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AKW-Rückbau
"Wir wollen das nicht den kommenden Generationen überlassen"

In Baden-Württemberg steht der Abbau der Kernkraftwerke Neckarwestheim II und Philippsburg II an. In sogenannten Scoping-Terminen können Politik, Umweltverbände und Bürger Vorschläge für die Genehmigungsverfahren zum Rückbau diskutieren. Dieses Vorgehen ist neu.

Von Thomas Wagner |
    Das Kernkraftwerk Neckarwestheim in Neckarwestheim (Baden-Württemberg), aufgenommen am 13.11.2015. Foto: Marijan Murat/dpa | Verwendung weltweit
    Aus all den Anregungen, die aus den Scoping-Terminen hervorgehen, formuliert das baden-württembergische Umweltministerium einen Fragen- und Kriterienkatalog, den der Betreiber vom Kernkraftwerk Neckarwestheim II beantworten muss. (dpa)
    Gottfried May-Stürmer ist Regionalgeschäftsführer beim Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands in der Region Heilbronn-Franken:
    "Natürlich ist der Rückbau in unserem Interesse. Aber beim Rückbau wird der Deckel aufgemacht. Das heißt: Da wird, wenn man nicht sehr aufpasst, Radioaktivität freigesetzt in die Umwelt. Die kann über verschiedene Pfade die Menschen und die Umwelt belasten."
    Und deshalb legt der BUND-Funktionär Wert darauf, frühzeitig mitreden zu dürfen. Es geht in diesem Fall um das Ende der 80er-Jahre in Betrieb genommene Kernkraftwerk Neckarwestheim Block II, nach Greifswald das zweitjüngste Atomkraftwerk der Republik. Während der ältere Block Neckarwestheim I längst abgeschaltet ist, soll Neckarwestheim II erst in sechs Jahren vom Netz gehen – und dann abgebaut werden. Gottfried May-Stürmer:
    "Wir haben grundsätzlich gefordert, dass man die Brennelemente erst entfernt, dann eine radiologische Charakterisierung macht. Das heißt: Dass man genau feststellt: Was ist wo wie belastet? Und dann legt man erst fest, wie man dann wie genau was auseinandernimmt. Und nicht jetzt von vornherein, während das Atomkraftwerk noch läuft, alles festlegt. Und dann kann man hinterher nichts mehr aus Fehlern lernt."
    Scoping steht ganz am Anfang eines Rechtsverfahrens
    Das ist eine von vielen Forderungen, die beim sogenannten "Scoping"-Termin erhoben wurden. Scoping - das kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Aufgaben definieren, Ziele eingrenzen. Scoping steht ganz am Anfang eines Rechtsverfahrens, an dessen Ende eine Genehmigung zum Rückbau des Atomkraftwerkes stehen soll. Was muss genau zur Erteilung dieser Genehmigung geprüft und erfüllt werden? Welche Unterlagen muss der Betreiber einreichen? Welche Bedenken müssen berücksichtigt werden? Hans Heydemann vom Bund der Bürgerinitiativen mittlerer Neckar hat Bedenken:
    "So wie der Rückbau jetzt angegangen wird, insbesondere dass die radioaktiven Abfälle jetzt 'fein demokratisch' im Land verteilt werden sollen. Damit sind wir überhaupt nicht einverstanden."
    Beim Scoping-Termin in der Festhalle, gerade mal ein paar Gehminuten vom Kernkraftwerk Neckarwestheim entfernt, hatte Heydemann allerdings Gelegenheit, seine Einwendungen vorzubringen. Dass dieses Scoping-Verfahren erstmals öffentlich ablief, wird, das zeigte sich in den Aussprachen, Anlass zu weiteren Diskussionen über den Rückbau geben.
    "Das ist ja auch Sinn der Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir wollen ja diese öffentliche Diskussion. Wir wollen ja auch gerade den Ausstieg transparent machen."
    So Gerrit Niehaus, Leiter der Abteilung für Kernenergie, Überwachung und Strahlenschutz im baden-württembergischen Umweltministerium. Dieses hohe Ausmaß an Transparenz hat aber auch zur Folge, dass Anregungen eingehen, von denen von vornherein klar ist: keine Chance auf Realisierung!
    "Zum Beispiel die Forderung, die Anlagen nicht abzubauen und einfach stehen lassen. Das ist etwas, was wir aus sicherheitstechnischen Gründen nicht wollen und was die Gemeinden sicherlich auch nicht wollen. Wir wollen das nicht den kommenden Generationen überlassen."
    Lärmemissionen in Verbindung mit dem Rückbau
    Doch nicht nur in Sachen Radioaktivität und mögliche Strahlenbelastung kann der Rückbau eines Atomkraftwerkes die Umwelt belasten. Das zeigt die Anregung, die Angelika Spieth-Achtnich vom Öko-Institut Darmstadt eingebracht hat. Ihre Forderung betrifft Lärmemissionen in Verbindung mit dem Rückbau. Schon beim Antrag auf Rückbau-Genehmigung müsse klar sein, wie lange solche Lärmemissionen andauern:
    "Wenn Sie zum Beispiel ein Schutzgebiet in der Nähe haben, und dort leben Vögel, dann wissen Sie nicht: Haben Sie eine Lärmbelastung von einer Woche auf Vögel. Oder haben Sie eine Lärmbelastung von einem dreiviertel Jahr auf Vögel. Und deshalb ist das wichtig."
    Aus all diesen Anregungen formuliert das baden-württembergische Umweltministerium nun einen Fragen- und Kriterienkatalog, den die EnBW-Kernkraft GmbH als Betreiberin von Neckarwestheim II beantworten muss. Insgesamt, schätzen die Experten, werden dann weitere drei Jahre bis zur endgültigen Genehmigung vergehen. Die Öffentlichkeit soll, so das Versprechen, aber auch in den weiteren Schritten eingebunden bleiben – über den Scoping-Termin hinaus.