Engels: Ich habe ja noch einmal den Stand von gestern kurz zusammengefasst. Wissen Sie nun noch mehr über die 72 Tonnen Getreide?
Berninger: Was wir wissen, ist, dass diese 72 Tonnen Getreide ursprünglich als Biogetreide vorgesehen waren. Dann muss man wohl festgestellt haben, das es kein Biogetreide ist, sondern noch von einem Umstellungsbetrieb, und daraufhin ist es eben aus der Halle in Malchin heraus an diesen ortsansässigen Futtermittelhersteller geliefert und zu Mischfutter verarbeitet worden, und dieses Mischfutter, das sind entsprechend große Mengen, also mehrere tausend Tonnen. Jetzt haben wir eben das Problem, nachvollziehen zu müssen, wo Spuren von Nitrofen noch auftauchen könnten.
Engels: Das muss ja in diesen 72 Tonnen eine ungeheuer starke Belastung gewesen sein, wenn dadurch 50.000 Tonnen Mischfutter - davon ist ja die Rede - zur Gefahr werden können?
Berninger: Wir haben ein Prinzip, und das ist ja auch das Prinzip, das uns zum Beispiel vor Sanktionen der Europäischen Union bewahrt: Wir sperren grundsätzlich alle Betriebe, durch die Nitrofen in die Nahrungsmittelkette gelangen kann, überprüfen das dann möglichst schnell, um die Betriebe, die dann letzten Endes keine Nitrofenbelastung aufweisen, auch wieder freigeben zu können. Dieses Prinzip des vorsorgendes Verbraucherschutzes fand die letzten 14 Tage Anwendung und muss jetzt leider auch hier zur Anwendung kommen.
Engels: Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sind bereits als Adressaten von dem belasteten Mischfutter genannt. Gibt es denn Hinweise, dass das kontaminierte Futtermittel nun doch in andere Bundesländer ging?
Berninger: Das ging ja mit Sicherheit einfach dadurch in andere Bundesländer, dass viele Biobetriebe von NSP, von dieser Halle in Malchin beliefert wurden, das heißt, es ist längst ein bundesweites Problem. Die Lieferlisten der Firma Fugema haben wir heute morgen noch nicht einsehen können, so dass wir das noch nicht sagen können.
Engels: Das heißt aber, Sperrungen in anderen Bundesländern sind sehr wahrscheinlich?
Berninger: Nun, Sperrungen finden ja schon in allen Bundesländern statt aufgrund der anderen Lieferungen aus Malchin. Ich kann nicht sagen, ob das wahrscheinlich ist, weil ich nicht weiß, an wen Fugema geliefert hat. Das werden wir erst heute herausfinden.
Engels: Aber wir reden ja dann doch über eine gewaltige Größenordnung. Ist da nicht auch ein weiterer Aspekt relevant? Diese Lieferungen, über die wir jetzt reden, liefen ja offenbar vom Dezember 2001 bis 2002, das heißt: ist dieses Futter nicht bereits verfüttert und muss man sich nicht über Folgeketten, wo dieser Wirkstoff gelandet ist, Sorgen machen?
Berninger: Das ist ja das, was wir die ganze Woche schon tun. Nitrofen hat die unangenehme Eigenschaft, sich im Fettgewebe der Tiere anzusammeln, das heißt insbesondere im Bereich der Geflügelmast, aber auch bei den Hennenbetrieben kann man Nitrofen in den Eiern und in dem Geflügel selbst finden. Vor dem Hintergrund ist es nicht wirklich maßgeblich, ob das Futter schon verfüttert ist, sondern es kann dann durchaus bei den Tieren gefunden werden.
Engels: Das heißt, dass sowohl Getreide als auch Futter als auch Tiere im ganzen Bundesgebiet unter Umständen je nach den Lieferlisten, die Ihnen noch nicht vorliegen, untersucht werden müssen?
Berninger: Ich möchte nochmals sagen, dass wir bereits im ganzen Bundesgebiet unterwegs sind, denn alle übrigen Lieferungen sind weit verstreut worden. Ob jetzt Fugema zusätzlich ins ganze Bundesgebiet geliefert hat, wird sicherlich von den Behörden in Mecklenburg-Vorpommern heute klargestellt werden können. Deswegen will ich darüber zur Zeit nicht spekulieren.
Engels: Blicken wir nach Mecklenburg-Vorpommern: Welche Konsequenzen kommen denn nun auf die Besitzer dieser 500 Höfe zu und wer trägt die Kosten für solche Sperrungen?
Berninger: Zum einen ist es so, dass wir natürlich den Verursacher belangen müssen. Ich kann mir das bis heute nicht erklären, wie man in dieser Halle Getreide lagern konnte. Nach allen Berichten, die ich über diese Halle inzwischen gelesen haben, ist es mir immer unerklärlicher, so dass der Verursacher sicherlich hier zur Verantwortung zu ziehen ist. Inwieweit das ausreicht, um das Überleben der Betriebe zu sichern, wird in den nächsten Tagen zu diskutieren sein.
Engels: Mecklenburg-Vorpommern hat ja Hilfe bei der Untersuchung dieser vielen Proben, die nun genommen werden müssen, angefordert. Bestehen genug Kapazitäten, um schnell Ergebnisse zu haben?
Berninger: Na ja, das ist in der Tat eine Situation, auf die wir so nicht vorbereitet sein konnten. Es gibt diese Kapazitäten in Mecklenburg-Vorpommern nicht, und jetzt muss man eben mit den Ländern und dem Bund gemeinsam schauen, ob und wie schnell wir solche Kapazitäten aufbauen können. Je schneller desto besser für die Betriebe.
Engels: Sie sprachen gestern davon, der Nitrofenskandal sei unter Kontrolle. Sprechen die neuesten Entwicklungen nicht dagegen?
Berninger: Nein, überhaupt nicht, und das ist, glaube ich, auch der ganze wichtige Punkt. Sämtliche Nitrofenfunde, die in dieser Woche über die Agenturen gingen, die gemeldet wurden, sind immer wieder auf das Gleiche zurückzuführen, nämlich auf das in Malchin gelagerte Getreide. Das heißt, wir verfolgen nun dieses Getreide nach und finden dadurch immer wieder Nitrofen. Das ist eher ein Beleg dafür, dass die von uns und auch die von der Staatsanwaltschaft gemachte Grundannahme, dass Malchin der Ort der Vergiftung dieses Getreides ist, absolut richtig ist. Deswegen ist es schlimm, weil mehr landwirtschaftliche Betriebe betroffen sind. Es ist schlimm, weil die Bauern hier wieder die Leidtragenden sind und die Verursacher, in dem Fall das Futtermischwerk beziehungsweise die Lagerstätte, vergleichsweise bequem dasteht. Das ist das Schlimme, aber es ist nicht wirklich besorgniserregend, im Sinne von: Es gibt neue Quellen.
Engels: Bis jetzt haben wir uns auf der nationalen Ebene bewegt. Haben Sie Anzeichen dafür, dass möglicherweise aus der nun bekannten vergifteten Futtermengenmenge auch etwas ins Ausland gelangt sein könnte?
Berninger: Wir haben auch da ja erste Anzeichen gehabt, dass es Lieferungen ins Ausland, von Malchin aus über Baden-Württemberg nach Frankreich, gegeben hat. Auch das ist keine neue Nachricht. In solchen Fällen gibt es das Schnellwarensystem der Europäischen Union. Die betroffenen Länder werden umgehend informiert, so wie wir auch die Kommission als erstes informiert haben über die neuen Entwicklungen in Malchin.
Engels: Fürchten Sie denn nun, dass das Thema EU-Sanktionen wieder auf den Tisch kommt?
Berninger: Da wir hier die gleichen Maßnahmen ergreifen, wie wir sie schon die ganze Woche ergriffen haben und da die Quelle der Vergiftung nach wie vor in Malchin ist, fürchte ich das im Moment nicht.
Engels: Sie haben es mehrfach angedeutet: Ein Kommunikationsproblem ist ja nun auch mit dafür verantwortlich, sowohl zwischen den Betreibern als auch vielleicht in unteren Behörden, die Informationen nicht rechtzeitig weitergegeben haben. Wann ändert sich das?
Berninger: Zunächst einmal ist es so, dass wir uns wünschen, dass der Bund stärkere Kompetenzen in Sachen Verbraucherschutz, in Sachen Krisenmanagement bekommt. Dazu gibt es ein Verbraucherschutzgesetz, das die Arbeit der Bundesbehörden neu ordnet und sie gegenüber den Landesbehörden stärkt. Das ist gestern zwar im Vermittlungsausschuss mehrheitlich so angenommen worden, aber man muss doch sagen, dass die CDU-Länder, die eine Mehrheit im Bundesrat haben, das blockieren. Das halte ich wirklich für unverantwortlich. Der zweite wichtige Punkt ist der, dass von diesem Skandal ein Signal an alle Mitarbeiter, egal ob sie in Landkreisen, Landesbehörden oder Bundesbehörden sitzen, gehen muss, das da heißt: Wenn ihr von so etwas wie Nitrofen erfahrt, dann gilt nicht abheften, sondern die nächsthöhere Stelle informieren als Prinzip.
Engels: Nun geht es immer wieder um die Halle in Malchin. Können Sie denn jetzt sicher sein, dass Sie über alle Lagerungen von Getreide oder anderen Lebensmitteln, die dort stattgefunden haben, Bescheid wissen, oder geht diese Suche nach möglichen weiteren Lagerungen dort weiter?
Berninger: Nun, wir wissen was 2001 und 2002 in Malchin gelagert ist. Wir haben detaillierte und auch unterschiedliche Lieferlisten verschiedener an diesem Getreidehandel Beteiligter und können deshalb mit ziemlich großer Sicherheit sagen, wo welche Getreidepartie hingeliefert worden ist. Wir folgen jetzt die Jahre davor, 95, 96, 97, 98 und 99 nach, weil auch da große Mengen Getreide, in dem Fall nicht Öko, sondern konventionelles Getreide, dort gelegen haben und einiges davon ins Ausland exportiert worden ist. Das ist eine weitere wichtige Aufgabe im Sinne der Aufklärung, die wir zur Zeit angenommen haben.
Engels: Vielen Dank. Wir sprachen mit Matthias Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen. Er ist parlamentarischer Staatsekretär im Ministerium für Verbraucherschutz. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio