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Agenda 2000

Capellan: Herr Juncker, die "Agenda 2000" ist offenbar unter Dach und Fach. Der ganz große Wurf, so heißt es von Kollegen, von Beobachtern in Berlin, ist es nicht. Vielfach wird von einer Mini-Reform geredet. Würden Sie dem widersprechen?

    Juncker: Ich war die ganze Nacht über beschäftigt und muß jetzt nach Luxemburg fliegen, um eine Kabinettssitzung zu halten. Ich habe weder Zeit gehabt noch wirklich richtig Lust gehabt, mir jetzt schon anzuhören, was denn alles falsch war an dem, was wir vor zwei Stunden unter Dach und Fach bringen konnten. Dies war eine außergewöhnlich schwierige Verhandlung. Es ging darum, die Schnittmenge zu ermitteln zwischen berechtigtem nationalen Interesse und dem alles überragenden europäischen Interesse. Ich glaube, dies ist uns gelungen. Keine Reform wurde ad acta gelegt. Teile der Agrarreform wurden in ihrer Anwendung nach hinten verlegt. Dies schadet Europa nicht und ist gut für die europäischen Bauern, die zu der Bevölkerungsschicht gehören, die rückläufige Einkommensentwicklungen zu beklagen hat. Andere haben das nicht.

    Capellan: Würden Sie denn sagen, daß alle Staaten der Europäischen Union in gleichem Maße zu Zugeständnissen bereit waren und diese gemacht haben?

    Juncker: Ich bin dagegen, nach so einer langen Verhandlung, die Irrungen und Wirrungen kennt, die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Verlierer und Gewinner aufzuteilen. Wenn es nur Gewinner gibt, ist Europa der Verlierer; wenn alle sich in dem Kompromiß zurechtfinden, ist Europa der Gewinner. Darum geht es. Es ging darum, die Europäische Union auf die nächsten Jahre vorzubereiten, den finanzpolitischen Rahmen zu setzen für die Erweiterung. Dies ist ein in das nächste Jahrzehnt hineinragendes Projekt. Einfach war es nicht, aber letztendlich ist es gut, so wie es ist. Anders wäre es auch nicht möglich gewesen.

    Capellan: Sie haben es ja angedeutet. Frankreich beispielsweise hat sich mit vielen Änderungsvorschlägen gerade mit Blick auf die Agrarreform durchsetzen können. Können Sie damit leben?

    Juncker: Ich analysiere diese Ergebnisse eigentlich nicht so, daß sich jemand durchsetzt und daß jemand nachgibt, daß jemand einbricht, daß jemand standhält. Nein, es geht darum, die Dinge so zu richten, daß jeder damit leben kann, aber daß letztendlich auch Lösungen unter dem Strich festzustellen sind. Dies ist im Agrarkapitel der Fall, dies ist auch in anderen Teilrubriken des zukünftigen europäischen Haushaltes der Fall. Frankreich hat Dinge vorgebracht, die auch mir schmecken; Frankreich hat Dinge vorgebracht, die weder mir noch anderen schmecken, und deshalb stehen sie auch nicht im Endkompromiß. Es gilt hier nicht, das Verhandlungsergebnis in schwarz und weiß, in Verlierer und Sieger aufzuteilen.

    Capellan: Wenn wir aber einmal beim Landwirtschaftssektor bleiben. Dort war es ja das Ziel, nun mal viel Geld zu sparen, Subventionen zu kürzen. Der Agrarhaushalt, der ja immerhin 50 Prozent des gesamten EU-Etats ausmacht. Inwieweit wird sich das denn nun verschieben? Wieviel Geld wird gespart werden können?

    Juncker: Der Agrarhaushalt beträgt in der Tat etwa 50 Prozent des europäischen Haushaltes. Dies ist viel weniger als in den 80er Jahren, wo wir fast an die 70-Prozent-Marke gestoßen waren. Weil dieser Haushalt relativ eng und schmal ist, zur Zeit weniger als 1,15 Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts, und weil die Agrarpolitik die einzige wirklich integrierte Gesamtpolitik Europas ist, kommt man relativ schnell an die 50-Prozent-Grenze. Dies muß man aber im Zusammenhang mit der Gesamthaushaltsmasse zu bewerten verstehen. Die ist so irrsinnig groß nicht. Wir haben in Bonn-Petersberg verabredet, 40,5 Milliarden Euro dürfte der Agrarhaushalt pro Jahr kosten, und er wird auch nicht mehr kosten, weil die Teilelemente, die wir dem Kompromiß der Agrarminister hinzugefügt haben, der ja etwas höher im Gesamtansatz lag als 40,5 Milliarden, werden dazu dienen, auf die 40,5 Milliarden Euro-Grenze abzusenken. Es wird also nicht mehr Geld für Agrar ausgegeben, als dies in den letzten Jahren der Fall war.

    Capellan: Weiteres wichtiges Ziel war, die Finanzen innerhalb der Europäischen Union insgesamt neu zu regeln. Vor allem Deutschland hat darauf gedrängt, die Beiträge, die nach Brüssel gezahlt werden, die Netto-Beitragszahlungen deutlich zu reduzieren. Welche Nachricht könnten Sie denn den Deutschen überbringen? Um wieviel wird Deutschland entlastet?

    Juncker: Man wird dies jetzt genau berechnen müssen. Es wäre etwas abenteuerlich, jetzt endgültige Zahlen in den Raum zu stellen. Der Kanzler hat eben auf seiner Pressekonferenz gesagt, der ganz große Lottogewinn wäre es nicht. Dies wird auch wohl so sein. Die deutsche Haushaltsbelastung wird nicht ansteigen; sie wird zurückgeführt werden können. Wieviel genau unter dem Strich herausspringt, das kann man so kurz nach Verhandlungsschluß nun wirklich noch nicht im Detail festlegen.

    Capellan: Abschließende Frage, Herr Juncker: Ist Europa nun wirklich fit für die Osterweiterung, oder stehen noch weitreichende Reformen ins Haus?

    Juncker: Wir sind ja auf dem Wege, die richtigen Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Ich meine den Teil der Verhandlungen, wo es dann wirklich hart zur Sache geht. Ich glaube schon, daß die Europäische Union, was die Finanzierungsmöglichkeiten anbelangt, jetzt fit ist, um in den Erweiterungsprozeß einzusteigen. Diese Erweiterung und diese Erweiterungen werden auch nicht mit der Schnelligkeit auf uns zukommen, von der viele früher mal geredet oder geträumt haben. Wir werden zügig verhandeln, aber vernünftig verhandeln, und wir haben jetzt die finanzpolitischen Voraussetzungen geschafft, damit wir dies ohne Überraschungen auch tun können.

    Capellan: Jean-Claude Juncker war das, Premier- und Finanzminister von Luxemburg. Haben Sie vielen Dank, Herr Juncker, daß Sie sich Zeit genommen haben nach diesen langen Verhandlungen. Auf Wiederhören nach Berlin! - Mitgehört hat Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter. Guten Morgen Herr Brok!

    Brok: Guten Morgen!

    Capellan: Sie haben es gehört. Herr Juncker hat Bundeskanzler Schröder zitiert, der gesagt hat, es sei nicht der ganz große Lottogewinn, was dort für die Bundesrepublik herauskommt. Sehen Sie das auch so?

    Brok: Das ist sicherlich richtig so, und Deutschland hat es sich auch unnötig schwer gemacht durch das doch etwas großspurige Auftreten des Bundeskanzlers im Dezember, denn da hat nämlich der Wille vieler Staaten, Deutschland bei der Rückführung zu helfen, doch erheblich nachgelassen. Wir müssen sehen, daß die stärkere Einführung des Bruttosozialprodukts als Bemessungsgrundlage, weil dies eine gute Sache ist, eine Fortentwicklung dessen ist, was Kohl und Weigel in Edinburgh durchgesetzt haben, was ja von *94 zu *97 bereits zu einer Reduzierung der deutschen Nettozahlung von sechs Milliarden geführt hat.

    Capellan: Also insgesamt sind Sie zufrieden mit dem Kompromiß, der dort heute morgen gefunden wurde?

    Brok: Ich könnte mir vorstellen, daß man weit mehr hätte herausholen können. Aber nachdem diese Einigung vorhanden ist, der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten vor der Tür steht, sollte man als Opposition zwar das Ergebnis im Einzelfall kritisieren, auch im Bereich der Agrarpolitik, aber man sollte nicht daran arbeiten, daß dieses Ergebnis im Bundesrat nicht ratifiziert wird.

    Capellan: Wird denn dort noch nachgebessert werden müssen? Ist das noch möglich, gerade was den Agrarbereich jetzt angeht?

    Brok: Nein, das ist verfahrensmäßig nicht mehr möglich. Nachdem der Europäische Rat dort beschlossen hat, ist das das endgültige Ergebnis. Allerdings muß noch die Strukturpolitik im Europäischen Parlament bearbeitet werden, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß dieses Paket noch einmal aufgemacht wird. Das wäre erstmalig, und aus diesem Grunde ist dieses quasi wie ein internationaler Vertrag, den die nationalen Parlamente zu nehmen haben oder abzulehnen haben. Eine Ablehnung dieses Ergebnisses würde sicherlich größere Probleme mit sich bringen als die Chancen, die auf der anderen Seite liegen würden, wenn neu verhandelt würde.

    Capellan: Dennoch muß man aber doch zugestehen, daß sich gerade Frankreich mit vielen Änderungen hat durchsetzen können, was den Agrarbereich betrifft?

    Brok: Wir müssen sehen, daß Frankreich gut verhandelt hat und daß bei der deutschen Verhandlungsführung in den letzten Monaten handwerkliche Fehler vorhanden gewesen sind. Wir müssen aber auch sehen, daß auf der anderen Seite doch eine Deckelung gelungen ist und von daher ein Anstieg nicht weiter möglich ist. Damit sind nicht die großen Einsparungen möglich, aber es ist auch keine Erhöhung möglich. Dieses ist, glaube ich, wichtig angesichts der bevorstehenden Erweiterung. Nun sollten wir Deutschen es nicht schwerer machen, daß die Erweiterung kommt, denn wir sind davon die Hauptnutznießer aufgrund unserer geographischen Lage.

    Capellan: Sie haben gerade gesagt, die Bundesregierung habe Fehler gemacht in der Verhandlungsführung. Man hätte also mehr herausholen können Ihrer Ansicht nach?

    Brok: Ja, wenn man beispielsweise das Problem der Kofinanzierung der Agrarpolitik, die bei ihrer Einführung ja doch zu einer erheblichen Reduzierung des deutschen Beitrages geführt hätte, so leichtfertig inoffiziell in Frankreich schon vor drei Monaten zu den Akten legt. Dann muß man sich nicht wundern, daß man im letzten Augenblick keine Karten mehr im Ärmel hat. Man soll die eigenen Forderungen, glaube ich, nicht zu früh aufgeben, gleichgültig welche Realisierungschancen sie am Ende des Tages haben, um auf diese Art und Weise Druckpotential zur Verfügung zu haben. Dies ist eines der Beispiele dafür, wie doch dort handwerklich nicht großartig gearbeitet worden ist.

    Capellan: Vielleicht noch ein Wort zu den Nettozahlungen Deutschlands an die Gemeinschaftskasse in Brüssel. Ist dort zu viel versprochen worden, oder sind Sie einverstanden mit dem, was dort jetzt an Beitragsreduzierung beschlossen wurde?

    Brok: Es ist von der Bundesregierung zu viel angekündigt worden durch schrödersche Reden im Dezember. Nun hat man eine Deckelung bekommen. Diese ist weniger als wir erhofft hatten und als wir aufgrund der Vorbereitungen von Kohl und Weigel erwarten konnten. Dies ist aber doch ein Ergebnis, das man jetzt, nachdem alle 15 zugestimmt haben, zähneknirschend akzeptieren sollte, denn es geht um die Erweiterung, und deswegen sollte man jetzt nicht von seiten der Opposition auch versuchen, dieses zu Fall zu bringen.

    Capellan: Es geht um die Erweiterung. Kann die nun endgültig auf den Weg gebracht werden?

    Brok: Es müssen noch weitere Reformen erfolgen, etwa die institutionellen Reformen, die auf dem Kölner Gipfel in Gang gesetzt werden sollen, denn wir müssen sehen, daß die Europäische Union in ihrer inneren Struktur auch noch nicht dafür reif ist. Dazu gehört insbesondere die Ausdehnung der Mehrheitsentscheidung im Ministerrat, damit wir bei 20 Mitgliedsländern doch noch handlungsfähig sind. Hier müssen wir noch weitere Hausaufgaben machen, die aber auch schon seit einiger Zeit auf der Tagesordnung stehen.

    Capellan: Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok war das heute morgen hier im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank und auf Wiederhören!