"Vor einer Aussetzung der ärztlichen Selbstverwaltung kann ich nur warnen -
Wir sind zu Nachbesserungen bereit, aber den "schwarzen Peter" lehnen wir ab" -
Zu den Drohungen der Bundessozialministerin Ulla Schmidt gegenüber den
Kassenärztlichen Vereinigungen -
Interview mit Hans Jürgen Ahrens, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes
"Informationen am Morgen", 19.01.2004, 7:15 Uhr
Zagatta: Im Streit um die Praxisgebühr und andere unangenehme Begleiterscheinungen der Gesundheitsreform gerät Ulla Schmidt immer stärker in die Kritik. Die Gesundheitsministerin reagiert, indem sie die Flucht nach vorne antritt. Ärzte und Krankenkassen seien Schuld, dass die Reform so holprig angelaufen ist, und denen will sie - so Schmidt heute im "Spiegel" - jetzt nur noch eine Woche einräumen, um die strittigen Fragen zu klären. Sonst - so die Ministerin - könnte die Selbstverwaltung abgeschafft werden.
Die Kritik zielt vor allem auf den Bundesausschuss von Kassen und Ärzten, ein Ausschuss, in dem die allgemeinen Ortskrankenkassen und Vorstandsvorsitzender Hans Jürgen Ahrens ein gewichtiges Wort mitreden. Der AOK-Chef ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen Herr Ahrens!
Ahrens: Guten Morgen Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Ahrens, Ministerin Schmidt bezieht ja auch Prügel, weil die Selbstverwaltung nicht in der Lage ist oder war, klare Regelungen zu schaffen. Können Sie nachvollziehen, dass Frau Schmidt sauer ist auf die Ärzteschaft und auch auf Sie, die Vertreter der Krankenkassen?
Ahrens: Nein, überhaupt nicht. Ich finde das auch sehr unerfreulich, dass wenn Dinge nicht klappen zunächst mal ein Schuldiger gesucht wird, statt sich darüber Gedanken zu machen, wie man sie ans Laufen bringt. Denn bei dieser Reform kann es ja zwei Möglichkeiten geben, warum dieses Gesetz nicht sofort seine Wirkung erzeugt. Es kann daran liegen, dass das Gesetz nicht OK war, dass es handwerklich nicht so war, wie es hätte sein sollen, dass es die Dinge nicht enthielt, die es hätte enthalten müssen, und deshalb der Bundesausschuss nachbessern muss, oder in der Tat, dass der Bundesausschuss seine Aufgaben nicht gemacht hat. - Ich darf Ihnen nur sagen, dass der Bundesausschuss schon bereits bevor das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist Richtlinien entlassen hat, die aber nicht die Zustimmung der Ministerin gefunden haben. Insofern halte ich von diesem ganzen Hickhack überhaupt nichts.
Zagatta: Wie erklären Sie sich, dass die Kritik von Frau Schmidt so heftig ausgefallen ist?
Ahrens: Na ja, man muss eben feststellen, dass die Versicherten und die Patienten sehr verunsichert sind und einen Riesen Druck in der Öffentlichkeit machen. Eine Reform, die sich gegen den Patienten richtet, ist in der Tat eine Reform, die in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt. Eine Reform dafür natürlich überhaupt nicht dazu führen, dass irgend Jemand in Not gerät. Diese Verunsicherung ist da. Sie ist der Presse zu entnehmen. Dazu sagten Sie bereits, die Ministerin macht die Flucht nach vorne. Nur ich weiß nicht, ob die zum rettenden Ufer führt, sondern man sollte sich hier wirklich lieber darum bemühen, dass man zu vernünftigen und schnellen Lösungen kommt. Wir sind bereit dazu. Wir werden versuchen, diese Woche nachzubessern. Wir lehnen aber den schwarzen Peter ab, der uns dort zugeschoben wird.
Zagatta: Der wird Ihnen aber nach wie vor zugeschoben. Sie sagen, Sie haben dort Vorschläge vorgelegt, die die Regierung dann abgelehnt habe. Aus dem Ministerium wird Ihnen aber vorgeworfen, Sie hätten eine lange Zeit gehabt, um eine Liste beispielsweise mit chronischen Krankheiten vorzulegen, und dann hätten Sie nur unbrauchbares Material geliefert. Was sagen Sie dazu?
Ahrens: Na ja, wenn Sie sich angucken, wer das behauptet, dass es unbrauchbares Material gewesen ist - das war ein der Ministerin nahestehender Berater -, dann würde ich sagen, der soll sich mal um seine eigenen Gutachten kümmern. Wir haben das gemacht, was wir zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns zusammengesetzt haben, dem Gesetz entnommen haben. Wenn das Ministerium jetzt der Meinung ist, es sollen andere Kriterien vorgelegt werden, dann kann man das machen. Zu dem Zeitpunkt, als wir angefangen haben, gab das Gesetz aber gar keine anderen Möglichkeiten, denn es war ja noch gar nicht in Kraft getreten.
Zagatta: Was ist denn mit dem Ultimatum, das Ihnen die Ministerin jetzt gestellt hat, denn danach haben Sie ja nur noch eine Woche Zeit, um die Probleme zu lösen? Ist das machbar?
Ahrens: Wir werden in dieser Woche alles tun, was in dieser Woche getan werden kann, aber diesem Ultimatum sehen wir sehr gelassen entgegen, denn was ist denn die Konsequenz, wenn die gemeinsame Selbstverwaltung aufgelöst wird. Dann muss alles das, was wir jetzt machen, das Ministerium machen. Und ob das besser wird, da habe ich bei diesem Gesetz so meine großen Zweifel. Deshalb glaube ich das ist eine Drohgebärde, aber die umzusetzen, da sollte man sich sehr, sehr genau überlegen, was man damit macht. Dann haben wir nämlich Staatsmedizin wie zum Beispiel in Großbritannien.
Zagatta: Was würde das für Sie, für die Krankenkassen und vor allem was würde das für die Versicherten bedeuten, wenn die Selbstverwaltung tatsächlich ausgesetzt wird?
Ahrens: Für die Versicherten würde das bedeuten, dass zum Beispiel ein Großteil des Sachverstandes, der jetzt von den Ärzten bei der Definition eingebracht wird, dann nicht mehr vorhanden ist, dass dieses vielleicht dann über Gutachten oder andere Dinge gemacht werden muss, dass es alles sehr viel länger dauert und sehr bürokratisch wird.
Zagatta: Was bedeutet das dann für Ihren Umgang mit den Ärzten? Wenn ich das recht verstehe, dann hat sich der Ärger der Ministerin ja nicht nur gegen die Krankenkassen, sondern vor allem gegen die Ärzteschaft gerichtet. Welche Rolle spielen die Ärzte? Sie verhandeln ja täglich mit denen.
Ahrens: Ich muss ehrlich sagen, das was an Kritik geäußert wird gegen den Bundesausschuss, das trifft die Ärzte gemeinsam mit uns. Da sitzen wir auch in einem Boot. Man kann den Ärzten da gar keine Vorwürfe machen. Wir haben mit den Ärzten darüber verhandelt. Wir haben versucht, zu Lösungen zu kommen. Wir haben die auf den Tisch gelegt. Wir werden das auch weiterhin machen und es wäre äußerst unvernünftig, diese gemeinsame Selbstverwaltung aufzulösen, denn jeder der das fordert muss sich ja überlegen, wer es denn statt dessen macht, und das werden Beamte sein, die das machen. Ob das besser wird, da habe ich meine großen Zweifel.
Zagatta: Herr Ahrens, in der Öffentlichkeit richtet sich die Kritik und der Unmut vor allem gegen die Praxisgebühr, die jetzt zum 1. Januar eingeführt worden ist. Wie stehen Sie heute mit zwei Wochen Erfahrung zu diesem Instrument?
Ahrens: Ich muss mal so sagen: Wir haben diese ganze Praxisgebühr nicht eingeführt. Die ist auch nicht auf unserer Initiative gewachsen, sondern das ist die Vorstellung der Politik gewesen. Wir müssen nur dafür Sorge tragen, dass sie vernünftig läuft, dass sie niemand über Gebühr belastet. Da sind in der Tat die Ausführungen zu der Praxisgebühr im Gesetz sehr, sehr schwammig und wir müssen jetzt sehr, sehr schnell sehen, dass wir uns darüber verständigen, wie können wir das so machen, dass der Grundgedanke fasst. Es kann nicht sein, dass jemand zum Beispiel bei ärztlicher Notversorgung mehrere Male belastet wird. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel bei Verhütungsmitteln eine junge Frau jedes Mal wieder zum Arzt gehen und sich dort dann ein Rezept ausschreiben lassen muss und dafür eine Praxisgebühr erhoben wird. Das müssen wir jetzt miteinander vereinbaren, damit dieses Instrument dann zumindest auch so eingesetzt wird, dass es die Betroffenen nicht über Gebühr belastet.
Zagatta: Haben Sie mit diesem großen Unmut gerechnet? Ist der normal?
Ahrens: Ich will mal so sagen: Natürlich ist er ziemlich verbreitet, aber man sollte vielleicht dort auch auf einen erfahrenen Sozialpolitiker wie Horst Seehofer hören, der zu mehr Gelassenheit auch in dieser Situation geraten hat und gesagt hat, bei jedem Gesetz ist es so, dass ein halbes Jahr braucht, bis die Anfangsschwierigkeiten erledigt sind. Da muss man dann auch sehen, dass man dort nachstellt und dass man versucht, das dann auch so hinzubekommen, dass niemand über Gebühr leidet, dass man Übergangslösungen schafft, aber dass es mit Sicherheit der falsche Weg ist, immer gleich einen Schuldigen zu suchen, bevor man daran denkt, wie man solche Situationen beheben kann.
Zagatta: Aber zu all dem Unmut über die Gesundheitsreform sagen einige Experten jetzt voraus, dass die angestrebten Beitragssenkungen eine Illusion sei. Im Gegenteil: viele Kassen müssten ihre Beiträge zum Jahresende hin wahrscheinlich noch anheben. Wie ist das bei Ihnen?
Ahrens: Bei uns ist es so, dass zwei Kassen abgesenkt haben bzw. absenken. Es werden keine Kassen die Beiträge anheben. Und ob weitere Kassen die Beiträge absenken werden, das sehen wir Mitte des Jahres, wenn wir feststellen, ob die finanziellen Wirkungen der Reform so eintreten, wie das angekündigt worden ist.
Zagatta: Zwei sind aber auch nicht allzu viel. Zwei von wie vielen?
Ahrens: Zwei von 17. Aber man muss sagen: was wäre das Ergebnis gewesen, wenn wir die Reform nicht gehabt hätten? Dann hätten diese zwei oder der Rest des Systems und die GKV insgesamt um den Betrag, um den wir entlastet worden sind - und das sind so sieben Milliarden - die Beiträge anheben müssen. Es geht also nicht darum, dass der Erfolg darin liegt, dass nicht abgesenkt wird, sondern dass Anhebungen vermieden worden sind.
Zagatta: Und da sind Sie zuversichtlich, das wird auch Ende des Jahres bei Ihnen kaum passieren?
Ahrens: Ja! Davon gehe ich aus, dass wir keine Anhebungen haben werden. Ob wir weitere Absenkungen haben werden, das wird sich Mitte des Jahres zeigen.
Zagatta: Der Arbeitgeberpräsident Hundt hat sich jetzt gestern auch noch zu Wort gemeldet. Er kritisiert trotz allen Unmuts jetzt in dieser Diskussion um die Gesundheitsreform, dass die Eigenbeteiligung noch viel zu niedrig sei. Wie bewerten Sie das bei Ihren Versicherten? Wäre da oder ist da noch Spielraum?
Ahrens: Nein! Man muss sagen das, was diese Reform jetzt den Beteiligten abverlangt, das ist wirklich sehr, sehr viel. Das muss man jetzt auch erst mal in Ordnung bringen. Das muss jetzt auch so gemacht werden, dass dort niemand über Gebühr belastet wird. Da halte ich es nicht für richtig, wenn wir jetzt darüber reden, noch zu mehr Belastungen zu kommen. Ich glaube alles das, was wir mit der Praxisgebühr, was wir mit den Zuzahlungen den Menschen zumuten, das ist jetzt aber auch wirklich so weit, dass man es damit dann auch bewenden lassen muss. Im Gegenteil: man muss jetzt sehen, dass man die Sachen gängig bekommt, damit dort keiner unverschuldet in Not gerät oder in Schwierigkeiten kommt.
Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk Hans Jürgen Ahrens, der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes. - Herr Ahrens, ich bedanke mich für das Gespräch!
Wir sind zu Nachbesserungen bereit, aber den "schwarzen Peter" lehnen wir ab" -
Zu den Drohungen der Bundessozialministerin Ulla Schmidt gegenüber den
Kassenärztlichen Vereinigungen -
Interview mit Hans Jürgen Ahrens, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes
"Informationen am Morgen", 19.01.2004, 7:15 Uhr
Zagatta: Im Streit um die Praxisgebühr und andere unangenehme Begleiterscheinungen der Gesundheitsreform gerät Ulla Schmidt immer stärker in die Kritik. Die Gesundheitsministerin reagiert, indem sie die Flucht nach vorne antritt. Ärzte und Krankenkassen seien Schuld, dass die Reform so holprig angelaufen ist, und denen will sie - so Schmidt heute im "Spiegel" - jetzt nur noch eine Woche einräumen, um die strittigen Fragen zu klären. Sonst - so die Ministerin - könnte die Selbstverwaltung abgeschafft werden.
Die Kritik zielt vor allem auf den Bundesausschuss von Kassen und Ärzten, ein Ausschuss, in dem die allgemeinen Ortskrankenkassen und Vorstandsvorsitzender Hans Jürgen Ahrens ein gewichtiges Wort mitreden. Der AOK-Chef ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen Herr Ahrens!
Ahrens: Guten Morgen Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Ahrens, Ministerin Schmidt bezieht ja auch Prügel, weil die Selbstverwaltung nicht in der Lage ist oder war, klare Regelungen zu schaffen. Können Sie nachvollziehen, dass Frau Schmidt sauer ist auf die Ärzteschaft und auch auf Sie, die Vertreter der Krankenkassen?
Ahrens: Nein, überhaupt nicht. Ich finde das auch sehr unerfreulich, dass wenn Dinge nicht klappen zunächst mal ein Schuldiger gesucht wird, statt sich darüber Gedanken zu machen, wie man sie ans Laufen bringt. Denn bei dieser Reform kann es ja zwei Möglichkeiten geben, warum dieses Gesetz nicht sofort seine Wirkung erzeugt. Es kann daran liegen, dass das Gesetz nicht OK war, dass es handwerklich nicht so war, wie es hätte sein sollen, dass es die Dinge nicht enthielt, die es hätte enthalten müssen, und deshalb der Bundesausschuss nachbessern muss, oder in der Tat, dass der Bundesausschuss seine Aufgaben nicht gemacht hat. - Ich darf Ihnen nur sagen, dass der Bundesausschuss schon bereits bevor das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist Richtlinien entlassen hat, die aber nicht die Zustimmung der Ministerin gefunden haben. Insofern halte ich von diesem ganzen Hickhack überhaupt nichts.
Zagatta: Wie erklären Sie sich, dass die Kritik von Frau Schmidt so heftig ausgefallen ist?
Ahrens: Na ja, man muss eben feststellen, dass die Versicherten und die Patienten sehr verunsichert sind und einen Riesen Druck in der Öffentlichkeit machen. Eine Reform, die sich gegen den Patienten richtet, ist in der Tat eine Reform, die in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt. Eine Reform dafür natürlich überhaupt nicht dazu führen, dass irgend Jemand in Not gerät. Diese Verunsicherung ist da. Sie ist der Presse zu entnehmen. Dazu sagten Sie bereits, die Ministerin macht die Flucht nach vorne. Nur ich weiß nicht, ob die zum rettenden Ufer führt, sondern man sollte sich hier wirklich lieber darum bemühen, dass man zu vernünftigen und schnellen Lösungen kommt. Wir sind bereit dazu. Wir werden versuchen, diese Woche nachzubessern. Wir lehnen aber den schwarzen Peter ab, der uns dort zugeschoben wird.
Zagatta: Der wird Ihnen aber nach wie vor zugeschoben. Sie sagen, Sie haben dort Vorschläge vorgelegt, die die Regierung dann abgelehnt habe. Aus dem Ministerium wird Ihnen aber vorgeworfen, Sie hätten eine lange Zeit gehabt, um eine Liste beispielsweise mit chronischen Krankheiten vorzulegen, und dann hätten Sie nur unbrauchbares Material geliefert. Was sagen Sie dazu?
Ahrens: Na ja, wenn Sie sich angucken, wer das behauptet, dass es unbrauchbares Material gewesen ist - das war ein der Ministerin nahestehender Berater -, dann würde ich sagen, der soll sich mal um seine eigenen Gutachten kümmern. Wir haben das gemacht, was wir zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns zusammengesetzt haben, dem Gesetz entnommen haben. Wenn das Ministerium jetzt der Meinung ist, es sollen andere Kriterien vorgelegt werden, dann kann man das machen. Zu dem Zeitpunkt, als wir angefangen haben, gab das Gesetz aber gar keine anderen Möglichkeiten, denn es war ja noch gar nicht in Kraft getreten.
Zagatta: Was ist denn mit dem Ultimatum, das Ihnen die Ministerin jetzt gestellt hat, denn danach haben Sie ja nur noch eine Woche Zeit, um die Probleme zu lösen? Ist das machbar?
Ahrens: Wir werden in dieser Woche alles tun, was in dieser Woche getan werden kann, aber diesem Ultimatum sehen wir sehr gelassen entgegen, denn was ist denn die Konsequenz, wenn die gemeinsame Selbstverwaltung aufgelöst wird. Dann muss alles das, was wir jetzt machen, das Ministerium machen. Und ob das besser wird, da habe ich bei diesem Gesetz so meine großen Zweifel. Deshalb glaube ich das ist eine Drohgebärde, aber die umzusetzen, da sollte man sich sehr, sehr genau überlegen, was man damit macht. Dann haben wir nämlich Staatsmedizin wie zum Beispiel in Großbritannien.
Zagatta: Was würde das für Sie, für die Krankenkassen und vor allem was würde das für die Versicherten bedeuten, wenn die Selbstverwaltung tatsächlich ausgesetzt wird?
Ahrens: Für die Versicherten würde das bedeuten, dass zum Beispiel ein Großteil des Sachverstandes, der jetzt von den Ärzten bei der Definition eingebracht wird, dann nicht mehr vorhanden ist, dass dieses vielleicht dann über Gutachten oder andere Dinge gemacht werden muss, dass es alles sehr viel länger dauert und sehr bürokratisch wird.
Zagatta: Was bedeutet das dann für Ihren Umgang mit den Ärzten? Wenn ich das recht verstehe, dann hat sich der Ärger der Ministerin ja nicht nur gegen die Krankenkassen, sondern vor allem gegen die Ärzteschaft gerichtet. Welche Rolle spielen die Ärzte? Sie verhandeln ja täglich mit denen.
Ahrens: Ich muss ehrlich sagen, das was an Kritik geäußert wird gegen den Bundesausschuss, das trifft die Ärzte gemeinsam mit uns. Da sitzen wir auch in einem Boot. Man kann den Ärzten da gar keine Vorwürfe machen. Wir haben mit den Ärzten darüber verhandelt. Wir haben versucht, zu Lösungen zu kommen. Wir haben die auf den Tisch gelegt. Wir werden das auch weiterhin machen und es wäre äußerst unvernünftig, diese gemeinsame Selbstverwaltung aufzulösen, denn jeder der das fordert muss sich ja überlegen, wer es denn statt dessen macht, und das werden Beamte sein, die das machen. Ob das besser wird, da habe ich meine großen Zweifel.
Zagatta: Herr Ahrens, in der Öffentlichkeit richtet sich die Kritik und der Unmut vor allem gegen die Praxisgebühr, die jetzt zum 1. Januar eingeführt worden ist. Wie stehen Sie heute mit zwei Wochen Erfahrung zu diesem Instrument?
Ahrens: Ich muss mal so sagen: Wir haben diese ganze Praxisgebühr nicht eingeführt. Die ist auch nicht auf unserer Initiative gewachsen, sondern das ist die Vorstellung der Politik gewesen. Wir müssen nur dafür Sorge tragen, dass sie vernünftig läuft, dass sie niemand über Gebühr belastet. Da sind in der Tat die Ausführungen zu der Praxisgebühr im Gesetz sehr, sehr schwammig und wir müssen jetzt sehr, sehr schnell sehen, dass wir uns darüber verständigen, wie können wir das so machen, dass der Grundgedanke fasst. Es kann nicht sein, dass jemand zum Beispiel bei ärztlicher Notversorgung mehrere Male belastet wird. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel bei Verhütungsmitteln eine junge Frau jedes Mal wieder zum Arzt gehen und sich dort dann ein Rezept ausschreiben lassen muss und dafür eine Praxisgebühr erhoben wird. Das müssen wir jetzt miteinander vereinbaren, damit dieses Instrument dann zumindest auch so eingesetzt wird, dass es die Betroffenen nicht über Gebühr belastet.
Zagatta: Haben Sie mit diesem großen Unmut gerechnet? Ist der normal?
Ahrens: Ich will mal so sagen: Natürlich ist er ziemlich verbreitet, aber man sollte vielleicht dort auch auf einen erfahrenen Sozialpolitiker wie Horst Seehofer hören, der zu mehr Gelassenheit auch in dieser Situation geraten hat und gesagt hat, bei jedem Gesetz ist es so, dass ein halbes Jahr braucht, bis die Anfangsschwierigkeiten erledigt sind. Da muss man dann auch sehen, dass man dort nachstellt und dass man versucht, das dann auch so hinzubekommen, dass niemand über Gebühr leidet, dass man Übergangslösungen schafft, aber dass es mit Sicherheit der falsche Weg ist, immer gleich einen Schuldigen zu suchen, bevor man daran denkt, wie man solche Situationen beheben kann.
Zagatta: Aber zu all dem Unmut über die Gesundheitsreform sagen einige Experten jetzt voraus, dass die angestrebten Beitragssenkungen eine Illusion sei. Im Gegenteil: viele Kassen müssten ihre Beiträge zum Jahresende hin wahrscheinlich noch anheben. Wie ist das bei Ihnen?
Ahrens: Bei uns ist es so, dass zwei Kassen abgesenkt haben bzw. absenken. Es werden keine Kassen die Beiträge anheben. Und ob weitere Kassen die Beiträge absenken werden, das sehen wir Mitte des Jahres, wenn wir feststellen, ob die finanziellen Wirkungen der Reform so eintreten, wie das angekündigt worden ist.
Zagatta: Zwei sind aber auch nicht allzu viel. Zwei von wie vielen?
Ahrens: Zwei von 17. Aber man muss sagen: was wäre das Ergebnis gewesen, wenn wir die Reform nicht gehabt hätten? Dann hätten diese zwei oder der Rest des Systems und die GKV insgesamt um den Betrag, um den wir entlastet worden sind - und das sind so sieben Milliarden - die Beiträge anheben müssen. Es geht also nicht darum, dass der Erfolg darin liegt, dass nicht abgesenkt wird, sondern dass Anhebungen vermieden worden sind.
Zagatta: Und da sind Sie zuversichtlich, das wird auch Ende des Jahres bei Ihnen kaum passieren?
Ahrens: Ja! Davon gehe ich aus, dass wir keine Anhebungen haben werden. Ob wir weitere Absenkungen haben werden, das wird sich Mitte des Jahres zeigen.
Zagatta: Der Arbeitgeberpräsident Hundt hat sich jetzt gestern auch noch zu Wort gemeldet. Er kritisiert trotz allen Unmuts jetzt in dieser Diskussion um die Gesundheitsreform, dass die Eigenbeteiligung noch viel zu niedrig sei. Wie bewerten Sie das bei Ihren Versicherten? Wäre da oder ist da noch Spielraum?
Ahrens: Nein! Man muss sagen das, was diese Reform jetzt den Beteiligten abverlangt, das ist wirklich sehr, sehr viel. Das muss man jetzt auch erst mal in Ordnung bringen. Das muss jetzt auch so gemacht werden, dass dort niemand über Gebühr belastet wird. Da halte ich es nicht für richtig, wenn wir jetzt darüber reden, noch zu mehr Belastungen zu kommen. Ich glaube alles das, was wir mit der Praxisgebühr, was wir mit den Zuzahlungen den Menschen zumuten, das ist jetzt aber auch wirklich so weit, dass man es damit dann auch bewenden lassen muss. Im Gegenteil: man muss jetzt sehen, dass man die Sachen gängig bekommt, damit dort keiner unverschuldet in Not gerät oder in Schwierigkeiten kommt.
Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk Hans Jürgen Ahrens, der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes. - Herr Ahrens, ich bedanke mich für das Gespräch!