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Ahrendt: Vollzugsdefizite beim Bundeskriminalamt abbauen

Das Bundeskriminalamt soll eine Geheimliste mit Fällen vorgelegt haben, die aufgrund fehlender Vorratsdatenspeicherung nicht oder erst spät aufgeklärt werden konnten. FDP-Rechtspolitiker Christian Ahrendt hat das Vorgehen scharf kritisiert. Es sei nicht Aufgabe des BKA, Lobbyismus zu betreiben, der die Bevölkerung verunsichere.

Christian Ahrendt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.10.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Anfang März hatte das Bundesverfassungsgericht Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP Recht gegeben. Sie hatte noch als Abgeordnete der Opposition gegen das Gesetz zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung geklagt. Es sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, dass ohne jeglichen Anlass die Telekommunikationsdaten der gesamten Bevölkerung sechs Monate lang gespeichert werden sollen, nur um einige Verbrechen besser aufzuklären, so ihr Argument, dem die Karlsruher Richter folgten.

    Nun berichten "Der Spiegel" und die "Welt am Sonntag", Innenminister Thomas de Maizière von der CDU wollen die FDP dazu bringen, einer Neuauflage des Gesetzes zuzustimmen und sie nötigenfalls auch mit einer öffentlichen Kampagne unter Druck setzen. Das Bundeskriminalamt soll dazu eine Liste derjenigen Verbrechen vorlegen, die nicht oder erst sehr spät aufgeklärt werden konnten, weil ein Zugriff auf die Daten nicht möglich ist.

    Am Telefon begrüße ich Christian Ahrendt, er ist der rechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Ahrendt.

    Christian Ahrendt: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Ahrendt, bei dieser Liste soll es unter anderem um einen Mord an einem Polizisten, um einen Mord an einem Mitglied der Mafia, um Mitgliedschaft in Terrorgruppen und um Kinderpornografie im Internet gehen. Ist es in Ordnung, ist in Kauf zu nehmen, dass diese Fälle nicht aufgeklärt werden, sodass die Täter frei herumlaufen und neue Straftaten verüben können?

    Ahrendt: Zunächst einmal ist von einer Geheimliste die Rede. Die Geheimliste kennen wir nicht, deswegen können wir die Fälle nicht nachvollziehen. Soweit man das am Wochenende und an anderer Stelle in Zeitungen nachlesen konnte – und das ist dann wirklich beachtlich -, liegen die Taten, um die es geht, im Jahr 2009 und im Jahr 2009 hatte das BKA die Vorratsdatenspeicherung in den engen Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner einstweiligen Verfügung aus dem Jahr 2008 gesteckt hatte, durchaus zur Verfügung.

    Man wird sich also, wenn die Liste dann mal wirklich vorgelegt wird, sehr sorgfältig anschauen, was hier vorgetragen wird. Man wird fragen müssen, ob die Aufklärung dieser Fälle nicht ihre Ursache hat in der fehlenden Vorratsdatenspeicherung, sondern im Unvermögen des BKA, und ich halte es für durchaus gefährlich, wenn das BKA hier Listen vorlegt, um die Bevölkerung einzuschüchtern, um ein politisches Ziel zu erreichen, und sich am Ende des Tages möglicherweise herausstellt, dass dort auch erhebliches eigenes Unvermögen mit im Spiel ist.

    Heckmann: Sie halten das Bundeskriminalamt also für unfähig?

    Ahrendt: Ich halte nicht das Bundeskriminalamt für unfähig; ich halte es nur nicht für die Aufgabe des Bundeskriminalamtes, Geheimlisten aufzustellen und Behauptungen aufzustellen, die keiner verifizieren kann. Und wenn ich an den von Ihnen eben angesprochenen Mord an einem Polizisten denke, dann ist die Tat berichtet für den 23. November 2009. Damals war die Vorratsdatenspeicherung in den Grenzen des Paragrafen 100a StPO zulässig bei schweren Straftaten, und dann fragt man sich, warum das BKA so lange braucht, um an die Daten heranzukommen.

    Heckmann: Das BKA – nur zum Hintergrund – nennt offenbar 49 Fälle, die nicht aufgeklärt wurden, über 300 seien nur unvollständig oder erst sehr spät aufgeklärt worden, weil eben der Zugriff auf die Daten nicht möglich ist, und der Chef des BKA, Jörg Ziercke, sagt, die Vorratsdatenspeicherung sei bei der Gefahrenabwehr und bei der Strafverfolgung der erste, sicherste und effizienteste Ermittlungsansatz. Was führt Sie dazu, diese Aussage dieses Fachmanns anzuzweifeln?

    Ahrendt: Wir haben bei der Vorratsdatenspeicherung ein ganz klares Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, es soll nicht dazu kommen, dass die normalen Lebensvorgänge der Menschen in Deutschland lückenlos aufgezeichnet werden, so wie das bei dem Vorratsdatenspeicherungsgesetz in Umsetzung der europäischen Richtlinie der Fall war. Es kann nicht sein, dass wir Verbrechensbekämpfung nur auf der Basis machen, dass wir uns riesige Datenmengen anlegen, um dann irgendwann mal nachzuschauen, wann wir diese Daten benutzen. Und man muss auch wissen – und das ist auch wichtig -, dass die Vorratsdatenspeicherung von mehreren Staaten in Europa nicht umgesetzt worden ist, wegen nachhaltiger Bedenken gegen dieses Instrument. Sechs Staaten haben gesagt, das machen wir nicht, darunter auch Schweden, der Staat, aus dem die Justiz-Innenkommissarin in Brüssel kommt, Frau Malmström. Und das letzte, was man dazu anfügen muss: Irland hat sich um eine rechtliche Überprüfung der europäischen Richtlinie beim EuGH bemüht; auch das wird man abwarten müssen, was da rauskommt.

    Heckmann: Was schlagen Sie vor? Also abwarten und Tee trinken?

    Ahrendt: Nein! Ich schlage nicht vor, Abwarten und Tee trinken. Die europäische Richtlinie befindet sich zurzeit in der Überprüfung. Wir warten ab, was auf europäischer Ebene bei der Überprüfung dieser Richtlinie herauskommt. Wie gesagt, es sind mehrere Staaten, die diese Richtlinie nicht umgesetzt haben, weil man Zweifel hat, ob es richtig ist, lückenlos die ganz normalen Lebensvorgänge der Bürger aufzuzeichnen und gigantische Datenmengen anzulegen, die irgendwann mal dazu führen, dass vielleicht einer darin nachschaut. Insofern haben wir auch ganz klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und insofern muss man auch abwarten, wie sich jetzt auf europäischer Ebene das Schicksal dieser Richtlinie entwickelt.

    Heckmann: Das heißt also, Herr Ahrendt, wenn ich Sie richtig verstehe, wenn man auf europäischer Ebene zu dem Schluss kommt, dass ein solches Gesetz Sinn macht und notwendig ist, dann würde sich die FDP auch nicht verschließen?

    Ahrendt: Wenn auf europäischer Ebene eine Überarbeitung der Richtlinie erfolgt, dann wird man sehen, was an der Stelle von der Richtlinie übrig bleibt.

    Heckmann: In welcher Hinsicht überarbeitet?

    Ahrendt: Wir haben ja jetzt die Prüfung, ob die Richtlinie das gebracht hat, was man sich mit ihr vorgestellt hat. Man überprüft, ob die Richtlinie auch mit den europäischen Grundrechten vereinbar ist. Und ich gehe nicht davon aus, dass am Ende des Tages die Richtlinie aus 2007 zur Vorratsdatenspeicherung so bleibt wie sie ist. Deswegen haben wir zurzeit auch gar keine Veranlassung, in Hektik zu verfallen.

    Im Übrigen weiß man heute schon, dass es sehr erfolgreiche Verfahren gibt, um Daten zu sichern, beispielsweise "Quick Freeze", das Einfrieren von Daten. Dafür ist es erforderlich, dass das Bundeskriminalamt auch online ist, um das mal ganz plastisch auszudrücken, und deswegen haben wir auch in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass es uns in erster Linie darauf ankommt, Vollzugsdefizite beim Bundeskriminalamt abzubauen, und insofern werden wir uns auch die Geheimliste, die dort kursiert, die wir nicht kennen - auch die Fälle, die dort stehen, kennen wir nicht -, anschauen, um zu sehen, welche Vollzugsdefizite es beim Bundeskriminalamt gibt.

    Nur ich habe es eingangs gesagt: Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Bundeskriminalamtes ist, einen Lobbyismus zu betreiben, der dazu dient, die Bevölkerung zu verunsichern und damit Gesetze, die das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hat, wieder auf den Weg zu bringen.

    Heckmann: Bei diesem Quick-Freeze-Verfahren sollen die Daten für eine kürzere Frist gespeichert werden. Wo ist hier der große Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung?

    Ahrendt: Der große Unterschied ist, dass man gezielt vorgehen muss. Es werden nicht Unmengen an Daten angelegt, die dazu führen, dass die Lebensvorgänge der Bürger aufgezeichnet werden, dass sozusagen jeder einzelne Mensch in Deutschland unter Generalverdacht gestellt wird, sondern wenn das BKA konkret Fälle ermittelt, kann es sich diese Daten einfrieren lassen, kann sich diese Daten durch einen Gerichtsbeschluss holen und hat dann die Möglichkeit, auch anhand dieser Daten zu ermitteln. Insofern: Wir zeichnen auch nicht jede Autofahrt in Deutschland auf, nur weil irgendwann mal ein Unfall passieren könnte und man deswegen wissen muss, wann ein Auto mit einem bestimmten Kennzeichen von A nach B gefahren ist. Das wollen wir nicht, das führt in den Überwachungsstaat und es gibt intelligentere Methoden, die auch die Vorratsdatenspeicherung entbehrlich machen muss, über die man nachdenken sollte.

    Heckmann: Wir halten also fest, Herr Ahrendt: Sie sehen derzeit keine Gesetzeslücke, anders als die Union?

    Ahrendt: Wir sehen keine Gesetzeslücke. Wir glauben, dass das Thema bei der Vorratsdatenspeicherung völlig überzogen ist, und insofern werden wir abwarten, was sich auf europäischer Ebene bei der Überprüfung der Richtlinie tut, und dann wird man in Ruhe entscheiden.

    Heckmann: Innenminister Thomas de Maizière sagt, das Gesetz kommt auf jeden Fall. Kommt es?

    Ahrendt: Wenn Herr de Maizière sagt, ein Gesetz kommt auf jeden Fall – es kommen viele Gesetze, ob sie im Bundestag die Mehrheit finden, das ist die zweite Frage.

    Heckmann: De Maizière plant angeblich eine öffentliche Kampagne, um die FDP unter Druck zu setzen. Was halten Sie von einem solchen Vorgehen?

    Ahrendt: Das muss jeder Minister für sich selber entscheiden. Es ist schon ein beachtlicher Vorgang, wenn ein Minister ankündigt, er macht gegen seinen Koalitionspartner eine öffentliche Kampagne. Es ist ein beachtlicher Vorgang, wenn er dazu das BKA in Stellung bringt. Ich glaube auch, dass es die Aufgabe des Bundeskriminalamtes ist, Straftaten aufzuklären und keine öffentlichen Kampagnen zu begleiten.

    Heckmann: Könnte das Thema neuen Stoff für Koalitionsstreit heraufbeschwören?

    Ahrendt: Ich glaube nicht. Ich denke, der Minister wird sich eines Besseren besinnen und wir werden innerhalb der Regierung dieses schwierige Thema sorgfältig miteinander besprechen und dann werden wir auch zu Ergebnissen kommen.

    Heckmann: Neuer Streit um die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Wir haben gesprochen mit dem rechtspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt. Herr Ahrendt, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.

    Ahrendt: Vielen Dank, Herr Heckmann!