Bei mir am Telefon ist nun der Vorstandsvorsitzende der AOK, Hans Jürgen Ahrens. Guten Morgen!
Hans Jürgen Ahrens: Guten Morgen Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Ahrens, der Koalitionspoker um die Gesundheitsreform hat also begonnen. Wem drücken Sie denn die Daumen, dass er am Ende die besseren Karten hat?
Ahrens: Den Versicherten!
Heinlein: Und was heißt das?
Ahrens: Und den Patienten! - Ja, weil ich der Meinung bin, ich finde es gut, dass die Koalitionäre gestern keine Schnellschüsse von sich gegeben haben, denn was da in der Vergangenheit so diskutiert worden ist, das war alles andere als erfreulich und das war auch alles andere als zielführend. Dass man jetzt sagt wir definieren Ziele, wir gehen von dem Grundsatz aus Qualität vor Schnelligkeit, bei den Zielen wollen wir aber nicht nur die Finanzen regeln - denn das stand immer im Vordergrund -, wir müssen uns natürlich auch mit den Strukturen beschäftigen, wir müssen nicht nur sehen wie kommen wir an das Geld, sondern wir sorgen ja auch dafür, dass das Geld da landet, wo es gebraucht wird, das halte ich für vernünftig.
Allerdings darf man bei dem Ringen um Kompromisse nun auch nicht mehr allzu lange warten, denn es wissen alle: Im nächsten Jahr werden alle Kassen erhebliche Einbußen haben, und zwar vom Staat verursacht, der die Zuwendungen der Tabaksteuer an die gesetzliche Krankenversicherung drastisch reduziert, der die Mehrwertsteuer herauf setzt. Das ist ein Defizit von fünf Milliarden aufwärts und da muss etwas geschehen: entweder durch die jetzigen Entscheidungen oder aber durch eine Übergangslösung. Also es ist Handlungsbedarf da, aber es soll sehr genau überlegt werden, was man macht.
Heinlein: Sicher, Herr Ahrens - wir haben es gerade noch mal gehört aus dem Munde von Peter Struck und Angela Merkel -, es wird weder die Kopfpauschale noch die Bürgerversicherung in Reinform geben, sondern einen Kompromiss. Wie groß sind denn aus Ihrer Sicht die Schnittmengen beider Konzepte?
Ahrens: Wissen Sie, die Bürgerversicherung und die Prämie, das sind ja im Grunde nicht Dinge, die sich widersprechen. Das sind völlig andere Systeme. Insofern passen die auch zusammen. Eine Bürgerversicherung bedeutet, dass man die Lasten auf mehr Schultern legen will oder dass man die Lasten zum Beispiel auf die Gesellschaft verteilen will. Es ist ja auch über eine Steuerfinanzierung von Kindern geredet worden. Die Prämie bedeutet, dass man eben keinen prozentualen Anteil vom Gehalt nimmt, sondern dass man einen Anteil pro Person nimmt. Also man kann das schon vereinbaren! Es kommt darauf an, wie man das macht. Das bisher diskutierte System, das mit dieser so genannten kleinen Prämie, das war allerdings der falsche Weg.
Heinlein: Manche aus der Opposition befürchten ja anders als Sie Flickschusterei. Warum sind Sie so optimistisch, dass die beiden Konzepte am Ende doch zusammen passen werden?
Ahrens: Beide Koalitionäre haben ja erkannt und haben auch gesagt, das ist jetzt der Prüfstein für die große Koalition. Das ist nicht irgend so ein Gesetz, das man mal auf den Weg bringt. Das ist nicht irgendein Vorhaben unter vielen, sondern das ist der Prüfstein. Es wird der Prüfstein sein nicht nur jetzt für das Gesetzgebungsvorhaben, sondern auch für die Gestaltung des Gesundheitswesens für die nächsten Jahre. Es wird also schon ein mittelfristiger Vorgang sein. Ich bin auch ganz sicher: Bei beiden Seiten gibt es Vorarbeiten und Gedankenspiele, was man machen kann. Das von gestern hat meine Hoffnung gestärkt, dass man gesagt hat wir definieren zunächst mal die Ziele und machen dort nicht einen Kompromiss, bei dem es nicht auf den Inhalt ankommt, sondern nur auf den Kompromiss. Das halte ich schon für den guten Weg. Es muss jetzt nur zügig weitergemacht werden.
Heinlein: Diese einschneidenden Strukturveränderungen, die Sie in Ihrer ersten Antwort gefordert haben, da glauben Sie schon, dass die große Koalition mit ihrer satten Mehrheit in allen Gremien die Kraft haben wird, diese einschneidenden Strukturveränderungen auf den Weg zu bringen?
Ahrens: Ja, das muss sie machen! Sonst braucht sie sich nicht mit einer reinen Finanzreform beschäftigen. Wenn ich mir nur darüber Gedanken mache wie kommt das Geld in das System, ohne auch gleichzeitig darüber nachzudenken wie kann ich das System so verändern oder wie kann ich die Veränderung so in das System hineintragen, dass ich dann auch Einfluss darauf habe, wo das Geld landet, wenn ich mich nur auf die Finanzen beschränke, das allerdings - das muss ich sagen - das wäre halbherzig.
Heinlein: Sie hoffen - das haben Sie in Ihrer ersten Antwort gesagt -, dass alles zum Wohle der Patienten geregelt wird. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass über weitere Leistungseinschränkungen für Versicherte versucht wird, das Gesundheitssystem gesund zu machen?
Ahrens: Meine große Sorge ist: Wenn man sich nicht darauf verständigt, wie man dieses System für die Zukunft fit macht, dann werden wir Diskussionen haben wie in der vergangenen Jahren. Dann wird darüber diskutiert, ob der Zahnersatz heraus kommt, ob Unfälle heraus kommen. Meine Hoffnung, aber auch meine Erwartung ist, wenn wir jetzt ein in sich schlüssiges Konzept haben, wo es heißt, das sind die Finanzen, das sind die Strukturen, dass wir dann auch die Aussage bekommen und es bleibt bei dem Leistungskatalog, den wir haben, wo das was medizinisch notwendig ist auch von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird.
Heinlein: Aber schon jetzt reden viele von einer Zwei-Klassen-Medizin. Muss es hier Veränderungen geben?
Ahrens: Ich finde wir sollen diese Schwarz-Weiß-Malerei auch nicht übertreiben. Wir brauchen Veränderungen in dem System. Wir brauchen wesentlich mehr Wettbewerb im System. Es kann nicht angehen, dass Verträge mit allen Krankenhäusern gemacht werden, mit allen Arztgruppen gemacht werden. Wir brauchen im Arzneimittelmarkt Veränderungen. Wir brauchen vor allen Dingen auch mehr Transparenz. Der einzelne Patient muss wissen zum Beispiel über die Qualität etwa von Krankenhäusern. Er soll auch mehr Wahlmöglichkeiten von Tarifen haben. Das ist alles notwendig und das ist auch erforderlich. Wir sollten aber auch nicht so tun als wenn dieses Gesundheitswesen am Ende ist. Das ist mitnichten der Fall.
Heinlein: Aber jeder Versicherte - das hat ja die Bundeskanzlerin gestern noch einmal betont - kann sich schon jetzt darauf einstellen, dass es ab 2007 letztendlich teuerer für den Einzelnen werden wird?
Ahrens: Wir müssen uns darauf einstellen, dass deshalb, weil der medizinische Fortschritt so weit ist, dass wir Arzneimittel bekommen gegen die großen Krankheiten - und die werden bezahlt werden müssen -, dass die Menschen immer älter werden, dieses natürlich auch Auswirkungen hat. Es ist nur die Frage: Wie werden diese finanziellen Auswirkungen verteilt auf die Betroffenen? Wenn ich davon ausgehe, dass im vergangenen Jahr die Patienten fünf Milliarden mehr bezahlt haben nur durch Praxisgebühren und Zuzahlungen, bin ich der Meinung es kann für sie jetzt keine weiteren Sonderopfer geben.
Heinlein: Ist Ihnen als Krankenkasse denn letztendlich egal, ob Kinder etwa künftig wie bisher aus Beiträgen mitfinanziert werden, oder ob das notwendige Geld aus Steuermitteln kommt, wie es die Union vorhat, oder vielleicht sogar über einen Gesundheits-Soli?
Ahrens: Die Vorstellung, dass die Kinder aus Steuern finanziert werden, ist für sich genommen schon mal richtig, denn es ist eine gesellschaftspolitische Leistung und keine Sozialversicherungsleistung. Worauf wir nur höllisch aufpassen werden ist, wie das denn finanziert wird, denn nach den Erfahrungen, die wir mit der Tabaksteuer gemacht haben, die man zunächst mal für versicherungsfremde Leistungen eingeführt hat, uns hat zukommen lassen und dann plötzlich, weil es die Haushaltslage nicht mehr hergibt, wieder einsammelt, das kann so nicht passieren. Das wäre also wirklich Stückwerk. Deshalb muss man sich da schon etwas überlegen, um unser Vertrauen in diesen Vorgang zu stärken.
Heinlein: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens. Herr Ahrens, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Ahrens: Gerne. Auf Wiederhören!