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Algerien
Präsident Bouteflika gibt endgültig auf

Nach wütenden Protesten auf der Straße hatte zuletzt auch die algerische Militärführung verlangt, den Präsidenten Abdelaziz Bouteflika des Amtes zu entheben. In einem Schreiben erklärt der 82-Jährige jetzt seinen sofortigen Rücktritt. Nun steht dem Land eine knapp drei Monate lange Übergangsphase bevor.

Von Jens Borchers | 03.04.2019
Der Fernseh-Screenshot von Ennahar TV zeigt, wie Algeriens langjähriger Präsident Bouteflika (Mitte) sein Rücktrittsschreiben übergibt - an den Vorsitzenden des Verfassungsrates, Tayeb Belaiz und in Anwesenheit von Senatspräsident Abdelkader Bensalah.
Im Fernsehen: Präsident Bouteflika übergibt sein Rücktrittsschreiben (AFP / Ennahar TV)
Das Rücktrittsschreiben trägt den Stempel des Präsidialamtes. Eine Unterschrift von Hand ist nicht zu sehen. Sondern nur der maschinengeschriebene Name Abdelaziz Bouteflika. In dem Dokument wird im Namen des 82jährigen, schwer kranken Staatspräsidenten sein Rücktritt erklärt – mit sofortiger Wirkung. Die staatliche Nachrichtenagentur APS bringt die Meldung zuerst. Und sie geht in Algerien um wie ein Lauffeuer. Die Reaktion ist sofort auf den Straßen der algerischen Hauptstadt zu sehen – und zu hören.
Regierungskritiker feiern
Vor dem großen Postamt in Algier singen die Menschen, Autos kreuzen wild hupend durch die Straßen. Abdelaziz Bouteflika, der Algerien 20 Jahre lang regierte, ist Geschichte. Das hatten hunderttausende Demonstranten in den vergangenen sechs Wochen wieder und wieder gefordert. Wenig später präsentiert das Staatsfernsehen die Top-Meldung des Abends mit Bildern. Die Zuschauer sehen einen sichtlich desorientierten Abdelaziz Bouteflika, angeblich aufgenommen im Büro des Verfassungsrates, wo er sein Rücktrittsschreiben übergibt. Der 82jährige schafft es kaum, eine dünne Aktenmappe über den Tisch zu reichen.
Armee hat Druck gemacht
Ob dieser Rücktritt tatsächlich Bouteflikas eigene Entscheidung war, das wissen zu diesem Zeitpunkt nur er selbst und sein Umfeld. Noch bevor der Rücktrittsbrief öffentlich wird, hatte Algeriens mächtiger Armeechef Ahmed Gaid Salah schon ein Kommuniqué herausgegeben. Daran forderte er, Bouteflika müsse "unverzüglich" nach Artikel 102 der Verfassung aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig erklärt werden. Kurz darauf tauchte das Rücktrittsschreiben auf. Aber im Statement des Armeechefs steht noch mehr: Das algerische Präsidialamt werde von einer – so wörtlich – "Bande" dominiert. Diese Bande verbreite offizielle Erklärungen im Namen des kranken Abdelaziz Bouteflika.
In Algerien wird dies als klarer Hinweis auf den massiven Einfluß von Said Bouteflika interpretiert. Said Bouteflika, ein Bruder des Präsidenten, ist sein engster Berater. Algeriens Armeechef beschuldigt ihn offenbar, im Namen seines kranken Bruders eigene Interessen zu verfolgen.
Auf den Übergang kommt es jetzt an
Jetzt steht in Algerien eine knapp drei Monate lange Übergangsphase bevor. Oppositionspolitiker und Demonstranten hatte immer wieder gefordert, diese Übergangsphase müsse von glaubwürdigen, auch von der Protestbewegung akzeptierten Persönlichkeiten gesteuert werden. Zoubida Assoul von der linksgerichteten Partei UCP hatte das auch noch einmal bekräftigt:"Bevor er geht, sollte er zulassen, dass Personen übernehmen, die Glaubwürdigkeit haben, die nicht am Regime der vergangenen 20 Jahren beteiligt waren."
Genau das geschieht jetzt nicht. In der Übergangsphase übernimmt der Vorsitzende des Nationalrates, der 77-jährige Abdelkader Bensalah, die Amtsgeschäfte. Er gilt als langjähriger Anhänger Bouteflikas und als Produkt des Systems. Bensalah muss innerhalb von 90 Tagen Präsidentschaftswahlen organisieren. Und im Hintergrund, das haben die Ereignisse kurz vor dem Rücktritt Bouteflikas noch einmal deutlich gezeigt, steht immer der mächtige Armeechef Ahmed Gaid Salah.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte, er setze auf einen "demokratischen Übergang" in Algerien. Ein Sprecher des US-Außenministeriums kommentierte den Rücktritt Bouteflikas mit den Hinweis, das algerische Volk müsse jetzt entscheiden, wie der Übergang gestaltet werde.