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Alchimist und Ironiker

"Er hat es nicht nötig, durch Mätzchen seinen Marktwert zu steigern." Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, erinnert sich an Sigmar Polke als eigenwilligen, freundlichen und humorvollen Menschen.

Klaus Staeck im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Müller-Ullrich: Und danke auch Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, dass Sie uns etwas über Sigmar Polke sagen, den Sie persönlich ganz gut kannten. Er ist mit nur 69 Jahren gestorben. Vielen schien er älter, und das, ja, woran liegt das, dass er so viel Verschiedenes gemacht hat oder dass man so wenig von ihm weiß?

    Klaus Staeck: Na gut, er hat wie kaum ein anderer Künstler so viele Dinge ausprobiert, er war wirklich der Experimentator unter den Künstlern. Und er hat auch dann doch relativ zurückgezogen gelebt. Also er war nicht derjenige, den man auf jeder Vernissage sah, und über sein Privatleben erfuhr man tatsächlich fast nichts. Seine Freunde wussten einiges, aber …

    Müller-Ullrich: Zählen Sie zu diesen Freunden?

    Staeck: Das kann ich schon sagen. Wir haben uns 1969 kennengelernt, ich bin einer seiner größten Verleger. Ich habe damals verlegt dieses wunderbare Auflagenobjekt "Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere Kartoffel umkreisen kann". Also man merkt schon diese wunderbare Titelfindung immer für viele seiner Arbeiten, das war immer ein großer Spaß, wenn es darum ging, was für einen Titel geben wir denn jetzt der Grafikauflage oder dem Objekt. Und da war er immer herrlich kreativ. Es waren die schönsten Stunden, die ich in seinem Atelier eigentlich mit verbracht habe. Und natürlich ist es ein Schock, wenn man über 40 Jahre mit jemandem eng zusammenarbeitet und befreundet ist, dann zu hören, obwohl man wusste, dass er schwer krank ist, dass er jetzt nicht mehr lebt, das ist schon schwer zu verkraften.

    Müller-Ullrich: Ich betone das mit dem Freund deswegen so sehr, weil sie dann tatsächlich einer der wenigen waren – Sie sagten, er lebte zurückgezogen, das ist noch ein Euphemismus. Er war biestig gegenüber sogar seinen Förderern. Er hat Leute draußen vor der Tür stehen lassen, er hat Briefe nicht beantwortet. Wenn man mal an ihn rankam, war er dann anders?

    Staeck: Er war ganz einfach freundlich. Ich habe ihn einmal erlebt, auch dass ich vor der Tür stehen musste, dann kam aber dann später ein Anruf, er konnte gerade nicht, oder es war ein Zettel ein anderes Mal an der Tür, musste nun doch woanders hin, also das passierte, aber das wusste man. Also es hat Leute gegeben, die aus Amerika sich mit ihm verabredet hatten und auch einen Zettel an der Tür fanden nach dem Motto: Tut mir leid, heute ging es nicht.

    Müller-Ullrich: Es gibt ja Leute, die ihren Marktwert durch Macken zelebrieren. War davon was zu spüren?

    Staeck: Nein, dazu gehörte er gar nicht. Also ich glaube, er war sich seiner Kunst schon bewusst und war auch angesehen bei eigentlich allen. Er hat es nicht nötig, also durch Mätzchen seinen Marktwert, wie es so schön heißt, zu steigern.

    Müller-Ullrich: Aber war es nicht ein bisschen wunderlich, dass er zum Beispiel an spiritistischen Sitzungen teilgenommen hat?

    Staeck: Gut, davon weiß ich gar nichts, und das hätte mich auch nicht weiter interessiert.

    Müller-Ullrich: Na ja, er hat das ja in seiner Kunst verarbeitet, also diese Titel beispielsweise von Bildern, "Höhere Wesen befahlen" und so weiter, ist ja nicht nur ironisch.

    Staeck: Ja, ich hab es immer ironischer aufgefasst, also das ist nur mein Problem, wenn Sie so wollen, eine der schönen frühen Arbeiten, die ja sehr oft zitiert wird. Aber ob das nun wirklich so spiritistisch ernst gemeint war, das wage ich fast zu bezweifeln, also darüber haben wir auch nie gesprochen. Er wusste, dass ich da ganz anders ticke, um es salopp auszudrücken.

    Müller-Ullrich: Also Sie haben es schon gespürt, dass da ein Unterschied war zwischen Ihnen?

    Staeck: Ja, es war ein wunderbares Spannungsverhältnis. Ich habe so eine enge Künstlerfreundschaft, Arbeitsfreundschaft eigentlich nur mit Beuys gehabt, mit dem ich fast zur gleichen Zeit damals, dem ich begegnet bin, Beuys 1968 die erste Arbeit, die gemeinsame Arbeit verwirklicht, und Polke wie gesagt 1969, das war auch …

    Müller-Ullrich: Das war ja ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, Polke war ja Beuys' Schüler sagt man.

    Staeck: Ja, aber trotzdem war Polke ein ganz anderer Mensch. Also Beuys war dann doch der Missionar, fast bis zum Agitator gelegentlich, und da war Polke der Zurückhaltende, obwohl er sich auch vieler, vieler politischer Themen gewidmet hat. Also der hat die deutsche Vereinigung sehr ironisch begleitet, seine Arbeit zur Französischen Revolution und die Mitbegründung des kapitalistischen Realismus, das waren schon Arbeiten, die auch politisch gemeint waren. Also war nicht bloß der nette Künstler, der sich den ästhetischen Fragen hingab, sondern er hatte eine dezidierte Meinung immer gehabt.

    Müller-Ullrich: Klaus Staeck, vielen Dank! Und so viel über Sigmar Polke, einen der bedeutendsten und – darauf wird ja auch in jedem Nachruf hingewiesen – der teuersten, auf alle Fälle der unberechenbarsten und rätselhaftesten Gegenwartskünstler, der letzte Nacht in Köln verstorben ist.