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"Alles was hilft, die rechte Szene zurückzudrängen, wird von uns unterstützt"

Müller: Wie die Gewalt von rechts wirksam bekämpfen? Diese Frage stellt sich um so mehr nach dem rasanten Anstieg rechtsextremer Übergriffe im vergangenen Jahr. Nun steht ein neuer Vorschlag zur Diskussion: ein Aussteigerprogramm für Neo-Nazis. Innenminister Otto Schily hat nun dafür die Rückendeckung der SPD-geführten Bundesländer. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Thüringens Innenminister Christian Köckert, CDU. Guten Morgen!

    Köckert: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Köckert, werden Sie denn mit Schily zusammenarbeiten?

    Köckert: Es muss natürlich das Programm erarbeitet werden. Mir wird plötzlich sehr viel darüber geredet. In der vorigen Woche haben die Innenminister der Länder zusammengesessen mit dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Dort ist von ihm angeregt worden, dass der Bund so etwas macht. Wenige Länder haben in dieser Richtung schon gearbeitet. Jetzt wird das schon verkündet, als hätte man dieses Programm bereits ausgearbeitet und könnte sofort damit loslegen. Ich verstehe: in Rheinland-Pfalz ist Wahlkampf; da muss man solche Nachrichten haben. Die Kollegen Zuber und Schily machen damit Schlagzeilen. Wir warten erst einmal ab, wie dieses Programm aussieht. Alles was hilft, die rechte Szene zurückzudrängen, wird natürlich von uns unterstützt.

    Müller: Einige haben sich ja schon bereit erklärt, mit Schily auf diesen Weg zu gehen, unter anderem ja auch Bayern und das Saarland. Was wissen Sie denn noch nicht?

    Köckert: Man will ein Programm entwickeln. Wie dieses Programm im einzelnen aussieht, da gibt es Anhaltspunkte. Wir können uns auch in Thüringen einiges vorstellen. Für uns ist wichtig, dass wir den Bund hier mit in der Hilfestellung haben, denn Thüringen ist ein kleines Land. Ein landesinternes Aussteigerprogramm hätte wenig Sinn. Wir sind also auf unsere Nachbarländer beziehungsweise auf den Bund mit angewiesen. Aber nun lassen wir doch dieses Programm erst einmal ausarbeiten, und dann werden wir weiter darüber reden. Wenige Länder haben schon etwas im anlaufen beziehungsweise praktizieren schon etwas. Die Erfahrungen, die dort gesammelt werden, sind für uns sicher interessant.

    Müller: Das heißt Sie haben noch Zeit?

    Köckert: Was heißt Zeit. Wir tun ja schon eine ganze Menge, gerade in Thüringen, im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Ein solches Aussteigerprogramm ist eine Ergänzung von jetzt schon laufenden Programmen, mit deren Hilfe wir versuchen, die rechtsextreme Szene zurückzudrängen. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus haben wir keine Zeit. Wir tun deshalb auch schon sehr viel dazu. Wenn ein solches Aussteigerprogramm noch ergänzend dazukommt, kann es sicher nicht schaden.

    Müller: Was halten Sie denn grundsätzlich von dieser Idee, rechtsextreme Neo-Nazis aus diesem Netz, wie es ja heißt, herauszulösen?

    Köckert: Der Grundgedanke ist gut, denn so unversehen wie manche junge Leute in diese rechtsextremistische Szene hineinkommen, so schwierig ist es für sie herauszukommen. Gruppenzwänge und andere Dinge spielen dort eine große Rolle. Wenn man hier eine Chance gibt, den Ausstieg zu erleichtern, mag das gut sein. Man muss nur die nötigen Mittel und die nötigen Instrumente haben. Mit Geld allein oder mit Wohnsitzwechsel ist das nicht getan. Es könnte sogar sein, dass es den einen oder anderen zum Einstieg reizt. Aber das muss man in den Erfahrungen abklären, die in den einzelnen Ländern dann gemacht werden. Ich habe in der vergangenen Woche nach der Innenministerrunde nur gesagt, wir wollen gerne die Erfahrungen abwarten. Wir werden hier nicht ganze vorne dranstehen, was die Erprobung betrifft.

    Müller: Sie haben das Stichwort selbst genannt, Herr Köckert. Ihr Kabinettschef, Ministerpräsident Bernhard Vogel, hat gesagt, "wenn man das Aussteigen subventioniert, dann fördert man natürlich auch das Einsteigen". Hat er damit Recht?

    Köckert: Wissen Sie, wenn man solche Programme auflegt, hat das auch seine Anreize, und das nicht nur im positiven Effekt, oder kann das seine Anreize haben, und das nicht nur im positiven Effekt. Da muss aber eine Erfahrungsbasis her. Insofern ist auch das eine Vermutung. Wir wollen natürlich Missbrauch verhindern, denn so ein Programm macht einigen Aufwand. Es wäre schade, wenn wir damit dann nicht den Erfolg haben. Der publizistische Erfolg, der Schlagzeilenerfolg ist dem Programm sicher, wie wir ja an der Reaktion auf dieses Programm merken.

    Müller: Auf welche Maßnahmen konzentrieren Sie sich denn derzeit in Thüringen?

    Köckert: Wir haben seit einem Jahr ein Programm zur Bekämpfung des Extremismus. Das besteht in der Zielstellung auch darin, die rechte Szene zu verunsichern. Das geschieht insbesondere durch konsequentes Eingreifen der Polizei, die in der rechten Szene sehr intensiv einen Überwachungsdruck ausübt, die sehr intensiv einen Kontrolldruck ausübt und wo wir sehr intensiv ganz bestimmte Veranstaltungen der rechten Szene, die sozusagen ein Entree darstellen wie zum Beispiel Skinhead-Konzerte, in Thüringen nicht zulassen. Wir haben im vergangenen Jahr in Thüringen kein Skinhead-Konzert mehr gehabt. Das ist denke ich schon ganz wichtig, dass wir hier vorankommen, und wir sind im vergangenen Jahr vorangekommen.

    Müller: Das heißt in erster Linie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Konzentration auf restriktive Maßnahmen?

    Köckert: Das ist nicht nur restriktiv. Wenn wir in rechten Szenetreffs kontrollieren, wenn wir als Polizei sichtbar sind, wenn wir Hausbesuche machen bei Jugendlichen, die in dieser Szene aufgefallen sind, dann hat das auch präventiven Charakter. Die Leute müssen wissen, dass sie nicht anonym sind, sondern dass wir sie kennen und dass wir sie im Blick haben. Da kommen wir auch präventiv gut voran.

    Müller: Hat sich insgesamt im letzten Jahr vor dem Hintergrund der vielen Übergriffe auch das Bewusstsein in der Bevölkerung aus Ihrer Sicht geändert?

    Köckert: Das Bewusstsein hat sich stark geändert. Die Bevölkerung ist sensibler geworden. Das Anzeigeverhalten ist intensiver geworden. Wir hatten ja gerade aufgrund der Übergriffe im Sommer die Bevölkerung aufgerufen, hier nicht die Augen zu verschließen. Wenn man schon nicht selbst eingreifen kann, weil die Situation zu gefährlich ist und zu aggressiv, so kann man doch zumindest die Polizei informieren. Das ist vielerorts geschehen. Wir haben wertvolle Hinweise bekommen aus der Bevölkerung und konnten dann polizeilich handeln. Die Sensibilisierung der Bevölkerung ist sehr gut gewesen und ich hoffe, dass das auch in dieser Thematik anhält.

    Müller: Zieht die Politik auch an einem Strang?

    Köckert: Ich glaube schon. Die Innenminister sind sich einig in der Bekämpfung des Extremismus, insbesondere des Rechtsextremismus. Auch in dieser Angelegenheit des Aussteigerprogramms denke ich wird Einigkeit sein. Lasst uns die Ideen sammeln, mit welchen Möglichkeiten und Mitteln man ein solches Programm ausgestalten kann. Ein Land allein kann da wenig bewirken. Die Netzwerke sind oft länderübergreifend. Bei uns in Thüringen machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Rechtsradikale aus vielen Ländern der Bundesrepublik versuchen, sich gerade bei uns zu treffen und dort Kontakte zu pflegen. Insofern muss eine Zusammenarbeit der Länder vorhanden sein und eine Zusammenarbeit mit dem Bund, und ich denke das wird sich auch ausgestalten lassen in dieser Thematik.

    Müller: Christian Köckert war das, Innenminister von Thüringen, CDU. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Erfurt.

    Link: Interview als RealAudio