Archiv

Aids-Prävention
"Ärzte bieten HIV-Tests noch zu wenig aktiv an"

Viele Menschen verbänden HIV irrtümlich mit schwerer Krankheit und Tod, sagte Clara Lehmann von der Infektionsambulanz der Uniklinik Köln im Dlf. Dabei lasse sich die Infektion sehr gut behandeln. Ein HIV-Test müsse eine völlig normale Untersuchung werden, die man jedem anbietet.

Clara Lehmann im Gespräch mit Martin Winkelheide |
Ein junger Mann führt am 04.05.2017 in Berlin einen HIV-Heimtest durch
Flächendeckendes Testen, u. a. mit dem HIV-Heimtest, ist einer von drei Bausteinen bei der HIV-Prävention (dpa-Zentralbild / Britta Pedersen)
Martin Winkelheide: Morgen beginnt in Basel die 17. Europäische Aidskonferenz. Ein Schwerpunkt dort ist die Entwicklung in Osteuropa. Dort ist seit Jahren ein dramatischer Anstieg der HIV-Infektionen zu verzeichnen, die HIV-Epidemie hat dort eine besondere Dynamik entwickelt. Bei uns in Deutschland ist die Situation weniger dramatisch, aber nach wie vor stecken sich Menschen mit dem HI-Virus an, jedes Jahr sind es an die 3.000. Mehr als 10.000 Menschen, sagen Schätzungen, wissen nicht, dass sie das Virus in sich tragen. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen erst von ihrer Infektion erfahren, wenn sie schon schwer krank sind.
Clara Lehmann leitet die Infektionsambulanz an der Klinik für innere Medizin I am Universitätsklinikum in Köln und sie ist am Telefon. Schönen guten Tag, Frau Doktor Lehmann!
Clara Lehmann: Guten Tag!
Winkelheide: Man sagt, so 86.000 bis 90.000 Menschen in Deutschland leben mit HIV. Mehr als 10.000 wissen nicht, dass sie infiziert sind. Wie kann das sein?
Lehmann: Das liegt sicherlich daran, dass die Menschen eben sich nicht häufig genug auf HIV testen lassen. Das liegt zum einen an den Patienten oder an den Menschen an sich, aber auch an den Ärzten. Viele Menschen gehen nicht zum Test, weil sie nämlich irrtümlich HIV mit schwerer Krankheit und Tod noch verbinden und sie eben auch sehr große Angst vor Ausgrenzung haben, deswegen gehen sie erst gar nicht zum Testen für HIV, wobei man ja heute eben sehr, sehr gut das auch behandeln kann. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass die Ärzte noch zu wenig aktiv HIV-Teste anbieten, weil in den Augen von Ärzten ist HIV immer noch so mit Promiskuität so assoziiert. Und das ist dann so ein Wechselspiel zwischen Patient und Arzt.
"Neuinfektionsraten vermindern"
Winkelheide: Also, der Arzt fragt nicht gerne danach sozusagen.
Lehmann: Genau! Das ist ihm auch unangenehm, das ist etwas, worüber man nicht gerne spricht.
Winkelheide: Aber was wäre denn ein positives Bild. Ich meine, HIV lässt sich ja recht gut inzwischen behandeln, man könnte ja auch sagen, ja, ein Aidstest, das ist auch nichts anderes als die mindestens regelmäßige Blutdruckmessung – einfach ein Laborwert, fertig.
Lehmann: Genau. Aber Sie haben jetzt gerade auch gesagt Aidstest, weil die Menschen denken, HIV gleich Aids. Das ist aber eben meistens gar nicht so. Es ist eben nur HIV positiv, das kann man sehr, sehr gut behandeln. Und das sollte ganz normal in jeglicher Untersuchung sollte ein HIV-Test auch meiner Meinung nach angeboten werden, weil nur so – wenn wir ausreichend Leute auch testen und auch identifizieren – können wir die Neuinfektionsraten vermindern. Weil ein großer Teil eben immer noch gar nicht weiß, dass sie eine HIV-Infektion haben und so weitere Menschen auch wieder mit HIV infizieren. Und so läuft der Teufelskreis dann immer weiter, der muss einfach unterbrochen werden.
"Menschen erreichen, die nicht zu den klassischen Risikogruppen gehören"
Winkelheide: Seit einem Jahr ist es ja möglich, auch Heimtests zu machen in Deutschland. Gibt es da gute Erfahrungen mit?
Lehmann: Ja, das ist schon so, dass in bestimmten Gegenden, in ländlichen Gegenden das viel auch in Anspruch genommen wird oder mehr in Anspruch genommen wird. Aber das wird ja nur von Menschen in Anspruch genommen, die wissen, dass sie ein Risiko haben. Das ist ja schon mal sehr gut, dass die das machen, aber man muss natürlich auch noch andere Menschen erreichen, die nicht davon wissen und die nicht unbedingt zu diesen klassischen Risikogruppen gehören. Dieser Heimtest ist also sicherlich ein Baustein, indem man möglichst mehr Leute auch auf HIV testen kann, ist aber nur ein kleiner Baustein. Es müsste eine völlig normale Untersuchung werden, die man jedem auch anbietet.
Drei Bausteine zur Prävention von HIV
Winkelheide: Wenn man sich den Werkzeugkasten der Prävention und Vorbeugung noch mal anguckt, sind da auch noch neue Elemente reingekommen, neue Bausteine?
Lehmann: Ja, ein weiterer Baustein ist die sogenannte Präexpositionsprophylaxe mit der Abkürzung PrEP. Und als weiterer Baustein ist eben die frühzeitige Behandlung von HIV-positiven Menschen, dieses treatment as prevention. Also, wenn man die Viruslast komplett kontrolliert hat, steckt man keine weiteren Menschen an. Das heißt, es sind eigentlich drei Bausteine, die man hat in der Prävention: Einmal flächendeckendes Testen auf HIV, das ist die Präexpositionsprophylaxe, wo Menschen mit einem bestimmten Risiko ein HIV-Medikament regelmäßig nehmen, das schützt vor einer Infektion von HIV. Und das Dritte wäre diese treatment as prevention, also frühzeitige Behandlung von Menschen, sodass eben keine weiteren Infektionen dann stattfinden können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.