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Aigner: Finanzwelt muss Vertrauen selbst zurückgewinnen

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner hält die bisherigen Entschädigungen im Zuge der Finanzkrise nicht für ausreichend. Die Banken müssten von sich aus Gelder zurückerstatten, wenn sie ihre Kunden falsch beraten hätten, sagte die CSU-Politikerin.

Ilse Aigner im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Vor einem Jahr entschied die US-Regierung, der angeschlagenen Lehman-Bank nicht unter die Arme zu greifen, sondern es sollte ein Exempel statuiert werden. Eine Bank hatte ihr Geld verzockt und deswegen soll sie eben Pleite gehen. Das war als Warnung für alle anderen gedacht. Viele hielten das damals für richtig, aber sie unterschätzten dramatisch die Folgen.

    In Deutschland hat die Pleite der Lehman-Bank das Vertrauen der Verbraucher in ihre Finanzberater und Banken schwer beschädigt. – Am Telefon ist Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). Zurzeit erreichen wir sie beim Ministerrat in Schweden. Guten Morgen, Frau Aigner.

    Ilse Aigner: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Frau Aigner, trauen Sie noch Ihrem eigenen Finanzberater über den Weg?

    Aigner: Ja, ich persönlich schon. Aber es gibt natürlich viele, die ihr Vertrauen verloren haben aufgrund von Falschberatungen. Deswegen kann man das nicht allgemein sagen.

    Meurer: Haben die deutschen Banken und Sparkassen mit den Lehman-Zertifikaten damals ihre Kunden über den Tisch gezogen?

    Aigner: Das kam wohl auch vor. Man kann das nicht verallgemeinern, aber es hat hier deutliche Missstände gegeben, die auch bei uns im Haus vorliegen. Es gab auch schon einige Entschädigungen, aber ich glaube, das reicht noch nicht aus.

    Meurer: Was waren die schlimmsten Missstände?

    Aigner: Zum Beispiel ist mir ein Fall bekannt, dass eine 80-jährige Dame ein Sparbuch anlegen wollte, um ihre 25.000 Euro, die sie für einen Pflegefall zurückgelegt hat, auch sicher anzulegen, und ihr wurde dann ein Lehman-Zertifikat empfohlen. Sie hat aber Gott sei Dank mittlerweile ihr Geld wiederbekommen.

    Meurer: Appellieren Sie, Frau Aigner, an die Banken, großzügiger als bisher geschehen freiwillig Entschädigungszahlungen an die Lehman-Geschädigten zu leisten?

    Aigner: Ja, das mache ich. Ich glaube, es ist sehr, sehr viel Vertrauen verloren gegangen. Das wurde in dem Bericht ja auch angesprochen. Dieses Vertrauen kann letztendlich auch nur die Finanzwelt selbst zurückgewinnen und da braucht man eigentlich keine Gesetze dazu.

    Meurer: Was sollen die Banken genau machen?

    Aigner: Erstens mal bei denjenigen, wo offensichtlich Falschberatung stattgefunden hat, auch zurückzuerstatten. Das ist das Wesentliche.

    Meurer: Sollen die Kunden klagen?

    Aigner: Das kann man eben generell nicht sagen und da muss man jeden Einzelfall überprüfen. Ich kann da wirklich nur sagen, das muss man dann auch im Zweifelsfall mit einem Rechtsanwalt tun, aber wie gesagt auch mit der Bank, die eigentlich das Vertrauen wieder zurückgewinnen will, müsste man dann ein deutliches Wort reden.

    Meurer: Wie viele der 40.000, 50.000 Leute sollen ihr Geld zurückbekommen?

    Aigner: Ja, das halte ich für richtig, vor allem wenn sie falsch beraten wurden.

    Meurer: Die Frage war, wie viele von den Betroffenen, die man auf 40.- bis 50.000 schätzt?

    Aigner: Wenn sie falsch beraten wurden, dass ihnen ein anderes Produkt empfohlen wurde als es ihrem Sparziel entspricht, dann müssten sie meines Erachtens auch entschädigt werden, aber da zählt jeder Einzelfall.

    Meurer: Zurzeit kann man das alles noch ein bisschen schwer nachweisen. Zukünftig, ab dem 1. Januar, soll es ein sogenanntes Beratungsprotokoll geben. Da hat die Kanzlerin am Sonntag im TV-Duell gesagt, mit diesem Beratungsprotokoll werde die Beweislast zugunsten der Anleger umgekehrt. Irrt sich da die Kanzlerin?

    Aigner: Es ist eine faktische Umkehr der Beweislast, weil bisher haben sie gar nichts in der Hand. Wenn sie zu zweit bei einer Beratung waren, konnten sie nie nachweisen, was letztendlich ihnen empfohlen wurde. Bei dem Beratungsprotokoll muss erst festgelegt werden, welche Ziele sie angegeben haben und welche Produkte ihnen daraufhin empfohlen wurden, und diese haben sie dann auf alle Fälle in der Hand und sie können das auch überprüfen, ob das Protokoll korrekt geführt wurde.

    Meurer: Aber die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sagt zum Beispiel gestern noch bei uns, in Deutschland muss weiterhin der Kunde beweisen, dass er falsch beraten worden ist.

    Aigner: Ja. Er hat aber auf alle Fälle ein Protokoll sozusagen in der Hand, wo er dieses beweisen kann.

    Meurer: Wenn denn der Bankberater, jetzt sage ich mal salopp, so blöd war, das Protokoll so zu fassen, dass es juristisch anfechtbar ist.

    Aigner: Na ja, aber sie müssen natürlich auch überprüfen, wenn sie ein Protokoll bekommen, ob es letztendlich korrekt geführt wurde. Das ist klar, das müssen sie auch überprüfen. Es gibt auch die Diskussion, ob sozusagen der Betroffene selbst unterschreiben müsste. Da gehen die Meinungen auseinander. Es kann ja auch sein, dass dann schnell so nach dem Motto "unterschreiben Sie schnell das Protokoll" agiert wird und damit ist alles abgesegnet. Deshalb gehen hier die Meinungen sehr weit auseinander.

    Meurer: Gehen Sie davon aus oder kann man davon ausgehen, dass die Berater jetzt eifrig Seminare besuchen werden, wie formuliere ich wasserdichte Beratungsprotokolle?

    Aigner: Ich würde mir wünschen, dass Berater eher auf Weiterbildung gehen über die Produktinhalte, statt dass sie weiter auf Verkaufsdruck optimiert werden. Das ist eigentlich das größere Anliegen.

    Meurer: Wie wollen Sie den Verkaufsdruck von den Beratern nehmen?

    Aigner: Es ist für mich eine Frage des Anreizsystems. Ich glaube, es ist legitim zu sagen, dass Zielvorgaben sozusagen auf eine Filiale gegeben werden, aber dass jeder einzelne Berater genaue Vorgaben bekommt, wie viel von einem Produkt er in einer Woche zu veräußern hat, das geht meines Erachtens am Beratungssinn vorbei.

    Meurer: Aber da können Sie nur appellieren, oder kann man die Banken da zwingen?

    Aigner: Da werden wir auch immer wieder die Gespräche führen, haben wir auch schon und letztendlich ist auch wie gesagt die Frage eines Produktinformationsblattes, das wir jetzt eingeführt haben, das ein bisschen die Übersicht gibt, was gibt mir der Berater eigentlich in die Hand, entspricht das überhaupt meinen Zielen.

    Meurer: Die Provisionen scheinen ja ein Knackpunkt zu sein. Gibt es eine gesetzliche Handhabe, dass man sagt, die Provision, das System muss einfach geändert werden? Wir schaffen zum Beispiel Provisionen ab und führen eine Beratungsgebühr ein. Dann weiß jeder, was er bezahlt, und es entfällt der Druck.

    Aigner: Die entscheidende Frage ist, es muss genau ausgewiesen werden, wie viel an Provisionen dahinter steckt. Das haben wir bei den Versicherungen schon durchgesetzt und das werden wir auch bei den Finanzprodukten insgesamt durchsetzen, dass man auf einen Blick weiß, wie viel Provisionen oder sonstige Kosten verstecken sich hinter einem Produkt.

    Meurer: Aber der Kunde muss da im Moment schon nachfragen nach der Provision?

    Aigner: Im Moment, aber das wird sich hoffentlich bald ändern.

    Meurer: In welcher Form?

    Aigner: Wir haben wie gesagt dieses Produktinformationsblatt jetzt eingeführt. Es wird auch von einzelnen Banken schon umgesetzt. Wenn das nicht auf freiwilliger Basis umgesetzt wird, dann werden wir das auch anderweitig lösen müssen.

    Meurer: Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner von der CSU, ein Jahr nach der Lehman-Pleite und wie Anleger vor Schäden besser geschützt werden können. Danke schön und auf Wiederhören nach Schweden, Frau Aigner.

    Aigner: Danke schön! Schönen Tag.

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