
In diesen Tagen fürchte ich mich sowieso schon, wenn das Telefon klingelt. Falsche Microsoft-Mitarbeiter, eine ganz kurze Umfrage zu meinem Konsumverhalten oder meine Mutter hat das Internet kaputt gemacht und der Sohn muss es aus der Ferne sofort wieder heil machen. Und jetzt drohen auch noch die Musiker der Staatskapelle Halle damit, dass sie wissen, wo mein Telefon wohnt. Jetzt habe ich richtig Angst.
Ruft mich dann ein Bratscher an und spielt mir stolz seine frisch geübten Sechzehntel vor? Na gut, das waren jetzt ziemlich viele Klischees auf einmal und natürlich trifft es mit dem abgegriffenen Witz wieder die armen Bratscher-Tuttischweine. Aber was soll man machen, auch ich bin vom kulturlosen Lockdown zermürbt, die Energie für neue Witze ist perdu. Denn auf der Website werden sogenannte Freunde auch noch ermuntert, solche Anrufe als Überraschung zum Geburtstag zu buchen. Na vielen Dank!
Die Idee ist alt
Wer solche Freunde hat, braucht wirklich keine Feinde mehr. Man könne das auch auf Lautsprecher stellen, damit die ganze Familie was davon hat. Als ob wir nicht schon genug Warteschleifenmusik bei der Impfanmeldung für die Eltern erdulden müssen. Die zweitlästigste Telefonaktivität nach der Internetreparatur aus der Ferne. Außerdem ist die Idee schon alt.
Mein Erinnerungsvermögen hat in der Pandemie zwar auch wegen Unterforderung abgenommen, aber da gab es doch mal was ähnliches von internationalen Opernhäusern. Das war wenigstens unfreiwillig komisch, denn offenbar hatten sich ein paar gut vernetzte Opernmanager diese Aktion ausgedacht, dann aber keine Lust, selbst ans Telefon zu gehen. Also mussten die Praktikanten und Assistenten ran, die auch nicht wussten, was das alles soll. Und bevor zum Schluss die angedrohte Musik aus der Konserve erklang, konnte man fix auflegen. Das wäre jetzt natürlich krass unhöflich, denn am anderen Ende ist ja diesmal ein echter Musiker oder eine Musikerin, und die geben sich wirklich Mühe. Für uns. Für das Publikum. Das fehlt ihnen, sagen sie zumindest. Und uns fehlen die Musiker ja auch. Sagen wir zumindest.
Es fehlt das soziale Ereignis der Aufführung
Was uns aber wirklich fehlt, ist das soziale Ereignis der Aufführung. Ist das gemeinsame Erleben der flüchtigen Kunst im Konzertsaal und im Opernhaus, inklusive schnarchendem Nachbarn, bonbonauspackender Nachbarin und Hustern jeglichen Geschlechts und sexueller Präferenz. Es fehlt doch nicht an Musik an sich, schon gar nicht über so einen mangelhaften Distributionsweg wie das Telefon, da sei das Warteschleifengedudel vor. Und Radio, CD, DVD, Streaming, das alles gibt es in Hülle und Fülle. Aber macht ihr mal ruhig, da in Halle, dann seid ihr beschäftigt und kommt nicht auf noch dümmere Gedanken. Wenn die Angerufenen dann auch noch feststellen, dass so was nun wirklich keinerlei Ersatz sein kann, ist ja auch schon was gewonnen.