Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Ahmadiyya in Deutschland
"Liberal und offen, aber wertkonservativ"

Bis zu 40.000 Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat werden am Wochenende in Karlsruhe erwartet. Bei ihrem jährlichen Treffen betont die kleine islamische Gemeinschaft Frieden und Dialog. Kritiker hingegen werfen den Ahmadis überkommene Wertvorstellungen vor. Wer ist die Ahmadiyya?

Von Burkhard Schäfers | 23.08.2017
    Ein Mitglied der islamischen Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) tr
    Bis zu 40.000 Ahmadis treffen sich jährlich in Deutschland bei der Versammlung "Jalsa Salana" (dpa - Uwe Anspach)
    Wer die Ahmadiyya Muslim Jamaat kennenlernen möchte, der versucht es am besten in Hessen. Dort ist die Gemeinschaft innerhalb Deutschlands am weitesten verbreitet. Eine der ältesten deutschen Moscheen ist die Nuur-Moschee im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. Zum Freitagsgebet sind etwa 70 Männer zusammengekommen, die Frauen beten nebenan im Gemeindezentrum. Der Imam rezitiert eine Koran-Sure, es folgen die Predigt – in deutscher Sprache – und das Gebet.
    "Wir sind eine islamische Gruppierung, die liberal und offen ist, aber wertkonservativ. Es ist wichtig zu sehen, dass wir in der Lage sind, Dinge in Frage zu stellen. Dass man das, was man glaubt, eben nicht blind übernimmt, sondern dass man die Gebote und Verbote versteht. Und das muss in einer Gemeinde gelebt werden."
    Ende des 19. Jahrhunderts entstanden
    Abdullah Uwe Wagishauser leitet die deutsche Ahmadiyya-Gemeinde seit 1984. Wagishauser ist Vorsitzender von etwa 30.000 Mitgliedern in Deutschland, so gibt es die Ahmadiyya selbst an. Sie ist eine vergleichsweise junge Gemeinschaft, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts im indischen Raum.
    "Der Hauptunterschied zwischen uns und den anderen islamischen Gruppierungen ist der, dass wir sagen, der von den meisten Muslimen erwartete Mahdi und Reformer ist schon gekommen in der Person des Gründers der Ahmadiyya Muslim Jamaat, nämlich in der Person von Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad."
    Abdullah Uwe Wagishauser, amtierender Vorsitzender (Emir) der Ahmadiyya-Gemeinde Deutschland, spricht am 05.06.2016 während einer Bürgerversammlung zum geplanten Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach (Thüringen).
    Abdullah Uwe Wagishauser auf der Bürgerversammlung zum geplanten Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach (dpa / Foto: Candy Welz)
    Mirza Ghulam Ahmad, geboren 1835 in der damals zu Britisch-Indien gehörenden Region Punjab, erklärte sich zum 'Mudschaddid' - zum religiösen Erneuerer. Viele Muslime glauben an das Kommen eines Mahdi, also eines Rechtsgeleiteten, der ein Nachkomme des Propheten Mohammed ist. Dieser Mahdi werde in der so genannten Endzeit auf der Erde erscheinen und das Unrecht besiegen. Mirza Ghulam Ahmad erklärte sich also zu einem Schatten-Propheten: Mohammed nachgeordnet und gekommen, um die Lehre des Korans wiederzubeleben.
    1889 gründete er die Bewegung der Ahmadiyya, die sich als sunnitische Ausrichtung des Islams versteht - verbunden mit der hanafitischen, also einer der vier sunnitischen Rechtsschulen. Anfang des 20. Jahrhunderts spaltete sich die Gemeinschaft in zwei Gruppen, wobei heute fast alle der Ahmadiyya Muslim Jamaat angehören. Sie ist weltweit in rund 200 Ländern vertreten.
    "Der Zustand der Muslime ist katastrophal"
    Wie viele Mitglieder die Ahmadiyya genau hat, ist nicht bekannt – ihre Vertreter sprechen von einer zweistelligen Millionenzahl. An ihrer Spitze steht ein Kalif. Der in London lebende Mirza Masrur Ahmad ist der fünfte Nachfolger des Gründers. Uwe Wagishauser:
    "Der wird auf Lebenszeit gewählt in einer demokratischen Form. Und der eint dann die Gemeinde weltweit. Egal wo sie mit Gemeinden der Ahmadiyya Muslim Jamaat zu tun haben, sie haben überall das gleiche Religionsverständnis."
    Die Ahmadiyya will den nach ihrer Ansicht eigentlichen Kern der islamischen Lehre freilegen, sagt Abdullah Wagishauser.
    "Der Zustand der Muslime heutzutage ist schon katastrophal. Egal in welches Land man schaut, welches sich islamisch schimpft, stellt man fest, dass alles gelebt wird, nur nicht der Islam, den der Heilige Prophet Mohammed vorgelebt hat. Es gibt dort Unterdrückung, Ungerechtigkeiten. Der Geist des Islams, der ausdrücken soll, dass Liebe die Menschen zusammenbringt und Gerechtigkeit unter den Menschen herrschen soll, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, der wird in den wenigsten islamischen Ländern gelebt."
    Kalif Hadhrat Mirza Masroor (M), das geistliche Oberhaupt der muslimischen Gemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat, kommt am 14.04.2017 in Raunheim (Hessen) zum Freitagsgebet auf dem Grundstück einer zukünftigen Moschee an.
    Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinschaft, besucht die hessische Gemeinde in Raunheim. (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Worunter die Ahmadiyya selbst leidet: Viele Muslime erkennen sie nicht als islamische Glaubensgemeinschaft an, einige bezeichnen sie als Apostaten. In Pakistan, wo sie sich nach der Teilung Britisch-Indiens ansiedelten, werden Ahmadis deshalb seit den 1970er Jahren zum Teil massiv verfolgt, ebenso in Bangladesch und Indonesien. Etliche sind aus ihrer Heimat geflohen, sie haben sich etwa in England niedergelassen, auch in Deutschland. Die pakistanischen Blasphemie-Gesetze verbieten es ihnen, sich als Muslime zu bezeichnen. Im Jahr 2010 starben bei einem Anschlag pakistanischer Taliban auf zwei ihrer Moscheen in Lahore 86 Menschen.
    "Ahmadis werden als die Superfeinde der radikalen orthodoxen Muslime aufgebaut, die halt den Propheten beleidigen. Da gibt es ja den Blasphemie-Paragrafen. Es gibt viele Verfahren gegen Ahmadis, die teilweise zum Tode verurteilt worden sind. Die orthodoxen Mullahs sehen die Ahmadiyya als Gefahr für ihre eigenen Glaubensvorstellungen."
    Ein neuer Prophet?
    Warum aber grenzen sich viele Muslime so scharf von der Ahmadiyya ab? Der Hannoveraner Religionswissenschaftler Peter Antes beschäftigt sich mit islamischer Geschichte und religiösen Gemeinschaften in Europa. Er sieht den wesentlichen Unterschied zum Mainstream-Islam darin:
    "Dass sie in ihrem Gründer Ghulam Ahmad nicht nur einen Repräsentanten der Religion oder einen Erneuerer sehen, sondern ihn auch als Propheten sehen. Während der Mainstream-Islam offiziell erklärt hat, dass mit dem Tode von Mohammed die Offenbarung praktisch abgeschlossen ist und keine weiteren Propheten mehr kommen können."
    Darüber hinaus, sagt Peter Antes, praktizieren die Ahmadis ihren Glauben ebenso wie andere Muslime auch: Sie haben ihre Moscheen, sie beten, sie fasten im Ramadan und betrachten den Koran als von Gott geoffenbartes Wort.
    "Sie wissen genau, was Religionsfreiheit bedeutet"
    Manches aus der islamischen Überlieferung interpretiert die Ahmadiyya metaphorisch. Etwa den Begriff des Dschihad. Gründer Ghulam Ahmad erklärte den Dschihad mit Waffengewalt für beendet. Muslimen sei es lediglich gestattet, sich zu verteidigen. Der wichtigste Dschihad sei ohnehin der gegen die eigenen Schwächen. Und um den Islam zu verbreiten, seien nur "Worte" und "Feder" erlaubt. Zwang in Religionsfragen lehne die Ahmadiyya ab. Peter Antes:
    "Wesentlich in dieser ganzen Auseinandersetzung ist natürlich auch die Erfahrung der Ahmadis, dass sie sich in einer Minderheitssituation befinden und genau wissen, was Religionsfreiheit bedeutet und welchen Wert sie darstellt."
    Manche werfen der Ahmadiyya vor, Frauen seien nicht wirklich gleichberechtigt. Die Anhänger widersprechen dem: Beide Geschlechter seien prinzipiell gleichwertig. Allerdings habe der Mann in der Familie einen gewissen Vorrang.
    "Das liegt an der Philosophie – die im Koran auch angelegt ist – der Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit."
    Khola Maryam Hübsch, Journalistin, aufgenommen 2012
    Die Journalistin Khola Maryam Hübsch engagiert sich für die Ahmadiyya (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Die Autorin Khola Maryam Hübsch engagiert sich seit vielen Jahren in der Ahmadiyya-Gemeinschaft, unter anderem in deren bundesweiter Frauenorganisation.
    "In der Verwandtschaft ist es üblich, dass man sich auch locker begegnet. Aber außerhalb der Verwandtschaft gibt es eine gewisse Form der Distanz zwischen den Geschlechtern. Um die Partnerschaft in der Ehe zu schützen und da nicht allzu viel Spielraum zu lassen für so leichtfertige Beziehungen, die dann entstehen können."
    "Frauen werden ausgezeichnet"
    Dieses konservative Familienbild dürfte zugleich religiös und kulturell bedingt sein. Patriarchalische Traditionen aus der indisch-pakistanischen Heimat sind nach wie vor verbreitet. Vereinzelt hat das fatale Folgen: In Darmstadt ermordete 2015 ein in der Ahmadiyya-Gemeinde aktives pakistanisches Ehepaar seine 19-jährige Tochter. Sie wurde von ihrem Vater im Schlaf erwürgt, weil sie vorehelichen Sex mit ihrem Freund hatte. Mit dem Islam lasse sich solch ein Ehrenmord nicht rechtfertigen, sagt Khola Maryam Hübsch. Insgesamt bemühe sich die Ahmadiyya, Frauen zu stärken.
    "Frauen sind nicht unbedingt limitiert auf eine bestimmte Rolle. Es gibt zwar schon diesen konservativen Wert in der Ahmadiyya Muslim Jamaat: Familie ist wichtig, Mutterschaft ist wichtig. Aber gleichzeitig werden Frauen bei der Jahresversammlung ausgezeichnet, die besten Absolventinnen. Die haben dann Medizin, Architektur, Psychologie, Germanistik studiert. Man fördert das schon, dass Frauen Bildung erlangen und einen wichtigen Teil zur Gesellschaft beitragen."