Burkhard Müller-Ullrich: Wir würden an dieser Stelle gern Sigmar Polke zu Gehör bringen, allein es gibt so gut wie keine Interviews mit ihm, und die wenigen Originaltonsätze, die wir im Archiv gefunden haben, sind ungeheuer nichtssagend. Der Maler und Grafiker Sigmar Polke war kein Redner und kein Prediger, er war nicht auf persönliche Wirkung in der Öffentlichkeit bedacht, sondern pflegte seine Rätselhaftigkeit und Unbestimmtheit. Kaspar König, Direktor des Kölner Museums Ludwig, wie wird einer so berühmt, dessen Werk zugleich so wenig festgelegt ist? Kein Stil, keine Thematik, keine Technik, sondern immer was Neues – das ist doch Polkes Markenzeichen?
Kaspar König: Also er ist sozusagen auf der populären Ebene der Jongleur, der mit Banalitäten erstaunliche Ergebnisse erzielen kann, der einen wahnsinnigen Humor hat, der auch reflektiert sozusagen die Konsumgesellschaft. Und dann gibt es eben noch den alchimistischen Künstler wiederum oder sein großes vollendetes Alterswerk, ein Mann, der Kirchenfenster macht. Er hat ja einen Auftrag bekommen in Köln vor zwölf Jahren, in St. Kunibert, einer romanischen Basilika, Kirchenfenster zu machen, die im Krieg zerstört wurden. Daran arbeitet er seit zwölf Jahren, er hat es nicht vollendet, er hat aber einen Auftrag bekommen in Zürich, und hat binnen von zwei Jahren ein grandioses Ensemble geschaffen. Er ist eben ein Kaleidoskop von einem wirklichen Jahrhundertkünstler. Und diese Vielfältigkeit, die setzt sich schon zusammen als Ganzes.
Müller-Ullrich: Dann würde ich Sie gerne bitten, einmal diese drei Punkte, die Sie jetzt schon selbst angesprochen haben, ein bisschen mit uns herauszuarbeiten. Sie sprachen von dem Konsumkritiker oder man könnte schon sagen Konsumsatiriker. Satirisch war ja wohl der Titel "satirischer Kapitalismus" auf alle Fälle gemeint, den er zusammen mit Gerhard Richter damals verkörperte. Eigentlich war das die Popphase. Er war eine Antwort auf die amerikanischen Popkünstler, aber im Unterschied zu denen deutlich ironischer.
König: Ja, und ich meine, Richter und Polke, das ist sehr interessant, das ist sozusagen das Dionysische und das Apollinische, vollkommen anders denkende Menschen, die aber sich sozusagen komplementär irgendwo auch dann ergänzten. Und ich glaube, dass bei dem kapitalistischen Realismus es sicher wichtig war, diese Sozialisierung, die beide erfahren haben – er als Kind in Thüringen und vorher aus Schlesien kommend und dann in den Westen gegangen und der Richter sozusagen schon als reifer, erfolgreicher Künstler, der dann von der DDR in die alte Bundesrepublik gegangen ist –, also die Skepsis der Ideologie gegenüber. Und die war immer bei ihm vorhanden. Es gibt so Witzzeichnungen der 50er-Jahre, wo also moderne Kunst auf den Arm genommen wird. Das hat er aufgegriffen. Da gibt es dieses Bild "Moderne Kunst", das ist einfach nur irgendwie Firlefanz, was nichts bedeutet, aber lustig aussieht, Picasso halt. So, das hat er dann eben gemalt und das ist natürlich eine Ikone des 20. Jahrhunderts, und da ist der Polke unschlagbar.
Müller-Ullrich: Und dann, nach diesem Firlefanzanfang und nach den Späßen der Konsumkritik kommt etwas hinzu, nämlich das Spielerische am Material selber, das Experimentieren auch, dass er neue Stoffe benutzt, flauschige Stoffe, Plastikfolien, alles Mögliche, was man also zunächst mal auf Bildern jetzt so nicht erwarten würde …
König: Und jede Menge Karnevalsstoffe.
Müller-Ullrich: Ja. Und dieses ganze Experimentieren mit dem Material, das hat ihn unter anderem auch noch mal sehr berühmt gemacht mit einer Sache, nämlich 1986 auf der Biennale in Venedig, da bekam er einen Goldenen Löwen. Wofür? Für wärmeempfindliche Bilder, die sich also, weil er mit Thermofarben gearbeitet hatte, die sich anders färbten, je nachdem wie hoch die Temperatur im Raum lag.
König: Und da ist es ihm immer gelungen, mit hochkarätigen Leuten zusammenzuarbeiten – in dem Fall mit Chemikern –, und er hat Dinge extrem gut vorbereitet und immer kritische Instanzen mit eingebaut. Aber es gibt immer die Unterseite bei ihm. Es gibt immer das Böse, das wirklich Böse, und die Schönheit, die nahe beieinander liegen können, und er transformiert es sozusagen in Kunst. Und ich glaube, das ist eine große Leistung, alle Arbeiten sozusagen an der Auflösung der Kunst, und er versucht immer wieder klarzumachen, welche eine Nichtfunktion Kunst haben kann. Und da war er in seinen Kriterien unerbittlich. Und dann unterläuft er auch diese hohe Latte, die er selber aufbaut, und macht scheinbar eben Firlefanz. Aber auch da ist es halt interessant, wie sehr das – 20, 30 Jahre von heute – vielleicht seismografisch etwas erzählt über unsere Gesellschaft und aber auch über unsere Befindlichkeit.
Müller-Ullrich: Wie wichtig war ihm das Gesellschaftliche? Kann man sagen, dass er irgendwie einen politischen Anspruch hatte? Es gibt ja Bilder mit solchen Thematiken in der Tat und auch mit entsprechenden Betitelungen, also "Lager", das auf die Nazizeit verweist, oder ein anderes, Französische Revolution, deutsch-deutsche Vereinigung, "Aufschwung Ost" heißt, glaube ich, ein Bild.
König: Richtig. Interessant ist auch, er hat einen hohen Preis bekommen in Jerusalem und hat den nicht angenommen, und ich glaube, er wollte einfach nicht vereinnahmt werden. Er will seine Unabhängigkeit, und die hat er immer wieder bewiesen.
Müller-Ullrich: Herr König, haben Sie ihn wirklich gern oder finden Sie ihn nur groß?
König: Ich kannte ihn zu wenig. Ich habe ja immer wieder um ihn gebuhlt auch, muss ich schon sagen, aber mit der nötigen objektiven Distanz. Er konnte unglaublich verletzend sein, auf der anderen Seite konnte er grandios großzügig sein. Er ist mit sich selber auch durch die Hölle gegangen, das war manchmal spürbar.
Müller-Ullrich: Vielen Dank für diese Auskünfte, Herr König! Das war der Direktor des Museums Ludwig in Köln, Kaspar König.
Kaspar König: Also er ist sozusagen auf der populären Ebene der Jongleur, der mit Banalitäten erstaunliche Ergebnisse erzielen kann, der einen wahnsinnigen Humor hat, der auch reflektiert sozusagen die Konsumgesellschaft. Und dann gibt es eben noch den alchimistischen Künstler wiederum oder sein großes vollendetes Alterswerk, ein Mann, der Kirchenfenster macht. Er hat ja einen Auftrag bekommen in Köln vor zwölf Jahren, in St. Kunibert, einer romanischen Basilika, Kirchenfenster zu machen, die im Krieg zerstört wurden. Daran arbeitet er seit zwölf Jahren, er hat es nicht vollendet, er hat aber einen Auftrag bekommen in Zürich, und hat binnen von zwei Jahren ein grandioses Ensemble geschaffen. Er ist eben ein Kaleidoskop von einem wirklichen Jahrhundertkünstler. Und diese Vielfältigkeit, die setzt sich schon zusammen als Ganzes.
Müller-Ullrich: Dann würde ich Sie gerne bitten, einmal diese drei Punkte, die Sie jetzt schon selbst angesprochen haben, ein bisschen mit uns herauszuarbeiten. Sie sprachen von dem Konsumkritiker oder man könnte schon sagen Konsumsatiriker. Satirisch war ja wohl der Titel "satirischer Kapitalismus" auf alle Fälle gemeint, den er zusammen mit Gerhard Richter damals verkörperte. Eigentlich war das die Popphase. Er war eine Antwort auf die amerikanischen Popkünstler, aber im Unterschied zu denen deutlich ironischer.
König: Ja, und ich meine, Richter und Polke, das ist sehr interessant, das ist sozusagen das Dionysische und das Apollinische, vollkommen anders denkende Menschen, die aber sich sozusagen komplementär irgendwo auch dann ergänzten. Und ich glaube, dass bei dem kapitalistischen Realismus es sicher wichtig war, diese Sozialisierung, die beide erfahren haben – er als Kind in Thüringen und vorher aus Schlesien kommend und dann in den Westen gegangen und der Richter sozusagen schon als reifer, erfolgreicher Künstler, der dann von der DDR in die alte Bundesrepublik gegangen ist –, also die Skepsis der Ideologie gegenüber. Und die war immer bei ihm vorhanden. Es gibt so Witzzeichnungen der 50er-Jahre, wo also moderne Kunst auf den Arm genommen wird. Das hat er aufgegriffen. Da gibt es dieses Bild "Moderne Kunst", das ist einfach nur irgendwie Firlefanz, was nichts bedeutet, aber lustig aussieht, Picasso halt. So, das hat er dann eben gemalt und das ist natürlich eine Ikone des 20. Jahrhunderts, und da ist der Polke unschlagbar.
Müller-Ullrich: Und dann, nach diesem Firlefanzanfang und nach den Späßen der Konsumkritik kommt etwas hinzu, nämlich das Spielerische am Material selber, das Experimentieren auch, dass er neue Stoffe benutzt, flauschige Stoffe, Plastikfolien, alles Mögliche, was man also zunächst mal auf Bildern jetzt so nicht erwarten würde …
König: Und jede Menge Karnevalsstoffe.
Müller-Ullrich: Ja. Und dieses ganze Experimentieren mit dem Material, das hat ihn unter anderem auch noch mal sehr berühmt gemacht mit einer Sache, nämlich 1986 auf der Biennale in Venedig, da bekam er einen Goldenen Löwen. Wofür? Für wärmeempfindliche Bilder, die sich also, weil er mit Thermofarben gearbeitet hatte, die sich anders färbten, je nachdem wie hoch die Temperatur im Raum lag.
König: Und da ist es ihm immer gelungen, mit hochkarätigen Leuten zusammenzuarbeiten – in dem Fall mit Chemikern –, und er hat Dinge extrem gut vorbereitet und immer kritische Instanzen mit eingebaut. Aber es gibt immer die Unterseite bei ihm. Es gibt immer das Böse, das wirklich Böse, und die Schönheit, die nahe beieinander liegen können, und er transformiert es sozusagen in Kunst. Und ich glaube, das ist eine große Leistung, alle Arbeiten sozusagen an der Auflösung der Kunst, und er versucht immer wieder klarzumachen, welche eine Nichtfunktion Kunst haben kann. Und da war er in seinen Kriterien unerbittlich. Und dann unterläuft er auch diese hohe Latte, die er selber aufbaut, und macht scheinbar eben Firlefanz. Aber auch da ist es halt interessant, wie sehr das – 20, 30 Jahre von heute – vielleicht seismografisch etwas erzählt über unsere Gesellschaft und aber auch über unsere Befindlichkeit.
Müller-Ullrich: Wie wichtig war ihm das Gesellschaftliche? Kann man sagen, dass er irgendwie einen politischen Anspruch hatte? Es gibt ja Bilder mit solchen Thematiken in der Tat und auch mit entsprechenden Betitelungen, also "Lager", das auf die Nazizeit verweist, oder ein anderes, Französische Revolution, deutsch-deutsche Vereinigung, "Aufschwung Ost" heißt, glaube ich, ein Bild.
König: Richtig. Interessant ist auch, er hat einen hohen Preis bekommen in Jerusalem und hat den nicht angenommen, und ich glaube, er wollte einfach nicht vereinnahmt werden. Er will seine Unabhängigkeit, und die hat er immer wieder bewiesen.
Müller-Ullrich: Herr König, haben Sie ihn wirklich gern oder finden Sie ihn nur groß?
König: Ich kannte ihn zu wenig. Ich habe ja immer wieder um ihn gebuhlt auch, muss ich schon sagen, aber mit der nötigen objektiven Distanz. Er konnte unglaublich verletzend sein, auf der anderen Seite konnte er grandios großzügig sein. Er ist mit sich selber auch durch die Hölle gegangen, das war manchmal spürbar.
Müller-Ullrich: Vielen Dank für diese Auskünfte, Herr König! Das war der Direktor des Museums Ludwig in Köln, Kaspar König.