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Alaa al-Aswani: "Die Republik der Träumer"
Jede Diktatur braucht eine Mehrheit, die sie zulässt

Vor zehn Jahren stürzten Ägypterinnen und Ägypter durch Massenproteste auf dem Tahrir-Platz das Regime des Diktators Hosni Mubarak. Der Autor und Journalist Alaa al-Aswani erzählt ebenso informiert wie anschaulich vom Traum der Revolutionäre und warum ihr Kampf für mehr Demokratie scheiterte.

Von Cornelius Wüllenkemper |
2014 feierten Ägypterinnen und Ägypter auf dem Kairoer Tahrir Platz die Erfolge der Armee
Abgesang auf die Revolution - 2014 feierten Ägypterinnen und Ägypter auf dem Kairoer Tahrir Platz die Erfolge der Armee (dpa/picture-alliance/Amel Pain)
Der 2011 gestürzte Präsident Hosni Mubarak, so sagte Alaa al-Aswani unlängst, habe regiert wie ein Tiger. Ägyptens jetziges Regime geriere sich dagegen wie ein verwundeter Tiger und sei um ein Vielfaches gefährlicher und aggressiver. Wie es dazu kommen konnte, dass die Revolution von 2011 in eine noch striktere Diktatur umschlug, ist in Alaa al-Aswanis aktuellem Roman nachzulesen.
Demonstranten auf den Tahrir-Platz in Kairo
Vom Tahrir ins Exil
Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling ist in Ägypten von der Euphorie nichts geblieben. Wer nicht im Gefängnis landen will, flieht, denn Abdel Fattah al-Sisi regiert mit eiserner Hand – gestützt auch von Deutschland.
Al-Aswani erzählt die Geschehnisse von der Formierung der ägyptischen Oppositionsbewegung 2010 bis zum Sturz von Präsident Mubarak und der Machtübernahme durch den Militärrat im Februar 2011. Als ein landesweit bekannter, regierungskritischer Blogger auf offener Straße von Zivilpolizisten erschlagen wird, schließen sich immer mehr vormals unauffällige Bürger der Protestbewegung an. Eine von al-Aswanis Hauptfiguren ist die Lehrerin Asma. Ihre traditionell geprägte Familie bahnt immer zudringlicher ihre Hochzeit an:
"Wie sehr spüre ich die Erniedrigung in solchen Momenten. Fühle mich billig. Würdelos. [...] Ich versuche zu beweisen, dass mein Wert größer ist als der meines zum Verkauf feilgebotenen Körpers. Frage den potentiellen Bräutigam nach seinen Lieblingsautoren und den Romanen, die er zuletzt gelesen hat. (Zumeist hat er nicht ein Buch in seinem Leben gelesen, abgesehen vielleicht von einem Korankommentar und Lehrwerken.) Und ich fühle mich beglückt, wenn ich seine Unwissenheit vor allen bloßlege. Danach locke ich ihn in eine politische Diskussion. Frage ihn zum Beispiel, ob er die Folterung Unschuldiger durch die Staatssicherheit oder die Fälschung von Wahlen billigt und ob er einverstanden damit ist, dass Mubarak die Macht einfach an seinen Sohn Gamal vererbt, als sei Ägypten eine Geflügelfarm."
Die Lehrerin Asma ist nur eine von vielen Stimmen, die in diesem Roman zu Wort kommen. Al-Aswani präsentiert keine ausgefeilte Figurenpsychologie, er verzichtet auf Formspiele und sprachliche Raffinessen. Stattdessen lässt er exemplarische Figuren verschiedener sozialer, religiöser und politischer Gruppen auftreten.

Konflikt zwischen Generationen und Gesellschaftsschichten

Ein Generalmajor etwa, Geheimdienstchef und bigotter Moschee-Besucher, bringt sich im Geheimen mit Pornofilmen in Stimmung. Jugendliche Demonstranten lässt er foltern, bis sie ihm den Namen ihrer Bewegung verraten. Seine Tochter wiederum hat sich längst auf die Seite der Opposition geschlagen und wird nun von den Schergen ihres Vaters überwacht. Die Revolution von 2011 ging hervor aus einem Konflikt zwischen Generationen und zwischen gesellschaftlichen Schichten. Sie begann als unbefangener Widerstand vor allem junger Ägypterinnen und Ägypter gegen das Patriarchat, gegen die omnipräsente Korruption, gegen pseudo-religiös begründetes Unrecht.
"Was ist das bloß für ein Sumpf, in dem wir leben? Ich empfinde nur noch Ekel angesichts all dieser Lügen, der Heuchelei und Verkommenheit,"
schreibt die Lehrerin Asma an ihren Verbündeten Mazen. Mazen ist Ingenieur in der großen Zementfabrik, die symbolisch für Ausbeutung und Korruption durch Ägyptens Eliten steht.

Gesellschaftliche und persönliche Befreiung

Mazen will dem ein Ende machen, gründet einen Rat der Arbeiter und nimmt die Führung des Werkes in die eigenen Hände. Der Widerstand gegen das Regime durchbricht schnell die tradierten sozialen Schranken. Ashraf etwa, Sohn aus gutem Hause und abgehalfterter Schauspieler, erträgt die Lügen des Regimes nur dank zahlloser Haschisch-Zigaretten. Das bunte Treiben auf dem Tahrir-Platz im Januar 2011 wirkt auf ihn wie der Beginn einer gesellschaftlichen, aber auch ganz persönlichen Befreiung. Seiner Haushälterin und Geliebten Ikram vertraut Ashraf an:
"Menschen in Ägypten erben ihre Lebensumstände und können sie nur sehr schwer ändern. Selbst die Religion hat sich keiner von uns beiden ausgesucht. Du bist als Muslimin geboren und ich als Kopte, und wäre es umgekehrt, würdest du vielleicht Theresa heißen und ich Muhammad."
Al-Aswani erzählt lebendig, unmittelbar und passagenweise im Stil einer Reportage. Die Romanhandlung lässt sich bis in Einzelheiten mit den realen Geschehnissen in Ägypten Anfang 2011 abgleichen. Die brutal niedergeschlagenen Demonstrationen vor dem Parteisitz Hosni Mubaraks und vor dem staatlich kontrollierten Fernsehen, die gezielte Erschießung einzelner Oppositioneller, die so genannten "Jungfräulichkeitstests" an Demonstrantinnen auf dem Polizeirevier und die systematische Folter durch den Geheimdienst – all das hat es wirklich gegeben.

Gescheitert an Obrigkeitshörigkeit und Verunglimpfung

Gescheitert ist die kurze "Republik der Träumer" in Ägypten laut al-Aswani einerseits an der seit Pharaonenzeiten verwurzelten Obrigkeitshörigkeit. Aber auch die Verunglimpfung der Oppositionellen in den staatlich kontrollierten Medien als bezahlte Agenten, die Ägypten verraten und ins Chaos stürzen, oder die Behauptung sittenstrenger Prediger, die Proteste auf dem Tahrir seien nichts als ein Sündenpfuhl der freien Liebe, spielten eine Schlüsselrolle. In al-Aswanis Szenario befolgt eine junge, äußerst karrierebewusste Journalistin strikt die Instruktionen ihres Vorgesetzten.
"Die meisten Ägypter können nicht für sich selbst denken. Sie sind wie ein Kleinkind, das sich selbst Schaden zufügen würde, müsste es allein gelassen entscheiden. Die Rolle der Medien in Ägypten ist daher nicht dieselbe wie in fortschrittlichen Staaten. Ihre Aufgabe als Medienschaffende ist es, für das Volk zu denken. Ihre Aufgabe ist es, den Verstand des Ägypters zu formen und seinem Denken aufzuhelfen. Nach einer intensiven Phase medialer Beeinflussung werden die Leute meinen, das, was in den Medien gesagt wird, entspricht der Wahrheit."
Dass Alaa al-Aswani sich nicht nur als regierungskritischer Journalist einen Namen gemacht hat, sondern auch als Wortführer der Oppositionsbewegung "Kifaya – Es ist genug!", liest man in seinem Text natürlich mit. Einerseits zeichnet er die Repräsentanten des Regimes, die Profiteure religiöser Hörigkeit und lang tradierter Seilschaften mit bitterer Ironie. Zugleich räumt er den persönlichen Lebensumständen, Ängsten und Emotionen des Einzelnen nicht weniger Platz ein.

Der menschliche Aspekt

Vielleicht ist es die größte Stärke dieses Romans, dass er trotz seines schonungslosen analytischen Blicks auf Ägyptens gescheiterte Revolution nie den menschlichen Aspekt außer Acht lässt - die Angst der Mehrheit vor dem Chaos, die des Arbeiters vor dem Jobverlust, die des Familienvaters um die Zukunft seiner Kinder. Ans Ende dieser packenden Geschichte aus dem Maschinenraum der Arabellion stellt al-Aswani die bittere Erkenntnis, dass es für jede Diktatur eine Mehrheit braucht, die sie zulässt.
Alaa al-Aswani: "Die Republik der Träumer"
aus dem Arabischen von Markus Lemke
Carl Hanser Verlag, München. 460 Seiten, 25 Euro.