Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Aids-Therapie macht erhebliche Fortschritte

Aids könnte zu einer beherrschbaren chronischen Krankheit werden, sagt der Forscher Christoph Benn anlässlich der am Sonntag eröffneten Welt-Aids-Konferenz in Washington. Dank heutiger Therapien geben Erkrankte das Virus nicht weiter - doch Benn warnt zugleich vor Sorglosigkeit.

Das Gespräch führte Silvia Engels | 23.07.2012
    Silvia Engels: Seit Anfang der 80er-Jahre muss sich die Welt mit dem Kampf gegen Aids auseinandersetzen. Weit über 30 Millionen Menschen (vor allem in Entwicklungsländern) sind an den Folgen der Immunschwächekrankheit gestorben. Neue Medikamente versprechen aber mittlerweile auch Erfolge im weltweiten Kampf gegen HIV. Seit gestern Nachmittag beraten darüber Experten auf der Internationalen Aids-Konferenz in Washington.
    Am Telefon ist nun Christoph Benn, er ist Arzt und Direktor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Dieser Fonds, gespeist aus öffentlichen und privaten Mitteln, verfügt derzeit über gut 22 Milliarden US-Dollar, um in vielen Projekten mit Prävention, ärztlicher Betreuung und Medikamenten Aids zurückzudrängen. Guten Morgen, Herr Benn.

    Christoph Benn: Einen schönen guten Morgen!

    Engels: Es sind geschätzt weltweit rund 34 Millionen Menschen, die mit dem Aids-Erreger leben - 2,7 Millionen Menschen stecken sich jedes Jahr neu an. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie bei der Bekämpfung der Immunschwächekrankheit?

    Benn: Ja, dies sind immer noch erschreckende Zahlen und keine Frage ist Aids immer noch eine der bedrohlichsten Krankheiten weltweit. Und doch muss man sagen, ich komme soeben von der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz: Ich habe seit vielen Jahren nicht mehr einen solchen Optimismus verspürt. Wie schon in der Anmoderation gesagt wurde, viele der Redner sagten, dies könnte der Anfang des Endes von Aids sein, diese Konferenz könnte als Wendepunkt in die Geschichte dieser Krankheit eingehen, und dafür gibt es durchaus auch einige Argumente. Obwohl eben noch sehr viel getan werden muss, ist es schon sehr beeindruckend, was in den letzten Jahren geschehen ist. Vor einigen Jahren war Aids ein reines Todesurteil, vor allen Dingen in Afrika, Millionen von Menschen starben, und dass wir jetzt acht Millionen Menschen dort mit der Therapie am Leben halten können, und zwar nicht nur am Leben erhalten können, sondern sie sind wie gesunde Menschen, können ihrer Arbeit nachgehen, können ihre Familien versorgen, es ist Hoffnung zurückgekehrt in diese Gemeinschaften, das ist schon ein gewaltiger Fortschritt. Und jetzt ist die Diskussion: Können wir das so weiterführen, dass es einfach eine chronische Krankheit wird, die keine wirkliche Bedrohung mehr für die Welt darstellt.

    Engels: Da gibt es ja zwei Stränge, die zu verfolgen sind: Zum einen die Hoffnung auf die Forschung, aber auch gerade die Frage, wie organisiert und wie finanziert man in der Breite die Versorgung mit Aids-Medikamenten, denn in den Entwicklungsländern sterben ja nach wie vor viele Menschen an Aids. Vor einer Finanzierungslücke wird gewarnt. Betrifft das auch gerade Ihren Fonds, der ja eigentlich über Milliarden verfügt?

    Benn: Der Fonds verfügt schon über Milliarden. Das heißt, wir können im Moment etwa drei bis dreieinhalb Milliarden Dollar pro Jahr investieren. Das hat mit dazu beigetragen, dass sich diese Epidemie so verändert hat. Aber es ist auch noch etwas dazugekommen: Die Länder selber investieren mehr und mehr in die Behandlung und die Bekämpfung von Aids, und das ist ein ganz entscheidender Faktor. Wenn wir überlegen, ob wir in Zukunft sozusagen die völlige Begrenzung dieser Krankheit finanzieren können, dann wird das nicht nur mit internationalen Mitteln gehen, auch nicht über unseren Fonds. Aber wenn, wie jetzt der Fall ist, mehr als die Hälfte der Gelder kommt jetzt schon aus den betroffenen Ländern, auch in Afrika, dann ist es möglich, dass wir sozusagen von der internationalen Gemeinschaft diese Lücke schließen, die dann nur noch für die Länder gilt, die wirklich nicht aus eigenen Mitteln das finanzieren können. Aber wir haben wirklich auch erfreulicherweise in vielen afrikanischen Ländern ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und vor allen Dingen auch jetzt den politischen Willen, dass diese Länder in ihre eigenen Gesundheitsprogramme investieren, sodass wir uns als globaler Fonds als komplementär verstehen, in den Ländern und Regionen, wo es in den nächsten Jahren noch nicht möglich sein wird, alle Kosten selber zu übernehmen.

    Engels: Wagen Sie denn, eine Rechnung oder eine Perspektive aufzumachen, wann in der Tat genug Geld dafür bereitsteht, so gut wie alle Menschen, die mit Aids infiziert sind, auch so zu versorgen mit Medikamenten, dass sie eine annähernd normale Lebenserwartung haben?

    Benn: Da ist der große Optimismus bei dieser Konferenz, dass das, sagen wir mal, in den nächsten drei bis fünf Jahren schon passieren kann. Das ist vielleicht etwas sehr optimistisch, hängt natürlich auch davon ab, wie sich die Weltwirtschaft weiter entwickelt, vor allem ja auch in den Schwellenländern und in Afrika. Aber es kommt noch etwas anderes dazu: Die Behandlung ist ja immer preiswerter geworden. Also es ist nicht nur, dass wir immer mehr Geld brauchen, sondern wir können auch die Gelder, die wir haben, sehr viel effizienter und sparsamer einsetzen. Eine komplette Aids-Behandlung, die Medikamente kosten jetzt für uns nunmehr um die 100 Dollar pro Patient und Jahr, das ist eine gewaltige Reduzierung. Vor ein paar Jahren kosteten diese Behandlungen ja noch mehrere Tausend Dollar. Das macht es sehr viel bezahlbarer, diese Epidemie unter Kontrolle zu bringen. Und dann kommt ein weiterer Faktor dazu: Wir wissen jetzt durch umfangreiche wissenschaftliche Studien, dass die Menschen, die Behandlung bekommen, nicht mehr das Virus an Andere übertragen, und das ist der entscheidende Faktor. Es wird hier ganz viel auf der Konferenz davon geredet, dass Therapie jetzt die neue Vorbeugung ist. Das schließt nicht aus, dass es auch weiterhin die Benutzung von Kondomen und andere Vorbeugungsmaßnahmen geben muss, das ist selbstverständlich. Aber die Therapie ist jetzt ein entscheidender Faktor auch, um die weitere Übertragung zu verhindern, und das könnte der entscheidende Durchbruch am Ende sein.

    Engels: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die ja gerade in den USA neu zugelassene Pille, die bei regelmäßiger Einnahme die Ansteckung mit Aids überhaupt verhindern soll?

    Benn: Ja ich denke, das ist eine weitere Möglichkeit im Arsenal sozusagen der Medikamente. Aber das ist jetzt, glaube ich, nicht der entscheidende Faktor ...

    Engels: Das ist ja auch teuer!

    Benn: Das wird auch teuer und das hat sogar bei den bisherigen Diskussionen heute fast keine Rolle gespielt.

    Engels: Gibt es denn Hoffnung, um mal auf die medizinische Seite zu schauen, eine Impfung generell gegen Aids in der Tat auch in den nächsten Jahren zu erreichen, um auf dieser Seite auch schneller die Krankheit zu besiegen?

    Benn: Wir haben natürlich seit vielen Jahren darauf gehofft, dass es eines Tages einen Impfstoff geben wird, und haben eigentlich gesagt, das wäre wahrscheinlich der Zeitpunkt, wenn man von einem richtigen Durchbruch sprechen könnte. Es gibt auch dort Fortschritte zu verzeichnen, und zwar, dass man immer besser die Mechanismen erkennt, wie diese Antikörper gebildet werden und dass der Körper es nachbilden kann. Das heißt, es gibt dort durchaus Fortschritt, aber ich würde nach wie vor sagen, das ist eine Möglichkeit in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Also es ist nicht so, dass jetzt ein Impfstoff kurz vor der Marktreife stehen würde.

    Engels: Experten warnen ja auch davor, dass in einigen Regionen sich durch Sorglosigkeit der Menschen Aids wieder stärker ausbreiten könnte. Was gefährdet Ihrer Ansicht nach einen Erfolg im Kampf gegen Aids derzeit am stärksten?

    Benn: Das ist natürlich richtig und es wurde ja auch schon angesprochen. Das Augenmerk liegt nicht mehr nur sozusagen auf Afrika, sondern gerade auch in Regionen wie Osteuropa, Zentralasien, wo die Raten stark ansteigen. Und man muss es eben auch wirklich betonen: Hier in Washington selber, in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, ist die Aids-Rate höher als in vielen afrikanischen Ländern. Wenn Sie die Stadt Washington nehmen, dann ist die Infektionsrate höher als in Ruanda oder anderen afrikanischen Ländern. Das heißt, auch hier ist es ein Problem, und hier ist es mehr ein Problem eben der Vernachlässigung, dass man nicht auf Vorbeugung achtet, und natürlich auch letztendlich ein schlechter Zugang dann zu der Behandlung für die, die noch keine Krankenversicherung haben. Also das Problem ist sicherlich jetzt nicht gelöst, das darf man sicherlich nicht signalisieren, bei allem Optimismus dieser Konferenz, aber nach so vielen Jahren und Jahrzehnten eigentlich, wo man dieser Epidemie fast hilflos gegenüberstand, merkt man eine gewisse Euphorie bei denen, die so lange schon gegen diese Krankheit ankämpfen, und es besteht Anlass für einen vorsichtigen Optimismus.

    Engels: Christoph Benn, er ist Arzt und Direktor des Globalen Fond zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Vielen Dank für das Gespräch.

    Benn: Gerne – bitte.

    Engels: Dann danke ich Ihnen und einen Gruß nach Washington. Auf Wiederhören, Herr Dr. Benn.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Deutsche AIDS-Stiftung