Stefan Heinlein: Seit Jahren sitzt die Türkei auf der Schwelle zu Europa, doch trotz aller Gespräche hat sich für Ankara die Tür nach Brüssel bislang nur einen Spalt breit geöffnet. Nun hat die Regierung Erdogan einen wichtigen Fürsprecher. Der US-Präsident macht sich zum Anwalt des türkischen Beitrittswunsches. In seiner Rede vor dem türkischen Parlament warb Obama erneut für die Brückenfunktion des Landes, eine "Modellpartnerschaft" als Beispiel für den notwendigen neuen Dialog des Westens mit der islamischen Welt. Heute endet der Türkei-Besuch des US-Präsidenten.
Am Telefon in der Nähe der türkischen Stadt Izmir begrüße ich jetzt die Islam-Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Lale Akgün. Guten Morgen!
Lale Akgün: Guten Morgen!
Heinlein: Sie erleben also den Obama-Besuch vor Ort in der Türkei, können uns also sagen, wie stolz die Türken sind über die freundlichen Worte des amerikanischen Präsidenten.
Akgün: Ja, das ist natürlich alles ein Labsatz für die türkische Seele gewesen und im Moment ist hier alles vom Obama-Fieber erfasst.
Heinlein: Wie wird denn der Besuch Obamas in der Türkei gewertet, als eine Geste der Annäherung und der besonderen Wertschätzung?
Akgün: Ich denke, auch hier ist natürlich die Diskussion in vollem Gange, nämlich inwieweit vertritt die USA eigentlich eine neue Politik, oder hat sich nur der Ton geändert und die Inhalte bleiben gleich. Letztendlich geht es darum, welches Land im Osten oder im Nahen Osten oder an der Grenze zum Nahen Osten die Interessen der USA gut vertritt, und die Komplimente, die Obama der Türkei gemacht hat, werden auch aufgefasst als eben noch mal eine Verstärkung der Eigeninteressen hier.
Heinlein: Wie fallen denn die Antworten auf diese Fragen aus? Ist die Türkei bereit, diese von Obama verlangte Brückenfunktion zur islamischen Welt tatsächlich in Angriff zu nehmen?
Akgün: Das ist eine ganz schwierige Frage mit der Brückenfunktion. Die Frage ist natürlich, zu welchem Lager zählt sich die Türkei. Ist sie Teil des Westens oder ist sie Teil des Ostens? Letztendlich ist diese Brückenfunktion, die ja gerne so genannt wird, eine Funktion, die es erfordern würde, dass man zu beiden Seiten gehört, und die Kommentare, die ich hier von unterschiedlichen Leuten höre, sind eigentlich, dass man Partei ist für eine Seite. Das heißt, die Säkularen sind für die Annäherung der Türkei an den Westen beziehungsweise die Zugehörigkeit an den Westen, und die eher religiösen Fundamentalisten sind natürlich der Meinung, dass die Türkei Teil des Ostens ist.
Heinlein: Ist die Türkei in dieser Hinsicht ein gespaltenes Land?
Akgün: Ja. Ich würde sagen, die Türkei ist im Moment ein gespaltenes Land. Ich würde sogar sagen, die Türkei ist im Moment ein dreigespaltenes Land, weil auch die Kurden immer mehr eigentlich ihre Interessen verfolgen und auch immer lauter ihren Interessen Stimme geben. Wenn Sie sich die Kommunalwahlen vom vorletzten Sonntag anschauen, dann sehen Sie, dass auch lokal diese Dreiteilung sehr sichtbar wird. Das heißt, die Küsten der Türkei sind eigentlich von den säkularen Kräften gewonnen worden, der Südosten von den kurdischen Kräften und Mittelanatolien eher von den Religiösen.
Heinlein: Also wenn Obama sagt, die Türkei sei ein Beispiel für den säkularen Islam, die Türkei sei eine moderne Demokratie, redet sich dann Obama aus strategischem Eigennutz die Türkei schön?
Akgün: Ich glaube, dass hier natürlich alle der Meinung waren, dass Obama seine Hausaufgaben sehr gut gemacht habe. Er hat in der türkischen Geschichte gestochert, er hat Zitate von Atatürk gebracht, er hat so die ganze Bandbreite des Türkei-Kenners hier rausgestellt. Aber die kritischen Untertöne auch hier von den Journalisten sind nicht zu überhören, die da sagen, "Will er eigentlich etwas für die USA, oder ist er wirklich so türkeiverliebt?".
Heinlein: Haben Sie eine Antwort?
Akgün: Ich glaube schon, dass natürlich die USA an der Stelle ihre Eigeninteressen verfolgen. Wenn Sie sich vorstellen, dass vor wenigen Jahren nur noch neun Prozent der Türken Sympathien für die USA empfunden haben, dann sollte der Besuch doch einen Neuanfang darstellen. Die Dinge, die Obama auch angesprochen hat, wie zum Beispiel neue Truppen für Afghanistan oder eine neue Rolle in der Irak-Politik, zeigen ja, dass die USA sich von diesem Besuch etwas versprechen.
Heinlein: Wie wichtig, Frau Akgün, wäre denn für diesen Neuanfang ein türkischer EU-Beitritt, quasi als Signal für die offene Dialogbereitschaft des Westens mit der islamischen Welt?
Akgün: Das war natürlich auch noch mal eine ganz spannende Frage und wurde auch heftig diskutiert. Das heißt, hat Obama ein größeres Interesse an einem EU-Beitritt der Türkei als die EU selbst, beziehungsweise wieso macht er sich dafür stark. Auch hier waren die Stimmen relativ gespalten, die gesagt haben, Obama will nicht den Beitritt der Türkei um der Türkei Willen, sondern möchte eigentlich einen Partner haben, der in der EU ist und eben auch dann der islamischen Welt ein Zeichen gibt. Ich glaube, dass an der Stelle Obama diese Frage nicht entscheiden kann. Diese Frage muss schon die EU mit der Türkei erörtern und entscheiden. Und letztendlich, wenn es um den Dialog mit den arabischen Ländern geht, dann hat die EU selbst ja auch Mitglieder, die an der Stelle sehr aktiv sind - denken Sie an die Mittelmeerunion von Sarkozy, denken Sie an Spanien mit ihrer Initiative auch für den Kontakt zu den arabischen Ländern. Das ist natürlich aus Sicht der EU anders gelagert als aus Sicht der USA.
Heinlein: Kann sich denn Brüssel gefallen lassen, dass ein US-Präsident sich derart offen einmischt in die Angelegenheiten der Europäischen Union?
Akgün: Brüssel kann sich das anhören, aber ob Brüssel darauf reagiert und wie Brüssel darauf reagiert, ist natürlich die Sache der EU. Ich bin der Meinung, obwohl ich eine Anhängerin des Beitritts der Türkei bin, dass wir uns an der Stelle natürlich nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen können, sondern selbst entscheiden müssen, wann die Türkei beitritt und wann eigentlich die Kriterien erfüllt sind. Im Moment kann ich als jemand, die die Situation gut kennt, sagen, dass die Türkei noch nicht EU-reif ist.
Heinlein: Also wie die CSU sind Sie der Meinung, dass jede Einmischung sich nicht gehört, es braucht keine Ratschläge aus Washington?
Akgün: Es sind doch keine Ratschläge. Es sind ganz sicherlich Eigeninteressen der USA und an der Stelle - ich bin nur keine CSU, sondern SPD-Politikerin -, glaube ich, dass man sehr deutlich auch sagen muss, dass die EU möglicherweise andere Interessen hat als die USA, und letztendlich muss es ja auch darum gehen, dass die Interessen der Türkei und der EU ausgeglichen sind und nicht die Interessen der USA durch einen Türkei-Beitritt befriedigt werden.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Izmir.
Akgün: Auf Wiederhören!
Am Telefon in der Nähe der türkischen Stadt Izmir begrüße ich jetzt die Islam-Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Lale Akgün. Guten Morgen!
Lale Akgün: Guten Morgen!
Heinlein: Sie erleben also den Obama-Besuch vor Ort in der Türkei, können uns also sagen, wie stolz die Türken sind über die freundlichen Worte des amerikanischen Präsidenten.
Akgün: Ja, das ist natürlich alles ein Labsatz für die türkische Seele gewesen und im Moment ist hier alles vom Obama-Fieber erfasst.
Heinlein: Wie wird denn der Besuch Obamas in der Türkei gewertet, als eine Geste der Annäherung und der besonderen Wertschätzung?
Akgün: Ich denke, auch hier ist natürlich die Diskussion in vollem Gange, nämlich inwieweit vertritt die USA eigentlich eine neue Politik, oder hat sich nur der Ton geändert und die Inhalte bleiben gleich. Letztendlich geht es darum, welches Land im Osten oder im Nahen Osten oder an der Grenze zum Nahen Osten die Interessen der USA gut vertritt, und die Komplimente, die Obama der Türkei gemacht hat, werden auch aufgefasst als eben noch mal eine Verstärkung der Eigeninteressen hier.
Heinlein: Wie fallen denn die Antworten auf diese Fragen aus? Ist die Türkei bereit, diese von Obama verlangte Brückenfunktion zur islamischen Welt tatsächlich in Angriff zu nehmen?
Akgün: Das ist eine ganz schwierige Frage mit der Brückenfunktion. Die Frage ist natürlich, zu welchem Lager zählt sich die Türkei. Ist sie Teil des Westens oder ist sie Teil des Ostens? Letztendlich ist diese Brückenfunktion, die ja gerne so genannt wird, eine Funktion, die es erfordern würde, dass man zu beiden Seiten gehört, und die Kommentare, die ich hier von unterschiedlichen Leuten höre, sind eigentlich, dass man Partei ist für eine Seite. Das heißt, die Säkularen sind für die Annäherung der Türkei an den Westen beziehungsweise die Zugehörigkeit an den Westen, und die eher religiösen Fundamentalisten sind natürlich der Meinung, dass die Türkei Teil des Ostens ist.
Heinlein: Ist die Türkei in dieser Hinsicht ein gespaltenes Land?
Akgün: Ja. Ich würde sagen, die Türkei ist im Moment ein gespaltenes Land. Ich würde sogar sagen, die Türkei ist im Moment ein dreigespaltenes Land, weil auch die Kurden immer mehr eigentlich ihre Interessen verfolgen und auch immer lauter ihren Interessen Stimme geben. Wenn Sie sich die Kommunalwahlen vom vorletzten Sonntag anschauen, dann sehen Sie, dass auch lokal diese Dreiteilung sehr sichtbar wird. Das heißt, die Küsten der Türkei sind eigentlich von den säkularen Kräften gewonnen worden, der Südosten von den kurdischen Kräften und Mittelanatolien eher von den Religiösen.
Heinlein: Also wenn Obama sagt, die Türkei sei ein Beispiel für den säkularen Islam, die Türkei sei eine moderne Demokratie, redet sich dann Obama aus strategischem Eigennutz die Türkei schön?
Akgün: Ich glaube, dass hier natürlich alle der Meinung waren, dass Obama seine Hausaufgaben sehr gut gemacht habe. Er hat in der türkischen Geschichte gestochert, er hat Zitate von Atatürk gebracht, er hat so die ganze Bandbreite des Türkei-Kenners hier rausgestellt. Aber die kritischen Untertöne auch hier von den Journalisten sind nicht zu überhören, die da sagen, "Will er eigentlich etwas für die USA, oder ist er wirklich so türkeiverliebt?".
Heinlein: Haben Sie eine Antwort?
Akgün: Ich glaube schon, dass natürlich die USA an der Stelle ihre Eigeninteressen verfolgen. Wenn Sie sich vorstellen, dass vor wenigen Jahren nur noch neun Prozent der Türken Sympathien für die USA empfunden haben, dann sollte der Besuch doch einen Neuanfang darstellen. Die Dinge, die Obama auch angesprochen hat, wie zum Beispiel neue Truppen für Afghanistan oder eine neue Rolle in der Irak-Politik, zeigen ja, dass die USA sich von diesem Besuch etwas versprechen.
Heinlein: Wie wichtig, Frau Akgün, wäre denn für diesen Neuanfang ein türkischer EU-Beitritt, quasi als Signal für die offene Dialogbereitschaft des Westens mit der islamischen Welt?
Akgün: Das war natürlich auch noch mal eine ganz spannende Frage und wurde auch heftig diskutiert. Das heißt, hat Obama ein größeres Interesse an einem EU-Beitritt der Türkei als die EU selbst, beziehungsweise wieso macht er sich dafür stark. Auch hier waren die Stimmen relativ gespalten, die gesagt haben, Obama will nicht den Beitritt der Türkei um der Türkei Willen, sondern möchte eigentlich einen Partner haben, der in der EU ist und eben auch dann der islamischen Welt ein Zeichen gibt. Ich glaube, dass an der Stelle Obama diese Frage nicht entscheiden kann. Diese Frage muss schon die EU mit der Türkei erörtern und entscheiden. Und letztendlich, wenn es um den Dialog mit den arabischen Ländern geht, dann hat die EU selbst ja auch Mitglieder, die an der Stelle sehr aktiv sind - denken Sie an die Mittelmeerunion von Sarkozy, denken Sie an Spanien mit ihrer Initiative auch für den Kontakt zu den arabischen Ländern. Das ist natürlich aus Sicht der EU anders gelagert als aus Sicht der USA.
Heinlein: Kann sich denn Brüssel gefallen lassen, dass ein US-Präsident sich derart offen einmischt in die Angelegenheiten der Europäischen Union?
Akgün: Brüssel kann sich das anhören, aber ob Brüssel darauf reagiert und wie Brüssel darauf reagiert, ist natürlich die Sache der EU. Ich bin der Meinung, obwohl ich eine Anhängerin des Beitritts der Türkei bin, dass wir uns an der Stelle natürlich nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen können, sondern selbst entscheiden müssen, wann die Türkei beitritt und wann eigentlich die Kriterien erfüllt sind. Im Moment kann ich als jemand, die die Situation gut kennt, sagen, dass die Türkei noch nicht EU-reif ist.
Heinlein: Also wie die CSU sind Sie der Meinung, dass jede Einmischung sich nicht gehört, es braucht keine Ratschläge aus Washington?
Akgün: Es sind doch keine Ratschläge. Es sind ganz sicherlich Eigeninteressen der USA und an der Stelle - ich bin nur keine CSU, sondern SPD-Politikerin -, glaube ich, dass man sehr deutlich auch sagen muss, dass die EU möglicherweise andere Interessen hat als die USA, und letztendlich muss es ja auch darum gehen, dass die Interessen der Türkei und der EU ausgeglichen sind und nicht die Interessen der USA durch einen Türkei-Beitritt befriedigt werden.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Izmir.
Akgün: Auf Wiederhören!