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Alkoholersatz
Rausch ohne Reue

Trinken ohne Kater am nächsten Morgen: 2013 verkündete der britische Forscher David Nutt, er habe mehrere Substanzen gefunden, die betrunken machen, ohne die Gesundheit zu schädigen. Klingt gut - doch Fördergelder gibt es für die Forschungen nicht. Auch die Getränkeindustrie hat kein Interesse.

Von Anneke Meyer | 17.01.2017
    Ein Mann riecht an einem Glas Cognac in einer Hotelbar in München.
    David Nutt ist überzeugt, einen Alkoholersatz gefunden zu haben, der die Leber nicht schädigt. (picture-alliance/ dpa)
    Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren. Weihnachten und Neujahr liegen noch nicht lange hinter uns - und damit eine Zeit in der viele öfter ein Gläschen mehr trinken als gut für sie wäre. Ein kurzes Vergnügen, das nachhaltige Folgen haben kann:
    "Alkohol ist unglaublich giftig! Sein Konsum erhöht das Risiko an Krebs zu erkranken, schädigt Leber, Magen und Hirn. Es gibt praktisch kein Organ im Körper, das nicht durch Alkohol geschädigt wird."
    David Nutt ist Professor für Neuropharmakologie am Imperial College London und Englands lautester aber wohl auch populärster Kritiker des Feierabendbiers. Trotz seiner Rolle als Mahner will er niemandem den Spaß verderben. Abstinenz hält er für keine massentaugliche Lösung, erklärt er bei einem Treffen am Rande einer Konferenz im Jahr 2015.
    "Natürlich trinke ich Alkohol – weil es keine gute Alternative gibt. Aber ich arbeite daran."
    Idee eines synthetischen Alkoholersatzes
    Synthetischer Alkoholersatz, der einen angenehm beschwipst werden lässt, Leber und Hirn schont und nicht süchtig macht. Diese Idee kam dem Wissenschaftler zum ersten Mal 2004, während er als Regierungsberater an einem Zukunftskonzept zur Suchtprävention arbeitete.
    2013 verkündete er in der britischen Tageszeitung "The Guardian", eine Reihe von Kandidaten identifiziert zu haben. Seitdem hat er Patente für rund achtzig chemische Substanzen beantragt, die potenziell in Frage kämen. Genauer untersucht ist bisher allerdings keine.
    "Wir haben eine Reihe vielversprechender Kandidaten gefunden. Einige habe ich im Selbstversuch getestet und ja, die fühlen sich schon ziemlich so an wie Alkohol. Was wir jetzt brauchen sind Investoren. Die nötigen Experimente durchzuführen kostet viel Geld und natürlich brauchen wir eine sorgfältige Risikoabschätzung."
    Getränkeindustrie hat kein Interesse
    Um welche Substanzen es sich genau handelt, seien "wirtschaftlich sensible" Informationen, erklärt David Nutt. In der Hoffnung auf Investoren hält er sie geheim. Und das werden sie wahrscheinlich auch bleiben.
    Die Getränkeindustrie hat nämlich bereits deutlich gemacht, dass sie kein Interesse hat, ein Konkurrenzprodukt zu fördern. Auch aus der Wissenschaftswelt gibt es kaum Unterstützung für das Projekt unschädlicher Alkoholersatz.
    "Also ich sehe, egal, aus welchem Winkel ich mir diese Idee anschaue, es als reine Utopie an."
    Rainer Spanagel ist Psychopharmakologe am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Im Prinzip ist er für die Idee eines Alkoholersatzes durchaus zu haben. Aber nicht so, wie sein britischer Kollege es sich vorstellt.
    "Das, was David Nutt hier vorschlägt, ist ein Unsinn. Würde er es mehr in die Richtung vorschlagen, das als Therapie für abhängige Patienten zu machen, würde ich sagen: Ein sehr guter Weg. Ich wehre mich nur gegen diese flächendeckende Idee, 2 Milliarden Menschen mit einer alternativen Substanz auszustatten."
    Soziokulturelle Aspekte des Alkohols
    Alkohol, so gibt Rainer Spanagel zu bedenken, hat soziokulturelle Aspekte die sich nicht einfach auf etwas Anderes übertragen lassen. Vom Geschmack mal ganz abgesehen. Hinzu kommt, dass es sehr schwer wird, etwas zu entwickeln, das einen authentischen Schwips verursacht und für jeden funktioniert.
    Alkohol kann sich in so gut wie jeden Signalweg im Gehirn einmischen, weil an vielen verschiedenen Rezeptoren wirkt. Alkohol drückt quasi alle Schalter gleichzeitig. Macht je nach Typ und Stimmung entspannt, euphorisch, aggressiv, wach oder müde. Jede andere Droge wirkt nur an einem einzigen oder einigen wenigen Rezeptoren.
    "Jeder wird nur sagen: Naja, fühlt sich so ähnlich an. Aber lassen wir das mal beiseite. Es kann ja sein, es fühlt sich so ähnlich an und die Leute finden es trotzdem gut und konsumieren das dann. Auszuschließen, dass das ohne Folgeschäden ist und ohne Suchtentwicklung - dazu gibt es überhaupt keine Daten."
    Der Mannheimer Suchtexperte kennt seinen britischen Kollegen gut und lang. Er weiß, was für Substanzen David Nutt im Sinn hat, und trotzdem ist er – wie die allermeisten seiner Kollegen – der Meinung, dass wissenschaftliche Fördermittel für dieses Projekt verschwendet wären.
    "Also aus neurobiologisch-molekularer Sicht wird es diese Substanz nicht geben, die eins zu eins Alkoholeffekte im Gehirn abdeckt und keine anderen schädlichen Nebenwirkungen hat."
    Nutt ist Kritik gewohnt
    Vordenker David Nutt nimmt solche Kritik gelassen. Mit seinen unkonventionellen Auffassungen stand er schon oft im Kreuzfeuer. Die Aussage, reiten sei statistisch gesehen gefährlicher als Ecstasy, hat ihn sein Amt als Regierungsberater gekostet, nicht aber seine Überzeugung. Im Skype-Interview gibt er sich unverdrossen:
    "Wissen Sie, es hat fünfzig Jahre gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Händewaschen Krankheitserreger tötet. Ich mache das hier erst seit zehn Jahren. Der gesunde Menschenverstand und wissenschaftliches Vorgehen werden dafür sorgen, dass die Idee sich durchsetzt. Ich würde das aber gerne noch miterleben, deshalb suche ich weiter nach Geldgebern."
    Egal, ob es den synthetischen Alkohol jemals geben wird oder nicht. Eines schafft David Nutt mit seiner Idee schon jetzt: Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Alkohol ernste gesellschaftliche Probleme verursacht.