
Albanien hat geschafft, wovon viele Länder träumen: Es bezieht seinen Strom zu fast hundert Prozent aus erneuerbarer Energie, hauptsächlich Wasserkraft. Doch im Sommer, wenn der Wasserstand in den Stauseen sinkt, hat das Land Probleme, seinen Bedarf zu decken. Dann müssen etwa 30 Prozent des benötigten Stroms teuer aus den Nachbarländern importiert werden. Um seine Versorgungslücken zu schließen, will Albanien auch verstärkt in Solarenergie investieren.
Wie sieht der Energiemix in Albanien aus?
Neben Island ist Albanien das einzige europäische Land, dessen Stromerzeugung ausschließlich auf erneuerbaren Energien basiert. 95 Prozent des in Albanien produzierten Stroms stammen dem Ministerium für Infrastruktur und Energie zufolge aus den 130 Wasserkraftwerken im Land. Laut Internationaler Energieagentur liegt der Anteil von Wasserkraft an der Stromerzeugung bei knapp 97 Prozent, der Anteil von Solarenergie bei rund drei Prozent.
In Zukunft soll der Energiemix mit Solarenergie und Windenergie noch diverser werden. Die Bedingungen für Solarenergie sind günstig, insbesondere im Westen Albaniens, wo die tägliche Sonneneinstrahlungsleitung im Schnitt 4,5 Kilowattstunden pro Quadratmeter erreicht.
Der Gesamt-Energiemix des Landes – also nicht nur der Strom - sieht laut Internationaler Energieagentur IEA so aus: Knapp über die Hälfte des Energiebedarfs wird durch fossile Energien abgedeckt, zum Großteil durch Öl und zu kleinen Teilen durch Kohle und Erdgas sowie rund 33 Prozent durch Wasserkraft und knapp 13 Prozent durch Biokraftstoffe und Biomasse.
Warum gibt es in Albanien so viel erneuerbare Energie?
Das gebirgige Albanien mit seinen vielen Flüssen bietet ideale Bedingungen für den Ausbau von Wasserkraft. Schon in den 1960er-Jahren wurden die ersten Stauseen angelegt, während der kommunistischen Ära unter Diktator Enver Hoxha wurde der Bau von Wasserkraftwerken dann intensiv vorangetrieben. Das Regime isolierte Albanien fast völlig und setzte auf Autarkie. Außerdem war Wasserkraft vergleichsweise billig.
Albanien könne den Strom auch sehr gut mit eigenen Kraftwerken speichern, sagt Energieexperte Leonard Probst vom Fraunhofer Institut. Dies ermöglicht es Albanien, Strom in Phasen der Überproduktion zu speichern und bei Bedarf wieder abzugeben.
Nicht zuletzt ist der Stromverbrauch Albaniens im europäischen Vergleich gering, absehbar soll der Bedarf aber aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs um 70 Prozent steigen.
Was sind die Schattenseiten der Wasserkraft?
Der Ausbau der Wasserkraft hat gravierende soziale und ökologische Folgen. Schon während der Zeit des Kommunismus wurden Dörfer überflutet, Tausende Menschen umgesiedelt. Geplante Staudämme wie in Skavica an der Grenze zu Nordmazedonien stoßen auf Widerstand, 40 Dörfer drohen überschwemmt zu werden. Die Bewohner sagen, sie hätten aus dem Fernsehen erfahren, dass ihr Zuhause einem Damm weichen soll.
Auch Umweltschützer schlagen Alarm. Die großen Wasserkraftwerke führten zur Zerstörung der Biodiversität und natürlicher Habitate, sagt Olsi Nika von der unabhängigen Umweltorganisation EcoAlbania. Der geplante Damm könnte den Lebensraum des besonders bedrohten Balkan-Luchses durchtrennen. Der geplante Bau eines Wasserkraftwerks an der Vjosa, dem angeblich letzten Wildfluss Europas, wurde nach Protesten von Umweltschützern aufgegeben.
Nicht zuletzt ist die Abhängigkeit von Wasserkraft riskant, denn in den Sommermonaten gibt es weniger Wasser, sagt Umwelt-Ingenieur Leonhard Probst. Dann muss etwa 30 Prozent des Stroms aus den Nachbarländern importiert werden. Wegen des Klimawandels droht die Stromproduktion in den nächsten fünf Jahren zudem um 15 bis 20 Prozent zu sinken.
Verbessern sich damit Albaniens Chancen auf einen EU-Beitritt?
Der Ausbau erneuerbarer Energien hat auch politische Gründe, da Albanien bis 2030 EU-Mitglied werden möchte. Das hat Premierminister Edi Rama im Wahlkampf versprochen. 90 Prozent der Albaner befürworten laut einer aktuellen Umfrage einen EU-Beitritt.
Die Europäische Union fördert Klimaanpassungsmaßnahmen auf dem Westbalkan durch die „Grüne Agenda“, die Albanien nutzen will, um sich an europäische Regeln und Vorschriften anzupassen und seine Chancen auf einen EU-Beitritt zu erhöhen.
„Die Grüne Agenda für die Westbalkanländer enthält klare Kriterien, die diese Länder erfüllen müssen, um den Übergang zu grünerem Wirtschaften und zum Schutz der Umwelt zu schaffen“, sagt Engjellushe Morina von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations.
Hat Albanien noch Demokratie-Defizite?
Korruption in der öffentlichen Verwaltung, Defizite bei Demokratie und Pressefreiheit, mangelnder Elitenwechsel, Vorwürfe an Premier Edi Rama wegen seines autoritären Regierungsstils, Druck auf NGOs und internationale Organisationen - auf dem Weg zum EU-Beitritt gibt es noch eine Menge Hürden, sagt Politikwissenschaftlerin Engjellushe Morina.
Albanien bleibt auch eines der ärmsten Länder Europas. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei nicht einmal 600 Euro brutto. Albanien erlebt seit Jahren einen extremen Braindrain, viele junge Leute verlassen das Land. 40 Prozent der Albaner leben im Ausland. Dennoch, glaubt Molina, unter allen EU-Beitrittskandidaten habe Albanien derzeit die besten Chancen.
tha