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Aliens vor und hinter dem Zaun

Für seinen Film "Pleasant Days" erhielt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó einen silbernen Leoparden in Locarno. Er handelte von einer Mutter, die ihr Kind verkauft, von Einwanderern und Kriminellen. Diesen Filmstoff serviert Mundruczó jetzt, zehn Jahre später, im Theater Oberhausen – mit ein paar Updates, die auf die politische Situation in Europa Bezug nehmen.

Von Christiane Enkeler | 14.01.2012
    Ein kleiner Flecken Wohnraum, hoch umzäunt wie ein Bolzplatz, bietet ein paar verlorenen Europäern Unterkunft zwischen Autowrack, Altreifen und angedeutetem Bieder-Wohnraum-Ambiente. Die Geschichte spielt 2031 in einem Europa, das sich in Nord und Süd geteilt hat, offenbar weil die reichen Gebiete die armen nicht mehr durchbringen wollen.

    Gezahlt wird wieder in Mark. Eine griechische Immigrantin kauft einer Deutschen ihr Neugeborenes als eigenes Kind ab, um sich damit die deutsche Staatsbürgerschaft zu verschaffen.

    Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó inszeniert mit "Schöne Tage" eine "proletarische Operette für das 21. Jahrhundert", so der Untertitel. In der ersten Szene filmt eine Kamera die Darsteller im Dunkeln. Mit düster glühenden Knopfaugen flimmern sie in leuchtendem Grün über die aufgehängte Leinwand. Trotzdem wird der Abend "Mundruczó light".

    Mundruczó hat mit trashigen Inszenierungen auf sich aufmerksam gemacht, in denen er Gegenwart und Dystopie miteinander kurzschließt. Das Monströse steckt im Abseits unseres Alltags, nicht unbedingt nur im verlotterten Chaos, sondern auch in erstickender, menschenverachtender Ordnung. Seine ungarischen Darsteller spielen hyperrealistisch und nah an den Zuschauern: sprechen das Publikum an, flehen als Figuren um Hilfe - punktuell, aber durchaus beängstigend in einem Sinne, der mit "Mitmachtheater" so gar nichts zu tun hat.

    Die Wiener Aufführung des "Frankenstein-Projekts" pferchte die Zuschauer mit den Darstellern in einen Container. In "Ljod. Das Eis." saß das Publikum nach der Pause auf der Bühne, während die Darsteller in den Sitzreihen spielten. Mundruczó inszeniert Gewalt, Sex und psychische Brutalität, mit Figuren, die instinktiv überleben wollen wie Tiere, aber perfide sind, wie es nur Menschen sein können. Seine Darsteller spielen mit voller Energie und, ja, Witz. Der Abgrund an materiellem und emotionalem Mangel wird dabei immer wieder existenziell spürbar.

    Auch die Oberhausener spielen voller Witz und Brutalität, aber vieles ist anders. Das Publikum wird nur am Ende in einer geschickten Wendung angesprochen. Peter, krimineller Grieche, glaubt an eine drohende Invasion von Außerirdischen. Indem am Ende alle Darsteller mit Alienmasken an den Zaun treten und ins Publikum fragen, ob "anybody out there" ist - wird unklar, ob nicht das Publikum die Invasion ist. In einem abgespaltener Flecken Europa mit Migrationsanteil fürchtet sich also jemand in seinen psychotischen Albträumen vor Aliens, bei denen man nicht weiß, ob sie sich diesseits oder jenseits des Zauns befinden, und will auf die Akropolis flüchten.

    Sozialkritisches bleibt diesmal trotzdem eher oberflächlich. Der Text verkommt dabei zwischenzeitlich zum Schlager, außerdem "stakst" die deutsche Sprache: Die Darsteller spielen dreckig, aber nicht rau. Bei Anja Schweitzer hat man den Eindruck, sie gucke zwischendurch in die Sprechblasen ihrer Figur, als müsse sie nachsehen, ob das Licht darin auch tatsächlich ausgegangen ist.

    Dafür sind die Übergänge in die Musiknummern grandios geschmeidig aus dem Spiel heraus entwickelt: Ein Schuhabsatz, eine Heckenschere geben den Takt an. Andererseits werden dadurch auch andere Szenen zu Nummern, in denen fast jeder mal Rampensau sein darf.
    Nora Buzalka und Anja Falkenhan mischen als zwei sexy-affige Proll-Ladies die Stimmung in Nullkommanix auf. Das ist vermutlich eine der witzigsten Mundruczó-Szenen, die man je gesehen hat.

    Die von Otto Beatus, Serge Corteyn und vom Ensemble live gespielte und gesungene Musik passt zur trashigen Atmosphäre - Songs von Nick Cave und The White Stripes zum Beispiel. Mundruczós "proletarische Operette" entwickelt zeitweise, neben einigen Längen, den Schwung einer Rocky Horror Picture Show. Angesichts dessen, dass es um Klimawandel, Finanzkatastrophe, verkaufte Kinder, Migrationsproblematik und zerfallenes Europa geht, angesichts der auch ernsten und brutalen Passagen, die hier aber eher wie Fremdkörper wirken, ist Popcorn-Werfen alles in allem aber sehr unangebracht.

    Da sitzt man gute zwei Stunden und wünscht sich, Mundruczó hätte sich diesmal eindeutig für eine Show mit Kult-Charakter entschieden und dabei für die Kritik einen anderen Weg gefunden.