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Allergische Reaktion
Von Heuschnupfen bis Hausstauballergie

Pollen, Nüsse, Milben: Vielfältige Allergene quälen Millionen Menschen - und die Zahl der Allergiker steigt. Die Ursache ist noch nicht vollständig geklärt. Fest steht aber, dass übertriebene Hygiene bei Kindern das Immunsystem aus dem Tritt bringen kann.

Von Andrea Westhoff | 22.01.2019
    Eine Frau putzt sich die Nase.
    Welche Stoffe das Immunsystem fäschlicherweise als gefährlich einstuft, bestimmen Allergietests (dpa | Collage: Deutschlandfunk Nova)
    "Ich war allergisch gegen Pollen, und zwar von der Birke, von der Hasel: Es war so, dass bei mir die Augen anfingen zu jucken. Und ganz normal hab ich dann mit den Fingern gerieben und stellte fest, dass ich dann aussah wie ein Kaninchen."
    "Es ging damit los, dass ich Nüsse nicht vertragen habe, dann kam Steinobst dazu und sehr viele Lebensmittel mit Eiweiß, also Milch, Geflügel vertrag ich nicht gut und auch ganz viele Gewürze; Gluten ist vor acht Jahren dazu gekommen, und ich hab nicht nur Lebensmittelallergien, sondern auch das Asthma, ja."
    Immunsystem stuft harmlose Stoffe als gefährlich ein
    Allergische Reaktionen. Was dabei vor sich geht, erklärt Professor Torsten Zuberbier, Leiter des Allergiezentrums der Berliner Charité:
    "Eine Allergie ist im Grunde genommen eine normale Reaktion des Immunsystems, aber mit zwei Fehlern. Erstens sie ist überschießend und zweitens: Sie richtet sich gegen eigentlich harmlose Substanzen aus der Umwelt, zum Beispiel eben Pollen oder Nahrungsmittel. Der Hintergrund liegt darin, dass diese Stoffe versehentlich vom Immunsystem als gefährlich eingestuft worden sind."
    Unser Immunsystem soll den Körper vor Krankheitserregern schützen und muss dafür alle Stoffe, mit denen wir in Kontakt kommen, als "gefährlich" oder "harmlos" erkennen. Allerdings tut es das nicht jedes Mal neu, sondern merkt sich die Entscheidung. Und um effektiv reagieren zu können, werden bei vermeintlich gefährlichen Stoffen schon mal verschiedene Antikörper bereitgestellt.
    "Es gibt nie die Reaktion beim allerersten Kontakt, sondern der Körper muss erst die Allergie entwickeln."
    In einer Reihe stehen weiße Schälchen mit Lebensmitteln, die bei manchen Allergien auslösen: Milch, Meeresfrüchte, Nüsse, Eier.
    Milch, Meeresfrüchte, Nüsse - Lebensmittel, die typischerweise Allergien auslösen. (imago / Science Photo Library)
    Pricktest bestimmt Allergieauslöser
    Das bedeutet, man kann die generelle Allergie-Neigung eines Menschen schon im Blut erkennen. Aber für die genauere Bestimmung müssen verschiedene Auslöser, die "Allergene", getestet werden
    "Das ist jetzt der Pricktest, da wird die Haut an beiden Unterarmen mit Zahlen beschriftet, beide Seiten 1 – 9, und dann träufeln wir die Allergieextrakte auf die Haut neben die Zahlen."

    Man kann im Prinzip jedem "verdächtigen Stoff" nachgehen, aber in der Regel werden zunächst die häufigsten Allergene überprüft:
    "Gräserpollen – das ist jetzt Birke, Beifuss –, dann Hund- und Katzenhaare und vor allem auch wichtig Hausstaubmilben – als nächstes wird die Haut mit einer kleinen Lancette, mit einem kleinen Messer, nur ganz oberflächlich angepiekst."
    Schnelle oder langsame Immunreaktion
    Und nach 15 bis 20 Minuten wird das Testergebnis abgelesen. Medizinisch unterscheidet man Allergien nicht nach dem Auslöser, sondern nach Art der Immunreaktion: Beim Typ I oder Soforttyp erfolgt sie sehr schnell, in Sekunden oder Minuten.
    "Bei der häufigsten Allergie gegen Pollen, gegen Nahrungsmittel werden sogenannte Antikörper gebildet von der Klasse IgE, das sind Stoffe, die sich auf den Abwehrzellen wie Mastzellen, die in Schleimhäuten und in der Haut vorkommen, festsetzen. Und wenn jetzt noch mal der allergene Stoff, die Pollen, an diese Mastzellen kommen, dann explodieren die sozusagen und setzen ihren Entzündungsbotenstoff Histamin frei. Das Histamin bewirkt, dass an den Nerven Juckreiz oder Reaktionen ausgelöst werden, es kommt zu Schwellungen an der Haut oder in den Schleimhäuten, zu Tränenfluss, und an den Bronchien, in der Lunge kommt es zu einer Engstellung und damit eben halt zu den Asthmabeschwerden."
    Die stärkste allergische Reaktion vom Soforttyp ist der "anaphylaktische Schock", der lebensbedrohlich, aber glücklicherweise selten ist. Beides gilt auch für die Typen II und III, bei denen es sich um Medikamentenallergien handelt. Vor allem Penicillin oder Aspirin können schwere Entzündungen im Körper auslösen beziehungsweise Blutzellen zerstören.
    Recht häufig wiederum ist der "Spättyp", wo die allergische Reaktion viel langsamer, nach frühestens einem und bis zu vier Tagen erfolgt. Nachgewiesen wird sie mit dem "Patch"-, also Pflastertest.
    "Da haben wir hier diese großen Pflaster, die werden auf die Haut am Rücken geklebt, da geht’s um Kontaktallergien – gegen Nickel, zum Beispiel oder verschiedenen Duftstoffe, die in Kosmetika enthalten sein können."
    Allergien entwickeln sich meistens, aber nicht ausschließlich schon in der Kindheit, sagt die Professorin Susanne Lau, Leiterin der Abteilung Pneumologie und Allergologie der Kinder-Klinik in der Charité.
    "Die klassische Entwicklung kann sein: atopische Dermatitis, die ja per se noch keine Allergie ist, aber häufig mit bestimmten Allergien assoziiert ist, dann die Entwicklung einer Nahrungsmittelallergie, im weiteren Verlauf entwickelt man dann Atemwegsallergien. Und es gibt vermehrt auch Erwachsene, die vielleicht Minimalsymptome als Kinder hatten oder gar keine in Richtung Allergie, und dann eben in der 3., 4., 5., 6. Lebensdekade noch einen Heuschnupfen bekommen zum Beispiel."
    Psychische Belastung kann Symptome verstärken
    Warum es zu allergischen Reaktionen kommt, ist noch nicht vollständig geklärt:
    "Allergien sind immer ein Zusammenspiel von Gen und Umwelt. Das heißt, wir haben auf der einen Seite eine genetische Veranlagung, auf der anderen Seite wissen wir aber, wenn man diese Allergie-Gene trägt, bekommt man nicht unbedingt Allergien. Es muss da irgendein Modulator geben in der Umwelt, oder wahrscheinlich sehr viele Modulatoren, die beeinflussen, ob diese Entzündungsgene, die bei der Allergie eine Rolle spielen, überhaupt zum Tragen kommen.
    Zur Frage, ob auch psychische Belastungen Allergien hervorrufen können, sagt Professor Torsten Zuberbier, der Leiter der europäischen Stiftung für Allergieforschung:
    "Man kann ganz klar sagen: Ja, sie haben eine Bedeutung, allerdings nicht als Auslöser, das ist die Genetik, das sind die Allergene, mit denen man in Kontakt kommt. Aber psychische Elemente wie Stressfaktoren, wie persönliche Belastungen können Allergien verstärken in der Symptomatik."
    Übertriebene Hygiene schadet dem Immunsystem
    Noch nicht genau geklärt ist, warum die Zahl der Allergiker immer mehr ansteigt.
    "Sie werden vor allen Dingen auch in den Städten häufiger. Und in den Städten kommt aber ein Faktor hinzu, nämlich die Umweltverschmutzung. Pollen auf dem Land sind sozusagen sauber, in den Städten setzen sich Feinstaubpartikel auf die Pollen."
    Neben der Luftverschmutzung stehen auch die teilsweise übertriebenen Hygiene-Bemühungen der Neuzeit in Verdacht, Allergien zu befördern. Die genauen Zusammenhänge werden noch erforscht, aber sicher ist: Im Alltag brauchen gesunde Menschen, vor allem Kinder keine keimfreie Sauberkeit
    "Das Hauptproblem wird wahrscheinlich sein, dass wir weniger mit günstigen Bakterien in Kontakt kommen."
    Meint die Kinderallergologin Dr. Susanne Lau. Das dauernde Herumfuhrwerken mit Desinfektionsmitteln hilft dem Immunsystem eher nicht.
    "Wir wissen eben auch aus Bauerstudien, dass der frühe Kontakt, schon während der Schwangerschaft letztendlich durch die Mütter, mit Keinem, die zum Beispiel im Stallmist zu finden sind, dass die das Immunsystem in so eine ständige Bereitschaft versetzen, sodass unnütze entzündliche Reaktionen seltener werden. Das heißt, wir brauchen im Grunde genommen so eine Art Dauerbersiedlung mit bestimmten Bakterien, die uns nichts tun, die aber dafür sorgen, dass das Immunsystem nicht über die Stränge haut, quasi."