Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Aktionsplan für Menschenrechte
"Ein Weckruf auch für die deutsche Wirtschaft "

Deutsche Unternehmen sollen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten an ausländischen Standorten stärker wahrnehmen. Ein entsprechender Aktionsplan wird heute auf den Weg gebracht. Das Positive sei - bei aller Kritik - dass die deutsche Wirtschaft nun beim Thema Menschenrechte liefern müsse, sagte Armin Paasch vom Hilfswerk Misereor im DLF.

Armin Paasch im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.12.2016
    Chinesische Arbeiterinnen in einer Textilfabrik
    "Unternehmen sollen bei ihrer Geschäftstätigkeit nachteilige menschenrechtliche Auswirkungen verhüten und mildern", heißt es im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte. (dpa/Xie Zhengyi)
    Tobias Armbrüster: Noch ein anderes wichtiges politisches Thema, wichtig vielleicht auch gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit, wo die Geschäfte wieder voll sind und viele Käufer auf der Suche sind nach einem Schnäppchen, Last minute sozusagen. Das Bundeskabinett will heute den sogenannten "Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte" auf den Weg bringen. Das Ganze ist eine freiwillige Selbstverpflichtung für deutsche Unternehmen. Sie sollen sich damit bereit erklären, bei ihrer Produktion vor allem in ärmeren Ländern auf menschenrechtliche Standards zu achten - ein altes Anliegen von Globalisierungskritikern, die immer wieder die teils unmenschlichen Arbeitsbedingungen zum Beispiel in den Textilfabriken in Asien im Blick haben.
    Auch die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, haben die Bundesregierung beraten bei dieser Verpflichtung. Bei mir im Studio jetzt Armin Paasch, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei Misereor. Das ist das entwicklungspolitische Hilfswerk der Katholischen Kirche. Schönen guten Morgen, Herr Paasch.
    Armin Paasch: Schönen guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Paasch, Menschenrechte, was haben deutsche Firmen damit zu tun?
    "Erwartung, dass deutsche Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten wahrnehmen"
    Paasch: Na ja, der Hintergrund ist ja, dass im Zuge der Globalisierung auch die deutsche Wirtschaft große Teile der Produktion ausgelagert hat, mehr exportiert, mehr importiert, mehr investiert. An sich ist es auch nicht verwerflich. Das Problem ist nur, dass es im Zuge dieser Auslandsgeschäfte in den letzten Jahren immer wieder zu massiven Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Ich rede nicht nur von den Unfällen und der Ausbeutung im Textilsektor, sondern wir haben auch massive Probleme in Bergwerken, die unter anderem auch Rohstoffe gewinnen für die deutsche Automobilindustrie. Ich rede von Kohlekraftwerken und Staudämmen, die unter Beteiligung deutscher Unternehmen gebaut werden. Und das Problem ist, dass deutsche Unternehmen für solche Menschenrechtsverletzungen im Ausland bislang nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Das heißt, dass die Opfer auf ihre Rechtssysteme angewiesen sind, die oft nicht unabhängig sind.
    Armbrüster: Und was soll jetzt passieren mit diesem Aktionsplan?
    Paasch: Die Bundesregierung drückt in ihrem nationalen Aktionsplan die Erwartung aus, dass deutsche Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten wahrnehmen. Das heißt, dass sie die menschenrechtlichen Risiken untersuchen und dass sie zum Beispiel Beschwerdemechanismen einrichten. Das Problem ist nur, dass kein einziges Unternehmen bislang verpflichtet wird, die Menschenrechte zu achten. Das heißt, wenn Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten verstoßen, dann müssen sie bislang keinerlei Sanktionen befürchten, keine Bußgelder, keine Zivilklagen. Sie werden nicht einmal von staatlichen Förderungsmechanismen ausgeschlossen wie zum Beispiel von Subventionen, Außenwirtschaftsförderung oder öffentlichen Aufträgen, und das ist nach unserer Auffassung nicht der ambitionierte Aktionsplan, den die Bundesregierung eigentlich angekündigt hat, auch bei der G7-Erklärung in Elmau.
    "Verwässerungen im Aktionsplan"
    Armbrüster: Warum hat es dann da offenbar in den vergangenen Monaten eine Abschwächung gegeben?
    Paasch: Zunächst muss man mal sagen, dass die Bundesregierung die Zivilgesellschaft, die Gewerkschaften und auch die Wirtschaftsverbände einbezogen hat in den Prozess am Anfang. Es hat Themenkonsultationen gegeben ein ganzes Jahr lang. Die waren auch tatsächlich tiefgründig und partizipativ. Aber als die Bundesregierung dann begonnen hat, den nationalen Aktionsplan zu entwerfen, wurde entgegen dem Versprechen, das sie anfangs gegeben hat, die Zivilgesellschaft nicht mehr einbezogen.
    Dann waren natürlich die Lobby-Verbände am Zuge, auch die Wirtschaftsverbände, die ihre Kontakte ins Finanzministerium beispielsweise genutzt haben, aber auch ins Kanzleramt. Das hat noch mal zu einigen Verwässerungen im Aktionsplan geführt, die wir sehr kritisiert haben.
    Armbrüster: Was hat denn ein Unternehmen jetzt mit diesem Aktionsplan überhaupt dann zu befürchten, wenn ihm nachgewiesen wird, dass es zum Beispiel in einer Textilfabrik in Bangladesch gegen menschenrechtliche Standards verstößt? Was passiert dann unter diesem, jetzt geplanten Aktionsplan?
    Paasch: Zunächst einmal gar nichts, weil der Zugang zu deutschen Gerichten nicht verbessert wird. Allerdings langfristig haben wir schon die Hoffnung, dass es präventiv zu Maßnahmen kommt. Unternehmen sollen Sorgfaltspflichten wahrnehmen, das heißt die Risiken untersuchen. Deshalb haben wir die Hoffnung, dass Risiken auch schneller erkannt werden und dass dann solche Fälle überhaupt nicht eintreten wie zum Beispiel in Pakistan, in Karatschi.
    Das Positive an dem Aktionsplan ist, dass gedroht wird, falls bis 2020 nicht mindestens 50 Prozent der Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern diese Sorgfaltspflichten wahrnehmen, dass dann weitergehende Maßnahmen ergriffen werden, möglicherweise sogar ein Gesetz, und wir hoffen, dass das ein Weckruf auch für die deutsche Wirtschaft ist, dass sie liefern müssen, dass sie ansonsten in Zukunft nicht mehr straffrei ausgehen werden.
    Unternehmen sollten untersuchen, "woher die Rohstoffe kommen"
    Armbrüster: Kann man denn ein deutsches Unternehmen, ein Unternehmen, das hier in Deutschland arbeitet, überhaupt für das verantwortlich machen, was da möglicherweise in einer Fabrik in Karatschi passiert? Sind da nicht einfach die Entfernungen und auch die Entscheidungsinstanzen, die dazwischen liegen, sind die nicht einfach viel zu vielfältig?
    Paasch: Wir haben ein Gesetz gefordert, womit deutsche Unternehmen zumindest haftbar gemacht werden könnten für Menschenrechtsverstöße durch ihre Tochterunternehmen, oder wenn sie die direkten Hauptauftraggeber sind. In solchen Fällen finde ich es berechtigt, dass auch eine Haftung eintreten soll bei den Mutterkonzernen, weil die ja auch davon profitieren. Aber Sie haben recht: Wenn sechs Glieder weiter in der Wertschöpfungskette Menschenrechtsverstöße passieren, dann kann man einen deutschen Konzern auch nicht zur Verantwortung ziehen. Allerdings kann man schon erwarten, dass ein Unternehmen wie ein Automobilunternehmen durchaus untersucht, woher die Rohstoffe kommen, die verwendet werden bei der Produktion von Autos, und dass, wenn es bei einem Vertragspartner Probleme gibt, dass man sich darum kümmert und notfalls auch die Geschäftsbeziehungen beendet und sich andere Quellen für die Rohstoffe sucht.
    Betroffene Sektoren: Rohstoffe, Energie, Landwirtschaft
    Armbrüster: Sie haben jetzt gerade noch mal die Autobranche angesprochen. Welche Branchen sind denn besonders betroffen von solchen menschenrechtlichen Verstößen?
    Paasch: Das ist natürlich zunächst der Textilsektor, Fertigungsbetriebe, auch Herstellung von Spielzeugen, aber auch die Landwirtschaft, zum Beispiel der Anbau von Bananen und Kakao, der auch in deutschen Supermärkten landet. Probleme haben wir auch beim Rohstoffabbau und bei Kohlekraftwerken und bei Staudämmen, die unter Beteiligung deutscher Unternehmen gebaut werden. Rohstoffe, Energie, Landwirtschaft, das sind, würde ich sagen, die Sektoren, wo wir die meisten Menschenrechtsbeschwerden haben.
    Armbrüster: Jetzt vielleicht mal auch mit Blick auf die letzten Shopping-Aktionen in der Vorweihnachtszeit. Was raten Sie denn deutschen Verbrauchern, die das jetzt hören und die sagen, da will ich eigentlich nicht mitmachen? Was raten Sie denen, wenn die zum Beispiel noch auf der Suche sind nach Kleidungsstücken, die sie verschenken wollen, nach Spielzeug oder auch nach exotischen Lebensmitteln?
    Paasch: Na ja. Es würde jetzt die Kinder nicht freuen, wenn ich empfehlen würde, wenig zu schenken. Will ich auch nicht empfehlen. Es gibt ja durchaus Möglichkeiten, auch im fairen Handel oder in Bioläden, ökologische, sozial produzierte Waren zu kaufen. Das Problem ist nur, das sind bisher noch Nischen. Wenn ein Verbraucher wissen will, was hinter den Produkten steckt, die im Supermarkt verkauft werden, dann hat er bisher in der Regel nicht die Möglichkeit, auf Berichte der Unternehmen zurückzugreifen. Hier ist der Staat gefordert, um eine Transparenzpflicht auch einzuführen, damit Verbraucher wissen, was hinter den Produkten steckt.
    Armbrüster: Das Bundeskabinett in Berlin will heute eine freiwillige Selbstverpflichtung für deutsche Unternehmen auf den Weg bringen. Hintergrund sind die Verstöße gegen Menschenrechte in vielen Produktionsstätten in vielen Ländern der Welt. Wir haben darüber gesprochen mit Armin Paasch von Misereor, dem entwicklungspolitischen Hilfswerk der Katholischen Kirche. Vielen Dank, Herr Paasch, dass Sie die Zeit heute Morgen hatten, hier zu uns zu kommen.
    Paasch: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.