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Alles andere als paradiesisch

Spätestens seit dem Dioxin-Skandal beschäftigen sich Verbraucher bewusster mit der Frage, wo ihr Essen herkommt. In Niedersachsen, dem Bundesland mit den meisten Geflügelfarmen und Mastbetrieben, soll nun ein neuer Tierschutzplan umgesetzt werden. Der aber basiert auf Freiwilligkeit.

Susanne Schrammar im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 15.02.2011
    Susanne Kuhlmann: Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gerd Lindemann (CDU) hat gestern einen neuen Tierschutzplan vorgelegt. Damit will er die Haltungsbedingungen vor allem für Geflügel und Schweine verbessern, allerdings ohne dass in den Ställen in nächster Zeit paradiesische Zustände herrschen werden, so der Minister. Am vergangenen Wochenende wurde bekannt, dass man davon auch denkbar weit entfernt ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Cuxhavener Firmengruppe Lohmann Tierzucht, in deren Ställen Hühnerküken massenhaft Zehen und Kämme amputiert worden sein sollen. – Susanne Schrammar in Hannover, dieser Vorwurf trifft nicht irgendein Unternehmen, sondern ein weltweit agierendes. Ein Vorwurf, der dem Minister und seinen Tierschutzbestrebungen zupass kommt?

    Susanne Schrammar: Sicherlich! Der Minister spricht zwar hier von einem Einzelfall, aber es gab in der vergangenen Zeit ja einige bekannt gewordene Missstände. Vor allem die Geflügelindustrie ist ziemlich in Verruf gekommen und der neue Landwirtschaftsminister, der bemüht sich jetzt um einen Image-Wandel. Im Tierschutz sieht er vor allem in der Geflügelproduktion Handlungsbedarf, sagt Gerd Lindemann, und er will erreichen, dass die Verbraucher die Produkte wieder gerne zu sich nehmen, dass sie nicht das Gefühl bekommen, diese Produkte seien irgendwie moralisch anstößig. Aber der neue Tierschutzplan ist sicherlich auch eine Antwort auf eine gerade in Niedersachsen wieder stärker werdende Tierschutzbewegung.

    Kuhlmann: Was sieht der Plan denn im Einzelnen vor?

    Schrammar: 38 Maßnahmen sieht das Arbeitspapier vor. Bis 2018 sollen sie umgesetzt werden, manche auch schon früher. Zum Beispiel will Landesagrarminister Lindemann, dass bis 2015 die Praxis des Schnäbelkürzens in der Geflügelzucht eingestellt wird. Das ist ja bisher gängige Praxis in der konventionellen Landwirtschaft. Legehennen, Masthähnchen, Puten werden die Schnäbel abgeschliffen oder abgebrannt, damit sie einander in den engen Ställen nicht durch Picken verletzen. Doch der Schnabel gilt für die Tiere als wichtiges Tastorgan, und deswegen kritisieren Tierschützer das schon seit langem. Dieses Vorgehen will Lindemann also stoppen, genauso wie die Kastration ohne Betäubung, oder das Schwänze Kupieren bei Ferkeln. Außerdem soll es künftig so eine Art Indikatorenliste geben, anhand derer man feststellen kann, in welchem Zustand sich die Tiere auch befinden, zum Beispiel durch eine Kontrolle der Fußballen, und um diese Maßnahmen umzusetzen, da will Lindemann einen sogenannten Lenkungsausschuss einsetzen. Das heißt, er will Branchenverbände und Verbraucherschützer an einen Tisch holen. Es gibt auch schon Zustimmung. Das Landvolk in Niedersachsen hat bereits Unterstützung signalisiert.

    Kuhlmann: Die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft wirft dem Minister Verzögerungstaktik vor und vermisst Vorgaben für mehr Platz und Auslauf. Was sagt die Opposition im Landtag?

    Schrammar: Bei SPD, Grünen und Linken, da heißt es eigentlich auch uni sono, guter Ansatz, aber das ginge doch sicher auch schneller. Sieben Jahre, bis alle Maßnahmen greifen sollen, das dauert der Opposition eindeutig zu lange. Man vermutet, dass der Agrarminister hier Zugeständnisse macht an die landwirtschaftliche Industrie, und man kritisiert die Pläne auch als Kosmetik. Lindemann hat hingegen die Umsetzungsdauer verteidigt. Man benötige nun mal eine gewisse Zeit für die Umstellung. Zum Beispiel könnten beim Verzicht auf das Schnäbel kürzen neue Probleme beim Geflügel entstehen. Zum Beispiel könnten die anfangen, Federn zu picken, oder auch Kannibalismus könnte auftreten. Da müssen wohl erst mal Konzepte her, wie das umgestellt werden kann. Auch Züchtungsveränderungen können möglicherweise nicht von heute auf morgen umsetzbar sein. Aber die Opposition sagt auch, der Plan des Landwirtschaftsministeriums sei zu unverbindlich, denn es geht ja hier um freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie.

    Kuhlmann: Ist der Plan denn trotzdem von Bedeutung, weil er aus dem Geflügelland Nummer 1 kommt?

    Schrammar: Die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund und Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner arbeitet ja bereits an einer Verbesserung des Tierschutzes und hat dabei wohl auch einige Vorschläge aus Niedersachsen übernommen. Und es ist klar: ohne Niedersachsen geht es hier nicht, hier gibt es die meisten und größten Geflügelzüchter, Mäster und Vermarkter und die müssen mit ins Boot. Lindemann sieht Niedersachsen sogar als Kerngebiet der Nutztierhaltung in Europa und man habe hier eine besondere Verantwortung. Er aber setzt auf Freiwilligkeit. Man dürfe nicht immer die Keule des Gesetzes rausholen, solche Veränderungen seien Erfolg versprechender, wenn die Notwendigkeit freiwillig gesehen würde.

    Kuhlmann: Vielen Dank an Susanne Schrammar nach Hannover.