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Alexander Schimmelbusch: "Hochdeutschland"
Im Porsche zur Petra-Kelly-Suite

Der Schriftsteller und ehemalige Investmentbanker Alexander Schimmelbusch zeigt in seiner Romansatire "Hochdeutschland", wie ein Banker in der Midlife-Krise ein Zukunftskonzept entwirft, das in Zeiten des Spätkapitalismus soziale Gerechtigkeit mit Populismus kombiniert.

Von Ralph Gerstenberg | 17.08.2018
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    Alexander Schimmelbusch und sein Roman "Hochdeutschland" (Buchcover: Tropenverlag / Portrait: Annette Hauschild-Ostkreuz)
    Victor gehört zu dem reichsten Prozent der Bevölkerung, das über mehr als ein Drittel des deutschen Gesamtvermögens verfügt. Allein seine gläserne Villa am Südhang des Altkönigs ist schlappe sieben Millionen wert. Doch der Mitinhaber einer Frankfurter Investmentbank ist – wer hätte das gedacht – alles andere als glücklich. Eine nicht auf Dauer angelegte, aber dann doch acht Jahre währende Beziehung liegt inzwischen hinter ihm. Die daraus hervorgegangene Tochter Victoria liebt er abgöttisch. Eine Affäre mit einer verheirateten Nachbarin sowie alkoholselige Treffen mit seinem alten Studienfreund Ali, dem Spross einer Berliner Dönerdynastie und noch amtierenden Grünen-Politiker, runden seine sozialen Kontakte ab. Der 39-jährige sieht den Ladestand seines Lebensakkus bereits auf unter 50 Prozent gesunken. Alles, was ihm bleibt, wenn er die Welt aus dem 32. Stockwerk des Büroturmes, in dem sein Schreibtisch steht, betrachtet, ist ätzender Zynismus.
    Frankfurt, einst Stadt des Häuserkampfes und Widerstands, hat sich in seinen Augen zu einer Metropole der Befehlsempfänger entwickelt, bevölkert von beflissenen Untertanen, die – wie er – "die Wirklichkeit in Zahlen übersetzen, um sich mit der daraus resultierenden Finanzkraft von sich selbst ablenken zu können".
    In Alexander Schimmelbuschs Romansatire "Hochdeutschland", die im vergangenen Wahljahr spielt, wird die Gegenwart dezent zugespitzt. Der Porsche, den Victor fährt, ist selbstverständlich ein elektrischer, im Berliner Hotel Adlon, wo auf den Banker taoistische Massagen mit Handentspannung warten, gibt es mittlerweile eine Petra-Kelly-Suite. Doch die Politiker - wen wundert’s - sind korrupt und selbstverliebt wie eh und je. Bei dem Porträt des Finanzministers, der Victors Bank den Zuschlag für ein Großprojekt geben soll, verlässt Schimmelbusch seinen analytisch-essayistischen Stil und karikiert den Emporkömmling mit großer Lust und angemessener Gnadenlosigkeit. "Er sei ein Freund des Einfachen ..., aber manchmal dürfe es auch Sterneküche sein", erklärt der italienaffine Minister, der davon träumt, einen Ferrari zu fahren, und den Begriff Sprezzatura für die Kunst, jegliche Anstrengung hinter Lässigkeit zu verbergen, mit Strozzapreti, einer Nudelsorte, verwechselt.
    Ein radikales Projekt
    Um der Banalität des Geldadels etwas entgegenzusetzen, schreibt Victor seit Jahren an einem Roman. Leichter von der Hand geht ihm hingegen ein Manifest, in dem er ein "radikales Projekt" formuliert, mit dem "das Land vor seiner drohenden Irrelevanz" bewahrt, ja, das "deutsche Volk" gar geeint werden soll – was soviel heißt wie Bildung und Wohlstand für alle und eine Umverteilung von oben nach unten. Die Minderheit der "Milliardäre und Yachtbesitzer", zu denen auch Victor zählt, könne nicht länger ihre Gewinne "in unangemessene Prunkbauten" fließen lassen, während die Mehrheit mit Fast Food in Fußgängerzonen und Billigklamotten aus Fernost abgespeist werde. Deshalb müsse eine Vermögensobergrenze von 25 Millionen Euro gezogen werden.
    Das Geld, das so gewonnen werde, solle dem Gemeinwohl zugute kommen und über eine Fondsgesellschaft die ökonomischen Interessen aller sichern. Der Beifall der Linken wäre dem moralisch geläuterten Multimillionär vermutlich sicher, wenn er in seinem Pamphlet nicht auch andere Töne anstimmen würde, Töne, die eher nach Horst Seehofer klingen als nach Sarah Wagenknecht. Einwanderer seien willkommen, wenn die Deutschland AG - so der Name der neuen Bewegung - sie benötige und diese bereit seien, deren "corporate identity" zu vertreten. Illegale Einwanderung werde hingegen mittels Seenotrettungskreuzern und Sammellagern in nordafrikanischen Küstenregionen konsequent unterbunden.
    Beeindruckende sprachliche Präzision
    Auf verblüffend einleuchtende Weise zeigt Alexander Schimmelbusch in seinem Roman, wie die Prämisse einer sozialen Gerechtigkeit, verknüpft mit nationaler Identität und konsequentem Wirtschaftsdenken ein neues Wir-Gefühl schaffen und Populismus salonfähig machen könnte. Es ist durchaus vorstellbar, dass die letzte Bundestagswahl mit einem ehemaligen Grünen-Politiker wie Victors Kumpel Ali als Spitzenkandidat der Deutschland AG, samt medienwirksam in Szene gesetzter Kampagne, anders verlaufen wäre. Diese, auch durch eine beeindruckende sprachliche Präzision bedingte Plausibilität macht "Hochdeutschland" zu einem hoch spannenden und höchst unterhaltsamen Roman.
    Mit seinem bissigem Kommentar zur Gegenwart gelingt es Schimmelbusch, pseudolinke Symbolpolitik, wohlstandsverwahrlosten Neoliberalismus und den "Playmobil-Rechtspopulismus" der AfD gleichermaßen zu treffen. Und natürlich ist auch die Deutschland AG kein Patentrezept für ungelöste Zukunftsfragen. Daran lässt Alexander Schimmelbusch am schwarzhumorigen Ende seines Romans nicht den geringsten Zweifel. Was bleibt, ist ein stilsicher gezeichnetes Sittenbild und ein gesellschaftssatirisches Glanzstück, in dem mit großer Lust Dinge formuliert werden, die Politiker – warum auch immer – nicht einmal zu denken wagen.
    Alexander Schimmelbusch: "Hochdeutschland",
    Tropen Verlag, Stuttgart. 214 Seiten. 20,00 Euro.