Samstag, 27. April 2024

Alkohol
Vom täglichen Rausch zum Dry January

Alkohol ist ein fester Bestandteil menschlicher Kulturgeschichte: Als Medizin, spirituelles Element und soziales Bindemittel hat er vielfältige Funktionen erfüllt. Verbote blieben ineffektiv, doch seit Jahren gibt es einen Trend zur Abstinenz.

08.02.2024
    Die Statue der Griet am Jan von Werth-Brunnen auf dem Altermarkt hat jemand als Scherz eine leere Bierflasche in die Hand gedrückt.
    Schon immer hat der Mensch gern getrunken. Früher aber lieber in Gemeinschaft, das Trinken alleine ist eher ein modernes Phänomen – mit fatalen Nebenwirkungen. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
    Alkohol verbindet, entspannt und birgt auch Probleme. Letztere können nicht nur gesundheitlicher Art sein. Trotzdem wird der Stoff seit Jahrhunderten konsumiert. Da blieb es nicht aus, dass er zuweilen verboten wurde. Zwischen Schwips und Abstinenz bewegt sich die Geschichte des Alkohols.

    Inhalt

    Wie hat sich die Bedeutung von Alkohol im Verlauf der Geschichte verändert?

    Bereits antike Zivilisationen produzierten und konsumierten alkoholische Getränke. Die Sumerer, die erste Hochkultur der Welt, brauten im dritten vorchristlichen Jahrtausend wegen kontaminierten Brunnenwassers Bier. Ein Drittel der Getreideernte sei für Bier verwendet worden, sagt Historiker Hasso Spode.
    Die Bedeutung des Getränks habe sich gesellschaftlich ausgewirkt: "Betrügerische Wirtinnen mussten in den Euphrat." Sie seien dort wohl ertränkt worden. "Und Brauer waren vom Kriegsdienst freigestellt."
    Oft spielte Alkohol eine zentrale Rolle in religiösen Zeremonien und kulturellen Festen. Wein etwa war ein integraler Bestandteil der griechischen und römischen Kultur. Bei den Römern ging es beim Trinken wie später bei den Christen nicht nur um den reinen Konsum: In der trinkenden Gemeinschaft fand man zueinander. Allein zu trinken ist erst ein relativ junges Phänomen.
    Getrunken wurde kollektiv und nach ganz bestimmten Regeln, erklärt Historiker Spode, der auch Vorstandsmitglied der internationalen Alcohol and Drugs History Society ist. Weil es in der Menschheitsgeschichte lange Zeit keine Institution Staat gab, die Sicherheit herstellte und garantierte, war das soziale Umfeld wichtig für das Sicherheitsgefühl.

    Vom magischen Rausch und Zaubertrank

    "Man kann über Alkoholgelage Wahlverwandtschaft herstellen, das schmiedet die Leute zusammen", sagt Spode. "Dieses Muster finden wir in allen Stammesgesellschaften: die sporadische, exzessive Berauschung im Kollektiv."
    In den sehr alten Gesellschaften glaubte man an einen magischen Rausch und an einen Zaubertrank, durch den man göttliche Eingebungen bekommt, so Spode. Alkohol diente auch dazu, Nahrungsmittel und Medikamente zu konservieren. Klöster waren oft Zentren der Bierproduktion.
    Mit der Globalisierung und den ersten Seereisen in ferne Länder wurden seit dem 16. Jahrhundert Kaffee und Tee Alternativen zum oft kontaminierten Brunnenwasser und Bier, jedenfalls für den Adel. Das Bürgertum kam erst im späten 18. Jahrhundert in den Genuss der neuen Getränke. Alkohol wurde danach allmählich zum Genussmittel und es entstand ein Bewusstsein für die Schäden, die Alkohol anrichten kann.
    In verschiedenen Kulturen hat Alkohol bis heute unterschiedliche Bedeutungen. In einigen spielt er eine zentrale Rolle in religiösen Riten, während er in anderen Kulturen gänzlich abgelehnt wird, wie etwa im Islam.

    Wie erfolgreich waren Alkoholverbote?

    Um die negativen Folgen des Alkoholkonsums zu bekämpfen, gab es in einigen Ländern - wie den USA von 1920 bis 1933 - Zeiten der Prohibition. In denen war der Verkauf und Konsum von Alkohol gesetzlich verboten.
    Religiöse Motive wurden von der Prohibitionsbewegung in den USA herangezogen. Alkoholkonsum sei etwa als nicht vereinbar mit der biblischen Gottesebenbildlichkeit des Menschen gesehen worden, erklärt der Michael Hochgeschwender, Historiker und Professor für Nordamerikanische Geschichte in München.
    Außerdem spielten auch soziale Motive eine Rolle, so das Unterbinden von Gewalt, besonders durch betrunkene Familienväter. Auch waren die Anforderungen etwa an Arbeiter durch die Industrialisierung mit dem Konsum von Alkohol nicht vereinbar.
    Das landesweite Prohibitionsgesetz führte in den USA zu illegalen Märkten, Schmuggel und verstärkte Gewalttätigkeit sowie einer Spaltung der Gesellschaft. Wegen der negativen Konsequenzen wurde die Prohibition in den USA 1933 auf Bundesebene aufgehoben und deren Regelung an die Bundesstaaten zurückgegeben. Vor allem im Süden und im Mittleren Westen gibt es bis heute in verschiedenen Kommunen - sie werden als "Dry Countys" bezeichnet - Beschränkungen für den Verkauf und Konsum von Alkohol.

    Welche Rolle spielte Alkohol für die "Rassenhygiene"?

    Gegen Alkohol wendete sich auch die sogenannte Eugenik, die in den 1930er-Jahren sehr populär war. Sie ging davon aus, dass durch Vererbung Eigenschaften weitergegeben und verstärkt werden können - auch Alkoholismus. Die nationalsozialistische "Rassenhygiene" basierte auf diesen Theorien.
    Auch in anderen Ländern habe diese Überzeugung geherrscht, erläutert Hasso Spode: Menschen, die Alkoholiker sind, müssten zwangssterilisiert, eingesperrt oder zumindest mit einem Heiratsverbot belegt werden.
    Die Hälfte der Staaten des damaligen Völkerbundes, des Vorläufers der UNO, hätten "rassenhygienischen Zwangsgesetze eingeführt. Der entscheidende Punkt war der Alkohol."

    Wie hoch ist der Alkoholkonsum heute im Vergleich zu früher?

    Im Mittelalter gab es einen deutlich höheren Alkoholkonsum als heute: Weil die Wasserversorgung in den Städten durch kontaminiertes Brunnenwasser problematisch war, galten Bier und Wein als sichere Getränke. "In Hamburg um 1500, zur Zeit Luthers, wurden 900 Liter Bier pro Kopf und Jahr getrunken", sagt Historiker Spode. "Dann kamen sicher noch mal 20 bis 30 Liter Wein dazu und fünf Liter Branntwein. Also an die 1000 Liter wurden pro Städter pro Jahr getrunken."
    In den USA im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wurden etwa 26 Liter reinen Alkohols pro Kopf getrunken, schätzt Historiker Hochgeschwender. "Das war vor der Migration von Katholiken. Es gibt Quellen, in denen lallende Pastoren vor betrunkenen Gemeinden stehen und nicht mehr in der Lage sind zu predigen."
    Dagegen erscheint heutiger Konsum harmlos, doch mit großen regionalen Unterschieden: Rund zehn Liter reinen Alkohols trinken Deutsche im Durchschnitt pro Kopf und Jahr. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich unverändert im oberen Drittel, mahnt das Bundesgesundheitsministerium. In Russland sind es zwölf Liter reinen Alkohols.
    Allerdings geht der Konsum weiter zurück: Laut einer Umfrage von Statista von 2023 trinkt die Generation Z (zwischen 1995 und 2005 geboren) deutlich weniger als die Generationen davor. Trinken 33 Prozent der Millennials (1980 bis 1994) jede Woche Bier, sind es bei der Generation Z 24 Prozent, der Weinkonsum ging um zehn Prozent zurück.
    Eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2021 (veröffentlicht 2022) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Unter Jugendlichen hat sich der Konsum seit 2004 halbiert. Bei den 18- bis 25-Jährigen ging der regelmäßige Konsum von 44 Prozent auf 32 Prozent zurück.
    Der Trend zeigt sich auch in einer anderen Statistik: Im vergangenen Jahr wurden so wenige Kinder und Jugendliche wegen übermäßigem Alkoholkonsum in Krankenhäuser eingewiesen wie seit 20 Jahren nicht mehr, so das Statistische Bundesamt.
    Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Genannte werden Aufklärungskampagnen, ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein oder ein Trend zur Selbstoptimierung.
    Seit einigen Jahren gibt es das Phänomen "Dry January" in mehreren Ländern, bei dem zu Jahresanfang Menschen freiwillig aufs Trinken verzichten, was nach den Feiertagen ohnehin leichter fallen dürfte.
    Das Phänomen ist nicht neu: In christlichen Ländern nennt man es Fastenzeit. Die Alkoholindustrie hat den Trend längst erkannt und bietet neben alkoholfreiem Bier und Sekt auch immer mehr "geistfreie" Spirituosen wie Gin an.

    Wie groß ist das Problem des Alkoholmissbrauchs?

    Die zunehmende Abstinenz ist allerdings noch kein Grund zur Entwarnung. Während der allgemeine Alkoholkonsum zurückgeht, hat die Alkoholsucht zugenommen.
    Laut einer Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) ist die Zahl der versicherten Berufstätigen mit exzessivem Trinkverhalten zwischen 2011 und 2021 um rund ein Drittel gestiegen, in der Altersgruppe der 35- bis 39-Jährigen sogar um knapp 90 Prozent. Die Pandemie könnte das verstärkt haben.
    Jeder Siebte in Deutschland trinkt in riskanter Form, so der Bundesdrogenbeauftragte. Im Jahr 2020 sind 14.200 Menschen an einer Krankheit gestorben, die durch Alkoholkonsum bedingt ist.
    Die Zahl ist höher, wenn man Krankheiten berücksichtigt, für die Alkohol ein Risikofaktor ist. Ältere Berechnungen gingen von jährlich etwa 40.000 alkoholbedingten Toten aus.
    Eine Ursache könnte sein, dass alkoholische Getränke in Deutschland zu preisgünstig sind. Kritiker fordern eine höhere Besteuerung wie in anderen Ländern. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Alkohol betragen laut Jahrbuch Sucht 2023 rund 57 Milliarden Euro pro Jahr.
    Haben Sie den Eindruck, Sie trinken zu viel Alkohol?

    Hilfe bekommen Sie bei einer Beratungsstelle oder über die Telefonhotline der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): 0221 892031.
    Weitere Infos gibt es bei der BZgA.

    Hier finden Sie eine Suchtberatungsstelle in Ihrer Nähe.

    Weitere Informationen mit Rat und Hilfe.

    Wie wirkt sich Alkohol auf das Verhalten aus?

    Manche Menschen fühlen sich fröhlich, nachdem sie Alkohol getrunken haben – andere empfinden dagegen Traurigkeit. Diese Gefühle würden nicht vom Alkohol hervorgerufen, erklärt Jakob Hein.
    Der Schriftsteller, Übersetzer und Psychiater hat das ursprünglich in den USA erschienene Buch "Betrunkenes Betragen: Eine ethnologische Weltreise" ins Deutsche übertragen. Die US-amerikanischen Ethnologen Craig MacAndrew und Robert B. Edgerton haben etwa 200 unterschiedliche Völker untersucht, bei denen die Wirkung von Alkohol "noch nicht so kulturell geformt war".
    Das Ergebnis: "Es gibt Gesellschaften, die werden ruhiger. Es gibt Gesellschaften, die werden deutlich erotisierter. Es gibt Gesellschaften, die werden gewalttätig, und es gibt Gesellschaften, die werden friedlicher unter Alkoholeinfluss", so Hein.
    Wie Menschen sich unter Alkoholeinfluss benehmen, sei kulturell geprägt. Doch habe jeder "eine absolute Entscheidungsgewalt darüber". Alkohol wirke sich aber auch objektiv aus, und zwar körperlich, so Hein, etwa wie man laufen kann, dass man sich übergeben muss oder sehr müde wird.
    Wissenschaftliche Erkenntnisse seit dem Erscheinen des Buchs im Jahr 1969 stützten die darin beschriebenen Erkenntnisse, erläutert Hein. So seien etwa Menschen, denen Placebo-Alkohol verabreicht wurde, motorisch fit, aber ihr Verhalten ändere sich.

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