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Aktion "Flüchtlinge Fressen"
Fragwürdiger Protest gegen Umgang mit Migranten

Die Künstlergruppe "Zentrum für politische Schönheit" sorgt derzeit mit ihrer neuen Aktion "Flüchtlinge Fressen" für Aufsehen. Die Gruppe plant nach eigenen Angaben, hundert Flüchtlinge mit dem Flugzeug aus der Türkei nach Berlin zu bringen. Migranten in Deutschland werden zudem aufgerufen, sich von Tigern fressen zu lassen, sollte die Bundesregierung die Einreise der Flüchtlinge verbieten.

Von Ursula Kissel | 18.06.2016
    Ein schwarz-weißer Aufkleber mit der Aufschrift "Flüchtlinge fressen - Not und Spiele", auf dem eine Tigerfigur steht.
    Das "Zentrum für politische Schönheit" erregt mit seiner neuen Aktion "Flüchtlinge fressen - Not und Spiele" Aufmerksamkeit in Berlin. (dpa/ picture-alliance/ Rainer Jensen)
    "Warum können Flüchtlinge nicht einfach mit dem Flugzeug kommen?", fragt die Gruppe "Zentrum für politische Schönheit" und bemängelt, dass die Migranten statt dem sicheren Transportmittel auf eine gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer angewiesen sind. Viele Angehörige von Flüchtlingen säßen derzeit in der Türkei fest und seien nun ebenfalls vom Tod durch Ertrinken bedroht.
    Deshalb, so die Künstlergruppe, wolle man am 28. Juni 2016 hundert Syrer aus der Türkei nach Deutschland zu ihren Angehören bringen lassen. Ein Flug mit der Maschine "Joachim 1" sei organisiert, behaupten die Aktivisten.
    Damit diese abheben könne, brauche man nun Spenden, so der Aufruf in einem Video, das die Gruppe ins Netz gestellt hat. "Machen Sie den Schleppern das Geschäft kaputt!", heißt es unter anderem darin. Und es folgt die Aufforderung, darüber abzustimmen, "welche Familien an Bord Platz nehmen können und welche im Mittelmeer ertrinken sollen".
    Per Klick über "Kandidaten" für den Flug abstimmen
    Die User sollen also im Internet mit einem Klick darüber entscheiden, ob Flüchtlinge wie "Omar", "Dina" oder "Amer" reisen dürfen.
    Wer sich die Seite anschaut, kann sich des Gedankens nicht erwehren: Die Abstimmung wirkt zynisch – oder zumindest äußerst provokativ. Kriterien, warum man für welche Person stimmen sollte, gibt es nicht. Nur die Namen.
    Es stellt sich die Frage, was die Gruppe konkret bezwecken will. Geht es um eine Kritik an den Kriterien, die im Rahmen des Abkommens zwischen der EU und der Türkei für eine Einreise nach Europa gelten? Oder wird daran Anstoß genommen, dass überhaupt eine Auswahl getroffen wird und nicht alle Menschen nach Europa gelassen werden? Geantwortet hat das "Zentrum für politische Schönheit" bisher nicht auf unsere Fragen.
    Klar ist, die Bundesregierung soll durch die Aktion unter Druck gesetzt werden. Für den Fall, dass die Regierung die Einreise der Flüchtlinge verhindert, sucht das Künstlerkollektiv Flüchtlinge, die bereit sind, sich von Tigern öffentlich fressen zu lassen. Eine weitere Provokation.
    Aber ernsthaft erwartet wohl niemand, dass dies real umgesetzt wird. Es ist vielmehr eine Kunstaktion und trägt darum auch den Untertitel "Not und Spiele" – in Anlehnung an die Massenunterhaltung im antiken Rom.
    Blick durchs Gitter: Ein Tiger und ein Mann im Imperator-Kostüm bei der Aktion "Flüchtlinge Fressen" des Zentrums für politische Schönheit (ZPS) in Berlin
    In Berlin hat das "Zentrum für politische Schönheit" eine Arena aufgebaut - samt Tiger und Wächtern im Imperator-Kostüm. (Deutschlandradio / Susanne Burkhardt)
    Die Künstler bauten dazu vor dem Gorki-Theater in Berlin eigens eine Arena auf. "Vier libysche Tiger warten auf Flüchtlinge", heißt es auf der Homepage der Gruppe.
    Angeblich haben sich schon Freiwillige gefunden. Das berichtet das "Zentrum für politische Schönheit" zumindest auf seiner Facebookseite.
    Dass die Einreise der Flüchtlinge ohne Papiere per Flugzeug aus der Türkei wohl nicht funktionieren wird, weiß die Gruppe wohl. Sie will eine Änderung im Aufenthaltsgesetz erreichen. Konkret geht es um Absatz 3 des Paragrafen 63. Der Paragraf verbietet, dass Ausländer ohne die nötigen Papiere nach Deutschland befördert werden. Bei Verstößen ist ein Zwangsgeld für den Beförderungsunternehmer vorgesehen.
    Innenministerium: Aktion ist "zynisch"
    Das Bundesinnenministerium bezeichnete die Berliner Künstleraktion "Flüchtlinge Fressen" als "unangemessen und zynisch". Ein Ministeriumssprecher sagte: "Es handelt sich um eine geschmacklose Inszenierung, die auf dem Rücken der Schutzbedürftigen ausgetragen werden soll."
    Er wollte sich allerdings nicht dazu äußern, ob der Flug aus der Türkei genehmigt werden wird oder nicht. Dafür lägen ihm "nicht genügend Informationen über den geplanten Flug vor". Der Sprecher betonte jedoch, die gesetzlich vorgesehenen Einreisevoraussetzungen würden durch solche Aktionen nicht außer Kraft gesetzt.
    Das von der Initiative kritisierte Beförderungsverbot sei aus Sicherheitsgründen "erforderlich", sagte er weiter. Es diene dazu, die Einhaltung der Pass-und Visumspflicht sicherzustellen. Nur so könne man nachvollziehen, wer nach Deutschland einreise. Zudem gehe der Paragraf 63 auf Europarecht zurück und könne daher von Deutschland gar nicht einseitig aufgehoben werden.
    Barbara John: Sinnvoller wären Bürgschaften für Flüchtlinge
    Die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John sagte im Deutschlandradio Kultur, die Aktion helfe den Flüchtlingen "mitnichten".
    Es wisse jeder, die Aktion sei "der reinste Klamauk". Die Künstlergruppe bekomme für ihre Aktion mit den Tigern in Berlin durchaus eine gewisse Aufmerksamkeit. Aber für die ernste Auseinandersetzung mit dem Thema, welche Flüchtlinge nach Europa kommen dürften, werde das nichts bewirken.
    John betonte zudem, Menschen ohne Papiere könnten sehr wohl nach Deutschland einreisen, "wenn sie dürfen", also eine Genehmigung hätten. Aber der Beförderer werde bestraft. Doch die Expertin äußerte sich zugleich überzeugt, dass die hundert Flüchtlinge nicht kommen könnten: Das werde die Türkei gar nicht zulassen. "Und selbst wenn sie kommen, müssen die Beförderer hier die Strafe dafür bezahlen."
    Sinnvoller wäre es, wenn Gruppen Bürgschaften für Flüchtlinge übernähmen. Das gebe es etwa in Kanada. Das Prinzip dabei sei, dass man für eine Familie, die nach Deutschland komme, solange bürge und bezahle, bis sie selber arbeiten könne. "Aber das will dieses Zentrum nicht, denn es geht da mehr um den Klamauk."
    Deutsche Welle ehrt Aktivisten mit dem Preis "The Bobs"
    Die Künstlergruppe hatte bereits im Juni des vergangenen Jahres mit der Aktion "Die Toten kommen" für Schlagzeilen gesorgt: Aus Protest gegen die europäische Flüchtlingspolitik wurden vor dem Berliner Reichstag symbolisch Gräber ausgehoben und leere Särge hineingelegt.
    Von der Deutschen Welle wurde das "Zentrum für politische Schönheit" am vergangenen Wochenende für seine Aktionskunst mit dem Preis "The Bobs" im Bereich "Arts and Culture" ausgezeichnet.
    Mit dem Preis wird seit 2004 herausragendes Engagement für die Stärkung der Meinungsfreiheit und der Zivilgesellschaft im Internet geehrt.