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Akgün: Papstrede wird instrumentalisiert

Nach Ansicht der Islambeauftragten der SPD, Lale Akgün, instrumentalisieren einige Leute die Regensburger Rede des Papstes, um in islamischen Ländern für Zündstoff zu sorgen. Einige Muslime liefen in die so genannte Gewaltfalle: Um die Gewaltfreiheit ihrer Religion zu zeigen, griffen sie zu Gewalt. Es gelte als gemeinsame Aufgabe, die friedfertigen Muslime dazu zu gewinnen, einen Islam zu entwickeln, der mit Demokratie kompatibel sei.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Zurheide: Viele Muslime sind empört und wir sehen Bilder, die wir auch schon im Karikaturenstreit gesehen haben. Diesmal geht es gegen den Papst Benedikt. Er hat das eine oder andere gesagt, bei seiner theologischen Vorlesung, die er in Regensburg gehalten hat, und das ist höchst umstritten in der islamischen Welt. Über dieses Thema wollen wir sprechen. Und dazu begrüße ich ganz herzlich am Telefon Lale Akgün, für die SPD im Bundestag und Islambeauftragte. Guten Morgen, Frau Akgün.

    Akgün: Guten Morgen.

    Zurheide: Zunächst einmal, wie haben Sie den Papst eigentlich verstanden? Haben Sie ihn verstanden?

    Akgün: Ich habe den Papst schon bei seiner Ankunft in Deutschland als jemand verstanden, der sich für den Dialog mit dem Islam einsetzen will und dem das eine Herzensfrage ist. Ich hatte seine Rede in Regensburg natürlich nicht gehört, aber ich habe mir den Text kommen lassen und dann habe ich den Text gelesen. Und auch daraus habe ich eigentlich verstanden, es geht ihm um Religion und Gewalt, Religion und Vernunft. Und wenn der Papst wirklich irgendwelche Hintergedanken gehabt hätte, dann hätte unter dem Text nicht gestanden, dass der Heilige Vater sich vorbehält, diesen Text später, mit Anmerkungen versehen, zu veröffentlichen. Das heißt, er ist eigentlich im Guten davon ausgegangen, dass dieser Text ein wissenschaftlicher Text ist.

    Zurheide: Das heißt, wo man sich jetzt so aufregt, dieser Satz mit dem Hinweis auf mögliche Gewalttendenzen im Islam - das war ja nur ein Zitat, ein Gespräch, das er schildert - das ist möglicherweise nirgendwo richtig rüber gekommen, oder?

    Akgün: Es ist erstens nur zitiert und zu dem Zitat sagt er selbst, dass der Kaiser sich sehr schroff, überraschend schroff, ganz einfach mit der zentralen Frage an seinen Gesprächspartner wendet. Da geht es also auch um Religion und Gewalt. Und ich habe ein wenig das Gefühl, dass jetzt das, was er als Zitat darstellt, als seine eigenen Worte dargestellt werden.

    Zurheide: Damit sind wir natürlich bei einem Grundproblem. Jetzt frage ich einmal zugespitzt: Will der ein oder andere das möglicherweise auch falsch verstehen, um neue Chancen für Attacken zu haben, auf den Westen?

    Akgün: Also wenn ich mir diese Bilder anschaue, die im Moment über die Fernseher laufen, und auch einige Tickermeldungen anschaue, dann muss ich fast davon ausgehen, dass einige Leute sehr wohl diesen Text vom Papst instrumentalisieren wollen, um wieder für Zündstoff in den Ländern zu sorgen.

    Zurheide: Was kann man denn dagegen tun? Ich meine, Aufklärung hilft in solchen Punkten, nur wissen wir auch aus der eigenen politischen Debatte, häufig will man ja gar nicht wissen. Was können wir denn tun, um das zu entspannen?

    Akgün: Ich glaube da hat der Vatikan schon einiges gemacht. Er hat versucht das klarzustellen und hat gesagt, dass dem Papst eigentlich nichts ferner lag, als irgendjemanden zu kränken, sondern dass es eigentlich um Dialog geht, und er diesen Text nur genommen hat, um seine Gedanken zu entwickeln. Aber wissen Sie, wie wollen Sie Leute aufklären, die gar nicht aufgeklärt werden wollen, die gar nicht wissen wollen, was wirklich passiert ist?

    Und ich finde es schon, muss ich sagen, hart an der Grenze des guten Geschmacks, er ist eigentlich schon überschritten, wenn Puppen, die den Papst darstellen sollen, verbrannt werden. Das zeugt mir doch selbst von wenig Respekt gegenüber anderen Religionen. Also ich glaube, dass da einige Muslime in die so genannte Gewaltfalle laufen. Sie möchten, dass ihre Religion als gewaltlos wahrgenommen wird, regen sich darüber auf, dass ihre Religion als gewalttätige Religion wahrgenommen wird, um das zu zeigen, sind sie sehr gewalttätig.

    Zurheide: Genau das ist ja der entscheidende Punkt. In der Tat scheint da auf Seiten des Islams das ein oder andere nachzuholen zu sein, denn die christlichen Religionen - natürlich hat es so etwas gegeben wie Gewalt und der Papst hat es, nicht in diesem Zusammenhang explizit, aber anderswo, ja heftig kritisiert. Muss der Islam sich genau dieser Debatte nicht viel offensiver stellen, als er das bisher tut?

    Akgün: Ich glaube ja. Ich glaube, alle Religionen müssen sich immer wieder selbstkritisch fragen: Wo stehen wir eigentlich, an welchem Punkt sind wir, welche Dinge in unserer Religion müssen eigentlich sich zeitgemäß anders darstellen? Das müssen sich alle Religionen immer wieder fragen. Und ich würde jetzt die Religion selbst nicht in dem Sinne angreifen wollen, auch den Islam nicht, den ich immer wieder mit ganz unterschiedlichen Gesichtern sehe. Aber an der Stelle muss ich sagen, erlebe ich in einigen Ländern doch eine Gewalttätigkeit, die mich sehr erschreckt, und wo ich mich frage: Ist das eigentlich der Islam, den sie nach außen darstellen und propagieren wollen?

    Zurheide: Damit sind wir ja wirklich bei der spannenden Frage, wer hat die Deutungshoheit und überlassen diejenigen, die friedfertig sind, den anderen die Deutungshoheit. Müssten sich andere, wie Sie in diesem Fall das jetzt in dem Gespräch tun, nicht deutlicher äußern?

    Akgün: Das ist richtig. Ich glaube, da haben Sie einen sehr, sehr wichtigen Punkt angeschnitten. Es gibt ja immer wieder Punkte, an denen sehr - das Wort konservativ ist mir eigentlich an dem Punkt zu schade zu benutzen - rückständige Menschen meinen, sie könnten die Deutungshoheit über den Islam haben und sie wüssten, was der richtige Islam ist. An der Stelle glaube ich, müssen diejenigen, die ein anderes Verständnis von Islam haben, sich sehr viel deutlicher äußern. Und sie dürfen auch keine Angst haben, das zu tun, nämlich selber Angst vor den Gewalttätigkeiten dieser Menschen.

    Zurheide: Ich will jetzt keine Namen nennen, aber als wir gestern den ein oder anderen angerufen haben, ein Interview über dieses Thema zu führen, wurde uns gesagt: Ich habe Angst, mich dazu zu äußern. Ist das nicht erschreckend?

    Akgün: Das ist sehr erschreckend! Ich glaube, wenn diejenigen, die eigentlich eher friedfertig sind oder die ein anderes Verständnis vom Islam haben, Angst haben, das zu äußern, weil sie denken, wenn ich das tue, bin ich Repressalien ausgesetzt von diesen Leuten, dann sind wir an einem Punkt angelangt, an dem der Islam nur noch ein Gesicht zeigen kann, nämlich ein negatives Gesicht. Und das sollte man auf keinen Fall zulassen.

    Zurheide: Brauchen wir so etwas wie Aufklärung auch in diesen Bereichen? Und wie kann man das schaffen, Frau Akgün, helfen Sie uns.

    Akgün: Ja, ich denke, es ist unsere gemeinsame Aufgabe. Schauen Sie, in der Bundesrepublik leben dreieinhalb Millionen Muslime, in Europa über 20 Millionen. Das sind keine geringen Zahlen. Das heißt, wir haben gar keine Alternative dazu, als die meisten der eher gleichgültigen Muslime dafür zu gewinnen, dass sie das Gesicht des friedfertigen Islam auch annehmen und zeigen. Es sind ja ein paar so genannte Aktive, würde ich sagen - womit ich nicht sagen will, dass alle Aktiven gewalttätig sind.

    Aber wir müssen einfach dafür sorgen, dass diejenigen, die eher gleichgültig der Religion gegenüberstehen, die sich eher auch vor Religion scheuen, sich da aktiv einzubringen, dass wir diejenigen gewinnen, mit uns gemeinsam einen Islam in Europa zu entwickeln, der mit Demokratie kompatibel ist, mit Menschenrechten, mit Frauenrechten. Und der auch bereit ist, sich Diskussionen zu stellen, der bereit ist, auch andere Meinungen zu akzeptieren, auch stehen zu lassen.

    Wir sind eine plurale Gesellschaft, und ich glaube, das ist der Punkt, an dem alle miteinander nur dann auskommen können, wenn sie die Meinung der anderen stehen lassen können. Und wenn sie sagen, auf der gemeinsamen Basis Demokratie haben wir hier Meinungsfreiheit, und es muss jedem gestattet sein, sein Bild vom Islam auch zu äußern, auch seine Vorstellungen über den Islam zu äußern. Und wenn jemand kritisch ist, muss man das auch akzeptieren können.

    Zurheide: Herzlichen Dank. Das war Lale Akgün, die Islambeauftragte der SPD.