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Aleppo unter Belagerung
"Uns sterben die Schwerverletzten unter den Händen weg"

Der Arzt Abu Muhammed kämpft im syrischen Aleppo jeden Tag um Menschenleben. Ein aussichtsloser Kampf, denn es fehlt an Medikamenten, Krankenwagen und Lebensmitteln. Das Assad-Regime setzt im eingeschlossenen Osten der Stadt auf Hunger als Kriegswaffe.

Von Martin Durm |
    Syrische Männer tragen weinende Kinder zwischen den Trümmern der zerstörten Stadt Aleppo in Syrien.
    Die syrische Stadt Aleppo ist seit vielen Jahren umkämpft und geteilt. (afp / Baraa Al-Halabi)
    "Bitte nicht tagsüber anrufen", hat Dr. Abu Muhammed (*) ausrichten lassen. Tagsüber werde seine Stadt vom Regime bombardiert - da habe er Wichtigeres zu tun als ein Skype-Telefonat mit Deutschland zu führen. Verletzte versorgen, Splitter entfernen, Wunden vernähen. Muhammed war erst am Abend erreichbar.
    "Aber was sagt man, wenn man über 3.500 Kilometer hinweg mit einem Arzt in Aleppo telefoniert. Man sagt Unsinniges wie: 'How are you?'"
    Und der Arzt antwortet freundlich:
    "Mir geht’s gut, Gott sei dank. Wir leben praktisch nur noch hier in diesem Krankenhaus. Wir schlafen hier, wir essen hier. Wir müssen ja da sein, wenn die Verwundeten gebracht werden. In den letzten Tagen gab es so viele. Gestern wurde wieder das Viertel Salah id Din im Zentrum angegriffen. Es wurden mindestens 50 Verletzte hierher gebracht."
    "Was wird aus den zerstörten Menschen?"
    Im vom Assad-Regime belagerten Ostteil Aleppos leben derzeit noch etwa 300.000 Menschen. Um die Kranken und Verwundeten kümmern sich sieben Ärzte. Sieben. Dr. Abu Muhammed ist einer von ihnen. Es gibt noch vier Krankenhäuser. Drei davon seien von Bombenangriffen schwer beschädigt, berichtet die syrisch-deutsche Ärzteorganisation für humanitäre Hilfe. Nur eines, das in dem sich Dr. Abu Muhammed Tag und Nacht aufhält, sei funktionsfähig. Mehr oder weniger:
    "Die Medikamente werden noch etwa zwei Monate reichen, sagt der syrische Arzt. Dann haben wir nichts mehr. Was derzeit am meisten fehlt, ist medizinisches Gerät. Röntgen – und Beatmungsgeräte. Uns sterben die Schwerverletzten unter den Händen weg, weil wir sie nicht beatmen können. Für ganz Aleppo haben wir noch zehn Geräte. Wir bräuchten mindestens 50."
    Es ist die Arithmetik der Kriegsmediziner. Wie viele Ärzte haben wir noch, wie viele Beatmungsgeräte, wie viele Krankenwagen? Es gibt noch sechs, die fahrtüchtig sind. Aber die Rettungstrupps ziehen es vor, die Verwundeten mittlerweile auf dreirädrigen Pickup-Trucks zu transportieren. Die sind für Scharfschützen schwerer zu treffen und wendiger in den Gassen. Womöglich beginnt jetzt die letzte Phase dieser blutigen Kämpfe um Aleppos Häuser und Straßen:
    "So viel ist zerstört, sagt Dr. Abu Muhammed. Häuser, Straßen das kann man wieder aufbauen. Aber was wird aus den zerstörten Menschen?"
    Seit 2012 bekriegen sich in Aleppo Regime und Rebellen. Am 17. Juli schloss die Regierungsarmee den Belagerungsring um den aufständische Osten der Stadt. Assads Truppen werden von russischer Luftwaffe unterstützt, von iranischen Feldkommandeuren, libanesischen Hisbollah-Milizionären und schiitischen Kämpfern aus dem Irak, aus Afghanistan und Pakistan.
    Hunger als Waffe
    "Das Regime hat alles aufgeboten, um uns abzuriegeln", sagt Dr. Abu Muhammed.
    "Es gab noch bis vor wenigen Tagen ein paar Schleichwege in die Stadt, die man zu Fuß oder mit einem Motorrad riskieren konnte. Aber das geht jetzt auch nicht mehr. Es gibt kein Weg mehr rein und keinen raus. Alles ist dicht. Es können nicht mal mehr Lebensmittel in die Stadt gebracht werden."
    In einem Monat sei Aleppos Osten vom Hunger bedroht, warnen internationale Hilfsorganisationen. Vielleicht halten wir auch zwei Monate durch, meint der Arzt:
    "Wir haben noch Lebensmittel. Wir haben uns auf die Belagerung vorbereitet und Lebensmittel rationiert. Aber wir haben kein frisches Gemüse, wir haben Reis, Brot, aber es wird knapp."
    Darauf setzt das Assad-Regime. Es weiß, wie man Städte belagert und Hunger als Waffe nutzt. Es hat das in Madaya und Sabadani vorexerziert, so lange, bis die Einwohner Katzen aßen und Gras. Vor wenigen Tagen kündigte Assad an, für Aleppos Zivilisten humanitäre Korridore zu öffnen:
    "Das ist ein Witz. Warum hat er uns dann eingeschlossen?", fragt Dr. Abu Muhammed. "Keiner traut mehr Assad, die Leute versuchen jetzt nur noch, sich vor den Bomben zu schützen. Die Kinder verbrennen überall Autoreifen auf den Straßen, um den Kampfpiloten die Sicht zu nehmen. Das Problem ist nur: uns gehen jetzt auch die Autoreifen aus."
    "Abu Muhammed", frage ich am Ende dieses Gesprächs - "Ist dir in den letzten Tagen denn irgendetwas Gutes geschehen, etwas das dir gut getan hat?"
    "Ja", antwortet der Arzt, "da war dieser Junge. Er hatte einen Einschuss am Herzen und wir hatten ihn eigentlich schon aufgegeben. Aber irgendwie starb er nicht. Er blieb einfach am Leben. Wir haben ihn operiert und er kam durch. Das war ein einzigartiger, ganz besonderer Moment. Wir haben ihn gerade entlassen, er ist gesund. Er ist ein guter Junge, ein guter Mann."
    (*) Der Name wurde von der Redaktion geändert.