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Aggression im Straßenverkehr
"Der Mensch fährt so, wie er lebt"

Angesichts von Baustellen und Unfällen staut es sich auf deutschen Straßen immer wieder. Bei vielen Menschen führt das zu Aggressionen. Die spezielle Situation im Auto mache ein aggressives Verhalten wahrscheinlicher, sagte der Verkehrspsychologe Jens Schade im DLF. Sein Rat: rechtzeitig losfahren - und gelassen bleiben.

Jens Schade im Gespräch mit Doris Simon | 15.08.2016
    Stau auf der A81 in Baden-Württemberg
    Stau auf der A81 in Baden-Württemberg (Imago)
    Für Jens Schade erklärt sich die Aggression hinter dem Steuer während des Staus so: "Die Menschen können nicht vor, nicht zurück, wollen aber ein Ziel erreichen. Und die Gründe für den Stau sind nicht immer erkennbar. Menschen mögen das nicht, warten, ohne den Grund zu wissen - und nicht zu wissen, wann es aufhört." Das mache die Menschen unruhig, so der Verkehrspsychologe. "Sie achten mehr auf die Zeit, die gefühlt langsamer läuft." Die Hinderung am Vorankommen frustriere die Fahrer.
    Zugleich könne die Situation im Auto aggressives Verhalten befördern: So gebe es ein gewisses Maß an Anonymität. Ähnlich wie im Internet falle es den Menschen dann leichter, unfreundlich zu sein. Man werde im Auto jedoch nicht zu einem anderen Menschen: "Der Mensch fährt, wie er lebt, hat mal ein bekannter Verkehrspsychologe gesagt. Wir sind, wie wir sind und ändern das im Auto nicht abrupt."
    Mit einem Zeitpuffer auf der sicheren Seite
    Es gebe auch Menschen, die dem Stau etwas abgewinnen könnten, so Schade: "Im Fahrzeug hat man eine Wand um sich herum, man ist abgeschottet und sicher vor Belästigungen. Wenn man das mit einer Fahrt im öffentlichen Nahverkehr am Montagmorgen im Ruhrgebiet vergleicht, ist das schon etwas."
    Sein Rat für gestresste Berufspendler: "Früh losfahren hilft immer." Mit einem Zeitpuffer sei man immer auf der sicheren Seite. Und: mit Gelassenheit auf Ärgernisse wie Baustellen reagieren. Die Behörden täten schon einiges zur Entlastung, wie etwa die Verlegung der Bauzeiten auf die Ferienzeit.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Die gute Nachricht zuerst: Seit heute Morgen ist die Rheinbrücke auf der A1 bei Leverkusen wieder frei. Vier Tage lang war sie voll gesperrt wegen Bauarbeiten. Aber anderswo, da staut es sich wieder und weiter.
    Am Telefon ist jetzt Jens Schade, Verkehrspsychologe an der Technischen Universität Dresden. Herr Schade, haben Sie einen Rat für Menschen, die genau da lang müssen, wo es eng ist oder gebaut wird, die im Stau sitzen und sich ärgern?
    Jens Schade: Ja gut, der Rat ist eigentlich ganz simpel: Früh losfahren, das, glaube ich, hilft immer, wenn man Zeitpuffer hat. Es kann immer was im Verkehr passieren. Hier, das Beispiel der Leverkusener Brücke, da kann man ich ja im Grunde auch schon drauf vorbereiten. Es kann aber auch immer was Ungeschehenes passieren, und wenn man da Zeitpuffer hat, dann, glaube ich, ist man immer auf der sicheren Seite.
    Simon: Stau macht ja viele Menschen aggressiv. Nimmt man das eigentlich mit in den Rest des Tages, oder ist das vorbei, sobald man das Auto verlässt?
    Schade: Da gibt es ja beide Seiten. Tatsächlich ist es ja nicht so bei jedem zu Aggressionen führt. Aber natürlich, wenn man unter Zeitdruck ist und einen wichtigen Termin hat und dann in den Stau gerät und dann vielleicht auch manchmal nicht im Stau, sondern vielleicht auch von anderen Verkehrsteilnehmern vermeintlich aufgehalten wird, dann kann sich das tatsächlich in aggressivem Verhalten zeigen. Aber in der Regel ist es nicht so, dass man das dann in den Tag mit hineinnimmt. Vielleicht ist es eher andersherum: Wenn man einen sehr stressigen Tag hatte und dann abends nach Hause fährt, dann kann sich dann häufig auch so was dann übertragen.
    Handy am Steuer steigert das Unfallrisiko
    Simon: Es gibt ja viele Situationen in unserem Leben, wo wir uns danach richten müssen, was so die Umgebung vorgibt. Warum fühlen sich viele gerade im Stau so ohnmächtig, so ausgeliefert?
    Schade: Weil sie ja tatsächlich in so einer Situation sind, hilflos. Sie können nicht vor, sie können nicht zurück, wollen aber natürlich ein Ziel erreichen, und häufig ist es ja auch so, dass dann auch der Grund nicht immer direkt erkennbar ist. Natürlich können es Unfälle sein, aber man sieht es nicht. Und das ist eine Situation, die Menschen nicht mögen generell, zu warten, ohne den direkten Grund zu wissen, und auch nicht zu wissen, wann hört das hier auf, das kann manchmal auch beim Arztbesuch zu Ohnmachtsgefühlen führen.
    Simon: Was macht denn dieses Ohnmachtsgefühl mit den Leuten?
    Schade: Es macht sie unruhig. Sie achten natürlich vermehrt auf die Zeit, die dadurch läuft gefühlt. Und letztendlich möchte man das Ziel erreichen, und das in Form ja von Aktivität. Und man ist dann gehindert, also das führt dann dazu, dass die Leute frustriert sind. Und wenn sich dann vielleicht eine Situation bietet, vielleicht etwas später, und da jemand sich vielleicht falsch verhält, dann kann sich das natürlich auch in sehr aggressivem Verhalten äußern.
    Simon: Haben Sie als Verkehrspsychologe Anhaltspunkte dafür, dass Leute, die im Stau stehen, vielleicht auch unter Stress sind in dieser Situation, dass die anfangen zu telefonieren, andere Aktivitäten, SMS schicken, irgendwie was anderes machen?
    Schade: Ja, na sicher. Das ja nicht nur im Stau, was ja noch akzeptabel wäre, wenn tatsächlich Stillstand ist, dann kann man ja die Zeit auch sinnvoll füllen. Fataler ist das Ganze natürlich, wenn das während der Fahrt gemacht wird. Und da gibt es Studien, die zeigen, dass das in beträchtlichem Umfang passiert. Und davon geht natürlich ein sehr hohes Unfallrisiko aus.
    Frust bei unvorhergesehenen Verlängerungen
    Simon: Wir haben jetzt gesprochen darüber, wie Menschen unter Stress im Stau reagieren. Sie sagten aber eingangs, da gibt es ja auch eine andere Seite. Es heißt ja, dass manche Leute ganz gern im Stau stehen, weil sie da ihre Ruhe haben. Ich persönlich habe noch nie so jemand getroffen. Gibt es diese Leute wirklich?
    Schade: Also zumindest ist es so, dass man jetzt gerade im Fahrzeug seine sozusagen Wand um sich herum hat, abgeschottet ist, sicher ist vor Belästigung, wenn man das jetzt mal vergleicht, bei einer montagmorgendlichen Fahrt im öffentlichen Nahverkehr im Ruhrgebiet, das ist sicherlich etwas – und wenn man dann dort zumindest etwas länger warten muss, dann, glaube ich, ist das nicht so aggressiv. Aber wenn es natürlich dann eine unvorhergesehene Verlängerung gibt, dann kann es eben doch schon sehr unangenehm werden.
    Simon: Wie ist das denn mit uns, wenn wir jetzt mal gerade nicht im Stau stehen, es rollt alles gut, ich höre den Verkehrsbericht und höre jede Menge Staumeldungen von woanders. Ärgert das auch, oder ist das eher tröstlich?
    Schade: Ich glaube, dass das eher tröstlich ist, wenn man selbst auf der Seite ist, die gerade gut rollt. Das glaube ich schon. Weil man ja häufig erlebt, dass man selbst im Stau steht und sagt, Mensch, diesmal ist das an mir vorbei gegangen. Ich glaube, das wird eher positiv interpretiert.
    Simon: Was wir noch nicht angesprochen haben zum Stichwort Ohnmachtsgefühle, ist, auch im Zusammenhang mit der Aggression: Warum sind diese Baustellen da, warum wird nicht nachts gebaut, alles, was man sich so denkt an Aggression gegen die Regierenden, gegen die Behörden – lässt sich aus Ihrer Sicht etwas besser machen mit Baustellen und Staus, dass sie beim Einzelnen weniger Ärger auslösen?
    Schade: Ich denke schon, dass da einiges ja auch gemacht wird. Das wird verlegt in die Ferien, wo weniger los ist, das ist ja auch hier bei der Leverkusener Brücke so, dass... Sie haben natürlich immer das Problem, dass irgendeiner immer betroffen ist. Letztendlich kann man das nie ausschließen, und ich denke auch, Nachtbaustellen und so weiter, das gibt es schon. Na klar muss man auch die Fahrer ausreichend informieren. Aber das fordert sich so leicht. Letztendlich, jemand, der täglich irgendeine Route fährt, der ist auch schwer mit Informationen zu erreichen. Da befinden sich die Behörden auch manchmal nun wirklich im Dilemma.
    "Der Mensch fährt so, wie er lebt"
    Simon: Und dieses Phänomen der kilometerlang abgesperrten Baustellen ohne für den Autofahrer sichtbare Aktivität – was sagen Sie dazu?
    Schade: Ja nun, das ist für den Einzelnen schwer nachvollziehbar. Eine Baustelle, die manchmal tagelang oder auch längere Zeit scheinbar nicht betrieben wird, das ist natürlich für die Person, die da gerade fährt und behindert wird, natürlich ein Ärgernis. Das ist natürlich auch schwer für eine Behörde zu machen, wenn da noch irgendwelche Zulassungen oder irgendwelche Gutachter vielleicht noch irgendwas machen. Da kann ich wirklich nur sagen, ich denke, dass die Behörden aus meiner Kenntnis da alles daran tun. Denen ist ja auch bekannt, wie hoch das Verkehrsaufkommen ist und wie wichtig auch natürlich der Verkehr ja auch für die Wirtschaft ist. Dass das im Einzelfall mal vielleicht nicht immer so eingehalten wird, da muss man einfach auch mal mit Gelassenheit reagieren.
    Simon: Jetzt eine Frage an Jens Schade, den Verkehrspsychologen, aber auch den Menschen, der das auch zwischenmenschlich sieht: Sind wir im Auto anders als im Rest des Lebens?
    Schade: Alter Verkehrspsychologe sagte mal, der Mensch fährt so, wie er lebt. Und ich denke mal, das ist natürlich so, dass im Auto bestimmte Bedingungen herrschen, also zum Beispiel die Anonymität, die dann zum Beispiel die menschliche Kommunikation natürlich stark einschränkt. Und wir kennen das ja auch teilweise aus dem Internet, wo es vermeintlich anonym zugeht und dann Menschen, sagen wir mal, nicht mehr so die Contenance und die Höflichkeit haben, wie sie das vielleicht sonst hätten. Von daher gibt es da bestimmte Bedingungen, die dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten steigt, aber natürlich, wir sind, wie wir sind, und ändern das jetzt nicht abrupt im Auto.
    Simon: Jens Schade, Verkehrspsychologe an der Technischen Universität Dresden. Vielen Dank für das Gespräch!
    Schade: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.