nicht mehr ernähren können, dann gibt es keine Hoffnung. Und in einer Situation, wo es keine Hoffnung gibt, da kann natürlich auch Prävention nicht greifen, da will ja keiner etwas davon hören. Also, das ist wirklich eine neue Situation, die wir hoffen, ausnutzen zu können und hier jetzt wirklich einen Unterschied zu machen und diese drastischen Programme, die wir einfach brauchen, jetzt auch einsetzen zu können.
Remme: Konzentriert sich Ihre Arbeit aufgrund der besonderen Betroffenheit auf Afrika oder schauen Sie auch auf Osteuropa und Russland?
Schwartländer: Afrika ist natürlich ein Hotspot der Epidemie. Es ist ein Katastrophengebiet, muss man einfach sagen. Es gibt einen Bereich in Afrika, das sind die Prävalenzraten, das heißt, die Infektionsraten sind so hoch, dass wir gar nicht wissen, wie sich das in der Zukunft auswirken kann. 20, 30 Prozent der gesamten Bevölkerung haben den Virus und die meisten von ihnen auch eine ganz, ganz schlechte Prognose. Es ist aber wichtig, dass wir uns nicht nur auf die Bereiche konzentrieren, wo es schon so schlimm ist, sondern der Schwerpunkt muss natürlich auch in Bereichen sein, wo die Epidemie erst in einem sehr frühen Stadium ist - Asien, Osteuropa -, wo sie sich aber sehr schnell verbreitet, dass wir hier eine weitere Verbreitung verhindern. Es ist natürlich in den Ländern, wo die HIV-Rate noch relativ niedrig ist, besonders effektiv, etwas zu tun, weil man dann natürlich eine Situation verhindern kann, die möglicherweise in ein afrikanisches Szenario ausarten würde.
Remme: Noch kurz ein Wort zur Situation hier in Deutschland?
Schwartländer: Ja, es ist sehr wichtig auch für mich, und das wird sicherlich auch unter anderem ein Schwerpunkt der Diskussionen in Barcelona sein: In allen westlichen Ländern hatten wir kürzlich eigentlich sehr frustrierende Ergebnisse. Frustrierend nicht deshalb, weil in Deutschland, in Amerika oder in Frankreich die Situation ähnlich schlimm ist wie in Afrika, frustrierend deshalb, weil wir auch hier wieder sehen, dass Infektionsraten, das heißt, die Zahlen der neuen Infektionen, eher wieder ansteigen als zurückgehen. Das ist natürlich eine Situation in Ländern, die eben alle Mittel haben, die allen Zugang zu Informationen haben, wo auch ein relativ liberales Klima existiert und diese Dinge diskutiert werden könnten. Jede einzelne Infektion ist eine zu viel, und die Tatsache, dass wir jetzt vermehrt Situationen sehen, wo Infektionsraten steigen, ist natürlich völlig unakzeptabel.
Remme: Bernhard Schwartländer, der Chefepidemiologe von UNAIDS. Herr Schwartländer, vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Schwartländer: Guten Morgen.
Remme: Herr Schwartländer, welche Aufgaben stellen sich vor der Konferenz in Barcelona?
Schwartländer: Die Aufgaben sind massiv. Sie haben schon gesagt, dass wir bereits mehr als 20 Millionen Menschen durch die Immunschwächekrankheit Aids verloren haben, aber das Schlimme ist, dass noch sehr, sehr viel mehr kommen wird, wenn wir nicht ganz drastische Maßnahmen ergreifen. Die Schätzungen liegen, dass in den nächsten acht Jahren bis 2010, wenn wir nicht wirklich die Programme hier aufrütteln, noch einmal 45 Millionen zusätzliche Menschen mit HIV infiziert werden. Was ganz besonders wichtig ist: Das sind natürlich keine Dinge, die unvermeidbar sind. Wir können etwas dagegen tun. Wir haben inzwischen Erfahrungen aus allen Bereichen der Welt. Es ist nur eine Sache, dass wir eben die verschiedenen Puzzleteile zusammenführen, und wenn das effektiv geschieht, dann kann man von diesen 45 Millionen wahrscheinlich etwa 30 Millionen Infektionen vermeiden.
Remme: Das war wirklich das Positive an diesen Zahlen, die veröffentlicht wurden: Das Ausmaß wird deutlich. Was sind das für drastische Maßnahmen, von denen Sie sprechen?
Schwartländer: Nun ja, wir wissen, dass viele Dinge sehr helfen können. Das sind allem voran die Aufklärungsmaßnahmen, die sich wahrscheinlich sehr stark auf junge Menschen fokussieren sollten, denn das sind diejenigen, die praktisch die Gesellschaften tragen. Das sind aber auch diejenigen, die in allen Bereichen der Welt ganz besonders empfindlich sind, sich mit HIV zu infizieren. Das hat verschiedene Gründe. Wir haben Situationen, in Afrika beispielsweise, wo etwa ein Drittel der jungen Mädchen, die in eine Schwangerschaftsklinik kommen, die weniger als 20 Jahre alt sind, bereits mit HIV infiziert sind. Aber wiederum ganz wichtig: Es sind auch die jungen Menschen, die bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn wir ihnen die richtige Information geben, wenn wir ihnen die Mittel geben, auch die HIV-Infektion zu verhindern - das sind ganz simple Dinge, wie zum Beispiel der Zugang zu Kondomen -, und wenn wir eine Situation schaffen, wo diese Mittel auch vernünftig eingesetzt werden können.
Remme: Aber das, was Sie jetzt eben als Maßnahmen beschrieben haben, das sind ja Dinge, die vermutlich schon seit Jahren praktiziert werden- Aufklärung und dergleichen mehr. Wie kommen Sie dann zu einer so drastischen Prognose dessen, was diese Maßnahmen bewirken können?
Schwartländer: Das ist die Crux der Sache. Es ist natürlich so, dass wir das eigentlich wissen. Aber in vielen Ländern der Welt ist das natürlich noch überhaupt gar nicht anerkannt. Es wird nicht über Aids geredet. Es ist eine stigmatisierte Geschichte.
Remme: Ist das immer noch so? Auch in Afrika?
Schwartländer: Das ist auch in Afrika so. Das ist sogar ganz besonders so in vielen Ländern Afrikas, und das ist natürlich eine ganz verrückte Situation, weil dort ja teilweise in einigen Städten bereits jeder zweite Erwachsene mit HIV infiziert wird. Noch wird nicht genug darüber gesprochen. Das heißt, es sind dort die Führungsschichten auf allen Ebenen der Gesellschaft gefragt. Wir reden nicht nur über den Präsidenten, der natürlich auch darüber sprechen muss. Wir reden über die Community-Leaders, wie wir sagen. Das sind die Frauen im Dorf, die zusammenkommen und über diese Dinge, über das Leben verhandeln. Das sind alles Ebenen, die wir infiltrieren müssen, wo wir Aufklärungsarbeit leisten müssen, sodass frei über das Thema gesprochen werden kann und dadurch eine Atmosphäre geschaffen werden kann, wo dann auch tatsächlich diese Präventionsstrategien greifen können.
Remme: Es wurde in den vergangenen Jahren viel darüber gestritten, dass auch die armen Schichten in den betroffenen Ländern Zugang zu Medikamenten haben müssen. Hat sich in dieser Frage etwas getan, etwas verbessert?
Schwartländer: Ja, das hat sich drastisch verbessert. Es ist also tatsächlich so, dass wir davon reden, dass wir in einer völlig neuen Situation der Aidsbekämpfung sind, dadurch dass die Preise für Medikamente sind drastisch zurückgegangen, die doch irrsinnig teuer waren im Verhältnis zu den Mitteln, die in den armen Ländern vorhanden sind. 10.000, 20.000 Dollar im Jahr kann dort natürlich kein Mensch dort aufbringen. Die Preise sind praktisch mehr als 90 Prozent aufgrund zäher und harter Verhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie heruntergegangen und sind jetzt in Größenordnungen, die für die armen Länder erreichbar sind. Es ist aber auch ganz wichtig zu sagen, dass nicht nur diese Preisreduktionen dazu geführt haben, dass das jetzt sehr viel realistischer ist, sondern auch eine neue Welle der Unterstützung von internationalen Mitteln aufkommt - das ist noch lange nicht genug, aber es ist ein Beginn - und dass jetzt ganz explizit die Therapie in diese Programme miteingeschlossen wird, was auch neu ist und auch nur aufgrund dessen, dass die Preise jetzt so drastisch zurückgegangen sind. Es ist mir in diesem Zusammenhang ganz wichtig zu sagen: Die Behandlung von Menschen, die mit HIV infiziert sind, ist natürlich auch eine ganz wichtige Voraussetzung, dass die Präventionsstrategien wiederum greifen können. Wenn ich nichts für die Leute tun kann, die krank sind, die ihre Kinder nicht mehr ernähren können, dann gibt es keine Hoffnung. Und in einer Situation, wo es keine Hoffnung gibt, da kann natürlich auch Prävention nicht greifen, da will ja keiner etwas davon hören. Also, das ist wirklich eine neue Situation, die wir hoffen, ausnutzen zu können und hier jetzt wirklich einen Unterschied zu machen und diese drastischen Programme, die wir einfach brauchen, jetzt auch einsetzen zu können.
Remme: Konzentriert sich Ihre Arbeit aufgrund der besonderen Betroffenheit auf Afrika oder schauen Sie auch auf Osteuropa und Russland?
Schwartländer: Afrika ist natürlich ein Hotspot der Epidemie. Es ist ein Katastrophengebiet, muss man einfach sagen. Es gibt einen Bereich in Afrika, das sind die Prävalenzraten, das heißt, die Infektionsraten sind so hoch, dass wir gar nicht wissen, wie sich das in der Zukunft auswirken kann. 20, 30 Prozent der gesamten Bevölkerung haben den Virus und die meisten von ihnen auch eine ganz, ganz schlechte Prognose. Es ist aber wichtig, dass wir uns nicht nur auf die Bereiche konzentrieren, wo es schon so schlimm ist, sondern der Schwerpunkt muss natürlich auch in Bereichen sein, wo die Epidemie erst in einem sehr frühen Stadium ist - Asien, Osteuropa -, wo sie sich aber sehr schnell verbreitet, dass wir hier eine weitere Verbreitung verhindern. Es ist natürlich in den Ländern, wo die HIV-Rate noch relativ niedrig ist, besonders effektiv, etwas zu tun, weil man dann natürlich eine Situation verhindern kann, die möglicherweise in ein afrikanisches Szenario ausarten würde.
Remme: Noch kurz ein Wort zur Situation hier in Deutschland?
Schwartländer: Ja, es ist sehr wichtig auch für mich, und das wird sicherlich auch unter anderem ein Schwerpunkt der Diskussionen in Barcelona sein: In allen westlichen Ländern hatten wir kürzlich eigentlich sehr frustrierende Ergebnisse. Frustrierend nicht deshalb, weil in Deutschland, in Amerika oder in Frankreich die Situation ähnlich schlimm ist wie in Afrika, frustrierend deshalb, weil wir auch hier wieder sehen, dass Infektionsraten, das heißt, die Zahlen der neuen Infektionen, eher wieder ansteigen als zurückgehen. Das ist natürlich eine Situation in Ländern, die eben alle Mittel haben, die allen Zugang zu Informationen haben, wo auch ein relativ liberales Klima existiert und diese Dinge diskutiert werden könnten. Jede einzelne Infektion ist eine zu viel, und die Tatsache, dass wir jetzt vermehrt Situationen sehen, wo Infektionsraten steigen, ist natürlich völlig unakzeptabel.
Remme: Bernhard Schwartländer, der Chefepidemiologe von UNAIDS. Herr Schwartländer, vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio