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"Ahmadinedschad sollte lieber vor seiner eigenen Tür kehren"

Die Menschenrechts-Aktivistin Marianne Heuwagen hat die Rede des iranischen Präsidenten vor der Antirassismuskonferenz heftig kritisiert. Ahmadinedschad habe die erwartete Hasstirade gegen Israel gehalten. Hochachtung brachte die Direktorin des deutschen Büros von Human Rights dem Auftritt des norwegischen Außenministers entgegen, der als Einziger dem Iraner widersprach, so Heuwagen.

Marianne Heuwagen im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Mit seiner antiisraelischen Rede vor der Antirassismuskonferenz der Vereinten Nationen in Genf hat Irans Präsident Ahmadinedschad Empörung ausgelöst. Westliche Delegierte verließen unter Protest den Saal. 22 der 27 EU-Staaten wollen allerdings weiter an der Konferenz teilnehmen. Die Niederlande, Italien, Polen und Deutschland hatten bereits vor Beginn der Konferenz ihre Teilnahme abgesagt, ebenso wie die USA, Australien oder Kanada. Nach dem von ihm provozierten Eklat in Genf hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad heute angekündigt, künftig alle internationalen Konferenzen besuchen zu wollen. Bei seiner Rückkehr nach Teheran warf er dem Westen Intoleranz vor. "Diejenigen, die Redefreiheit fordern, waren nicht einmal dazu bereit, bei einer von ihnen (dem Westen) selbst organisierten Konferenz eine oppositionelle Stimme zu tolerieren". So weit der iranische Präsident. Am Telefon begrüße ich Marianne Heuwagen, die Direktorin des deutschen Büros der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Guten Tag, Frau Heuwagen.

    Marianne Heuwagen: Guten Tag, Herr Spengler.

    Spengler: Wie bewerten Sie die Rede des iranischen Staatspräsidenten?

    Heuwagen: Die Rede ist so, wie wir es erwartet hatten. Sie ist eine einzige Hasstirade gegen Israel und voller antisemitischer Äußerungen. Aber es ist eine Rede, wie man sie von Herrn Ahmadinedschad immer hört, auch leider gelegentlich im Kontext der Vereinten Nationen, und Iran ist nun einmal Mitglied der Vereinten Nationen. Im Amerikanischen würde man zu dem Redner sagen, "listen who is talking". Herr Ahmadinedschad sollte lieber vor seiner eigenen Tür kehren und sehen, was an Menschenrechtsverletzungen und was an rassistischen Ereignissen in seinem eigenen Land vorkommt, wenn man nur einmal ansieht, wie Iran mit den Bahai umgeht oder anderen Kritikern. Er hat gar keinen Grund, so aufzutreten, aber leider ist das genau das, was man von ihm kennt.

    Spengler: Bleiben wir trotzdem bei seinen Äußerungen. Sie teilen die Kritik an Israel in keinem Punkt?

    Heuwagen: Human Rights Watch hat in der Vergangenheit häufiger kritisiert, wie die Israelis umgegangen sind vor allen Dingen mit den Palästinensern. Wir haben Menschenrechtsverletzungen der Israelis genauso kritisiert wie die der Hamas. Gerade gestern haben wir wieder einen großen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen der Hamas im Gazastreifen veröffentlicht, der natürlich in der jetzigen Diskussion etwas untergeht. Beiden Seiten haben wir Menschenrechtsverletzungen nachweisen können, und sie kommen vor in Israel, das weiß man, so wie sie auch in den Vereinigten Staaten vorkommen und in vielen anderen Ländern. Es gibt also keinen Grund, da Israel besonders zu attackieren. Unglücklicherweise ist es ja so, dass es im Abschlussdokument oder in der Textvorlage gar nicht mehr vorkommt. Herr Ahmadinedschad hat die ganze Diskussion in eine Richtung gelenkt, in die sie eigentlich von der Textvorlage her gar nicht stattgefunden hat. Der norwegische Außenminister - das muss man hier auch mal sagen - war der einzige, der wirklich konkret auf ihn geantwortet hat und der anschließend gesagt hat, Norwegen wird nicht zulassen, dass dieser einzige Mensch die ganze Konferenz sozusagen in eine Richtung lenkt, in die sie eigentlich nicht gehört.

    Spengler: Da schwingt Sympathie mit in Ihren Äußerungen für den norwegischen Delegierten. Die Bundesregierung fühlt sich dagegen bestätigt in ihrem Boykott. Das teilen Sie nicht?

    Heuwagen: Nein. Der Boykott begründete sich ja darauf, in der Erwartung oder in der Befürchtung, dass es zu antiisraelischen Äußerungen auch in dem Dokument kommt. Und wissen Sie, in diesem Dokument, was ja dort diskutiert werden soll, gegen den Rassismus weltweit - es geht ja nicht nur um Israel; es geht ja nicht nur um den Mittleren Osten; es geht ja um die ganze Welt; es geht ja um Opfer aus der ganzen Welt, die Opfer des Rassismus werden -, kommt Israel und der Mittlere Osten überhaupt nicht vor. Dieses Dokument hat alle Bedenken der europäischen Staaten ausgeräumt und die Bundesregierung hätte das tun können, was auch die anderen europäischen Staaten getan haben: Während der Rede von Herrn Ahmadinedschad herausgehen, aber dann bitte weiter an dieser wichtigen Vorlage für den Antirassismuskampf in den Vereinten Nationen mitarbeiten.

    Spengler: Es gibt ja im Prinzip drei Möglichkeiten, zu reagieren: Man kann boykottieren, wie es die Bundesregierung, wie es die Vereinigten Staaten gemacht haben, man kann aufstehen und gehen, oder man kann sitzen bleiben und gegenhalten wie der Norweger. Was finden Sie denn am besten? Wie geht man mit so einem Menschen wie Herrn Ahmadinedschad um und solchen Behauptungen?

    Heuwagen: Ich meine, dass der Norweger einen sehr guten Auftritt hatte, weil er wirklich gezeigt hat, dass man auch dem etwas entgegenhalten kann, und man muss dem etwas entgegenhalten, denn nur so kann man ja verhindern, dass solche Äußerungen zum Beispiel in das Schlussdokument einfließen. Man kann nur etwas bewirken, wenn man im Gespräch bleibt. Das ist genau die Haltung, die die Bundesrepublik immer in der Menschenrechtspolitik gegenüber Russland, gegenüber China, gegenüber vielen anderen Ländern durchführt - übrigens auch gegenüber dem Iran, denn der Iran ist ja Mitglied der Vereinten Nationen. Wir würden uns sehr wünschen, dass die Bundesregierung zumindest jetzt in dem Rest der Konferenz das Abschlussdokument mit unterzeichnet oder mit verabschiedet, damit der Kampf gegen den Rassismus in der Welt fortgesetzt werden kann. Sie müssen sich einmal vorstellen: Das ist eine Konferenz, die eine ganze Woche dauert, und das einzige, worüber wir jetzt alle reden, ist über diese unsägliche Rede von Herrn Ahmadinedschad, obwohl seine Positionen ja auch nun schon seit langem bekannt sind. Sie sind unhaltbar, sie sind schlimm, aber dann muss man den Mann auch aus den Vereinten Nationen und Iran, solange er Präsident ist, aus den Vereinten Nationen ausweisen, wenn man konsequent sein würde.

    Spengler: Frau Heuwagen, nun sagen manche Beobachter, da boykottieren Staaten (zum Beispiel die USA), weil sie selbst Dreck am Stecken haben (zum Beispiel Folterungen durch die CIA). Ist da was dran, oder ist das eine böse Unterstellung?

    Heuwagen: Ich denke, das ist in dem Fall sicherlich eine böse Unterstellung, weil wir es ja jetzt mit einer anderen Administration in den Vereinigten Staaten zu tun haben, und Präsident Obama hat ja angekündigt, nicht nur, dass die Vereinigten Staaten und der CIA in Zukunft nicht mehr foltern wird, es soll ja auch untersucht werden - wir hoffen auch, dass es zu Anklagen der Verantwortlichen kommen wird; das ist eine Forderung, die wir auch an die amerikanische Regierung haben -, aber er hat ja auch vor allen Dingen den Kampf gegen den Rassismus sich auf die Fahnen geschrieben und als farbiger amerikanischer Präsident weiß er ja, wie sich der Rassismus im eigenen Land auswirkt. Nein, ich denke, dass die Absage der Vereinigten Staaten, an dieser Konferenz nicht teilzunehmen, wirklich in erster Linie etwas mit dieser zu erwartenden Kritik von Ahmadinedschad an Israel zu tun hat und dass dort entsprechende Lobby zum Zuge gekommen ist, genauso wie es ja auch in einigen europäischen Ländern der Fall gewesen ist. Trotzdem hoffen wir sehr, dass man nach diesem Eklat jetzt zurückkommt zu der Sacharbeit und weiter hier konstruktiv sich anschaut, wie man den Rassismus weltweit bekämpfen kann.

    Spengler: Nun erklären Sie uns in wenigen Worten, ob man das mit so einem Abschlussdokument wirklich kann, was solche Konferenzen wirklich bringen?

    Heuwagen: Solche Konferenzen sind eine Art Statement, sie sind eine Erklärung, dass auch die Vereinten Nationen diesen Kampf gegen den Rassismus ernst nehmen, dass sie ihn verfolgen. Sehen Sie, es gibt viele Menschen weltweit, die davon betroffen sind, auch übrigens in unserem Land und in einigen westeuropäischen Ländern. Es gibt kein Land, was quasi davon ausgenommen ist. Wenn die Vereinten Nationen ihre Arbeit für die Menschenrechte (auch gerade der Menschenrechtsrat in Genf) ernst nimmt, dann müssen sie auch solch ein Thema konstruktiv verarbeiten. Solche Konferenzen sind eine Absichtserklärung und sie führen dann doch dazu, dass einige Länder verstärkt Anstrengungen unternehmen.

    Spengler: Und auf die Sie sich als Menschenrechtsorganisation dann konkret berufen können?

    Heuwagen: Ja, auf die wir uns konkret berufen können und vor allen Dingen die wir einfordern können. Wissen Sie, das ist ja die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen so wie wir. Wir operieren ja ganz innerhalb der Vereinten Nationen, innerhalb der beschlossenen Verträge, innerhalb der Menschenrechtsabkommen, die international abgesegnet worden sind, und wir fordern ja immer wieder deren Einhaltung. Solche Dokumente sind sozusagen für uns dann auch unsere Arbeitsgrundlage, dass wir an die einzelnen Länder herantreten können und sagen können, hier habt ihr diese oder jene Forderung nicht erfüllt, und in der Regel führt das ja auch dazu, dass dann die Situation gebessert werden kann.

    Spengler: Marianne Heuwagen von Human Rights Watch in Berlin. Danke für das Gespräch, Frau Heuwagen.