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Alltäglicher Sexismus
"Dumme Sprüche sind Teil einer Vergewaltigungskultur"

Bei sexualisierter Gewalt gehe es um die Ausübung von Macht, sagte die Kulturwissenschaftlerin Stefanie Lohaus im DLF. Es diene dazu, Frauen sozusagen auf ihren Platz zu verweisen, sie zu verunsichern. Hier grundsätzlich etwas zu verändern, werde sehr lange dauern, ein Hashtag werde da so schnell nichts ändern.

Stefanie Lohaus im Gespräch mit Kathrin Hondl | 22.10.2017
    Stefanie Lohaus, Missy Magazine
    Stefanie Lohaus, Missy Magazine (Deutschlandradio Kultur )
    Kathrin Hondl: Diesmal ist der Aufschrei weltweit. Und es geht längst nicht mehr allein um den Filmproduzenten Harvey Weinstein und die systematische und lange totgeschwiegene sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Hollywood. Angestoßen bzw. abgestoßen vom Weinstein-Skandal berichten Frauen aus aller Welt in den sozialen Netzwerken, vor allem bei Twitter unter dem Hashtag #metoo von der alltäglichen sexistischen Gewalt – von Grapschern und Vergewaltigern, von blöden Sprüchen, aggressiven Blicken und sogenannten "anzüglichen Bemerkungen" – eben der ganz normale Alltag vieler – wahrscheinlich sogar aller - Frauen und Mädchen. So wie er schon vor vier Jahren im deutschsprachigen Netz zu lesen war – damals unter dem Hashtag #Aufschrei.
    Stefanie Lohaus ist Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, Gründerin und Mitherausgeberin des feministischen "Missy Magazine". Mit ihr habe ich vor der Sendung gesprochen.
    Frau Lohaus, 2013 #Aufschrei – 2017 #metoo. Der aktuelle "Spiegel" bringt das Thema "Macht und Missbrauch" als Titelgeschichte. Kommt da jetzt so richtig was in Gang – oder wie ist Ihr Eindruck?
    Stefanie Lohaus: Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass sich über die Jahre hinweg - ich würde 2013 vielleicht auch als Startpunkt einer Debatte zumindest hier in Deutschland nehmen -, dass da einiges zusammengekommen ist und jetzt auf jeden Fall schon eine größere Sensibilisierung für das Thema da ist. Das sieht man auch im Unterschied zu den Debatten, die wir damals 2013 bei #Aufschrei geführt haben, dass heute weniger Abwehrmechanismen sofort auftauchen, etwa zum Beispiel, die Frauen seien selbst schuld, weil sie sich anzüglich kleiden würden, oder sie würden lügen und so weiter. Das hat man 2013 doch noch häufiger gehört. Das kann natürlich auch sein, dass das daran liegt, dass Harvey Weinstein so schön weit weg ist.
    Hondl: Aber es gibt ja auch kritische Stimmen mit Blick auf #metoo. In einer deutschen Zeitung habe ich vergangene Woche die Befürchtung gelesen, dass dadurch, dass jetzt unzählige Frauen über alltägliche sexuelle Belästigung berichten, die Schwere der Vorwürfe gegen Harvey Weinstein aus dem Blick gerate – vor allem die Vergewaltigungsvorwürfe. Und eine Vergewaltigung, so hieß es in der Zeitung, sei doch noch mal was anderes als sexuelle Belästigung oder irgendwelche blöden Sprüche von männlichen Kollegen. Inwiefern, Frau Lohaus, ist das eine Argumentation oder Befürchtung, die Sie nachvollziehen können?
    Lohaus: Ich kann das nicht nachvollziehen. Natürlich muss unterschieden werden zwischen einer Straftat nach dem Gesetzbuch, die ja auch eine Straftat ist, weil die Auswirkungen auf das Opfer schon noch ganz andere sind als im Falle eines dummen Spruches sozusagen. Gleichzeitig sind aber sowohl dumme Sprüche und Belästigungen als auch sexualisierte Gewalt Teil dessen, was man, aus dem amerikanischen Sprachraum kommend, "Rape Culture" nennt, Vergewaltigungskultur. Es normalisiert sozusagen die Vorstellung, dass Frauen Objekte sind, die man belästigen darf, und insofern hat das schon etwas miteinander zu tun. Es ist Teil desselben Problems in unterschiedlichen Ausmaßen. Aber dadurch, wenn Belästigungen toleriert werden - das System von Harvey Weinstein wurde ja toleriert, natürlich auch, weil er in einer extremen Machtposition ist, aber auch, weil es in unserer Gesellschaft nach wie vor toleriert wird.
    "Es dient dazu, Frauen auf ihren Platz zu verweisen"
    Hondl: Der Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt ist ganz schön scheinheilig, oder? Das zeigt sich ja jetzt auch daran, dass es so lange gedauert hat, mit Blick auf Harvey Weinstein, dass die Leute im Film-Business überhaupt zu ihm auf Distanz gegangen sind. Es häufen sich jetzt mehr oder weniger peinliche Ausreden, man habe davon nichts gewusst oder schon irgendwie, aber nicht, dass es so schlimm war mit Vergewaltigungen und so - nein, nein. Mal abgesehen davon, dass das wahrscheinlich jetzt oft faule Ausreden sind - wieso ist es eigentlich für viele Leute offenbar so schwierig zu erkennen, wann und wo sexualisierte Gewalt anfängt, und dann tatsächlich auch die zu benennen und was dagegen zu unternehmen?
    Lohaus: Na ja, zum einen wachsen wir ja damit auf. Wir wachsen ja auch mit T-Shirts auf für kleine Mädchen; da steht dann "Prinzessin" oder "sexy" oder so. Diese Art von Objektifizierung von Frauen, das beginnt schon im Kindesalter.
    Und das andere ist, dass natürlich, dass Weinstein nicht bekannt war, das stimmt ja so nicht. Es sagen sehr viele auch Schauspielerinnen, dass sie schon vorher gewarnt wurden, er sei ein Rüpel und so weiter. Das war hinlänglich bekannt. Vielleicht war nicht bekannt, wie weit das dann ging mit den Vergewaltigungen, weil natürlich Frauen dann auch nicht an die Öffentlichkeit treten, weil wir ja häufig diesen Mechanismus sehen, dass ihnen sowieso nicht geglaubt wird. In diesem Falle hätten sie zum einen ihre Karriere ruiniert und zum anderen hätten sie davon ja auch nichts, keine Verurteilung des Täters, wenn ihnen nicht geglaubt wird, wenn sie es nicht beweisen können und so weiter. Ich glaube, das ist ein Teil des Problems.
    Hondl: Ist sexuelle Belästigung und Gewalt immer auch eine Demonstration von Macht, Einfluss, Status?
    Lohaus: Es ist nicht immer auch eine Demonstration von Macht; es geht um die Ausübung von Macht. Das Primäre ist, es dient dazu, Frauen sozusagen auf ihren Platz zu verweisen, zu verunsichern. Im beruflichen Alltag habe ich das selbst auch schon erlebt vor einigen Jahren, und das Gefühl, das das bei mir hinterlassen hat, war vor allem ein Gefühl von, ich bin klein, ich bin ohnmächtig, ich habe hier nichts zu sagen, ich werde hier nicht als Mensch gesehen, es geht hier nicht darum, was ich zu sagen habe und was ich kann, sondern es geht einfach darum, mich auf meinen Platz zu verweisen.
    "Da reicht ein Hashtag nicht"
    Hondl: Ich will jetzt nicht alles schwarzmalen, aber ich würde jetzt mal wetten, dass Weinstein nicht der letzte mächtige Mann war, der meint, er kann sich da alles erlauben in diese Richtung. Was, Frau Lohaus, muss denn jetzt passieren, damit sich tatsächlich was ändert? Wir hatten 2013 den #Aufschrei, jetzt haben wir #metoo. Aber nun?
    Lohaus: Ich glaube, dass das ein sehr, sehr langwieriger Prozess ist, weil das ja auch eingewoben ist in unsere Kultur. Da reicht auch nicht ein Hashtag, da reichen auch nicht zwei Hashtags. Mit Sicherheit wird es weitere solche Fälle geben. Was mich mutig stimmt, ist die Tatsache, dass immer öfter solche Fälle an die Öffentlichkeit gelangen, auch in einer Vehemenz. Ich meine, Weinstein ist nicht verurteilt, er ist nach wie vor ein mutmaßlicher Täter, aber die Beweise oder die Zeuginnenschaft ist so erdrückend, dass sich das kaum noch als unwahrscheinlich herausstellen wird. Genau das ist das, was mich ermutigt, und ich glaube, wir brauchen noch sehr viel mehr in diese Richtung, erst mal noch sehr viel Bewusstwerdung. Und ich glaube, in einem nächsten Schritt oder vielleicht auch parallel müssen wir versuchen herauszufinden, warum tun die das und wie kann man dem vorbeugen, was hat das mit Männlichkeit zu tun, was hat das vielleicht auch mit einer Vorstellung von Männlichkeit und Sexualität zu tun, was hat das mit unseren Vorstellungen von Geschlechterrollen zu tun, wie können wir die Machtverhältnisse in der Gesellschaft ändern. Feminismus - ich bin ja Feministin - hat etwas mit der Analyse von Machtstrukturen zu tun und auch damit, diese zu verändern, und ich glaube, in diese Richtung muss das in die Zukunft gehen, wenn wir tatsächlich solche Vorfälle verhindern wollen, solche Straftaten.
    "Mitleidsbekundungen reichen nicht"
    Hondl: Es gibt ja jetzt auch jede Menge Männer, die auf die #metoo-Debatte reagieren. Wahrscheinlich gab es noch nie so viele Frauenversteher wie zurzeit. Aber das kommt ja gerade bei Feministinnen nicht unbedingt gut an. "Women we must stop praising men for emotive declarations of good Intentions for their #MeToo reactions" habe ich vorhin gerade im Netz gelesen auf einem feministischen Blog. Wir Frauen müssten aufhören, Männer für verständnisvolle Reaktionen und gute Absichten zu loben. Können Sie diese Perspektive nachvollziehen, diese amerikanische feministische Perspektive?
    Lohaus: Jein. Ich bin tatsächlich schon im Großen und Ganzen dafür, dass sich Männer an diesen Debatten beteiligen und dass sie sich auch mit diesen Themen beschäftigen und versuchen zu überlegen, was da schiefläuft, und vielleicht auch eigene Perspektiven darauf zu entwickeln. Was ich aber teilweise schwierig finde ist: Natürlich gibt es dann kurzfristig Mitleidsbekundungen, aber das reicht nicht. Das ist dann auch relativ bequem zu sagen, ich werde das nie wieder tun, und so weiter. Aber ich glaube, die tiefe Analyse, warum das passiert, die fehlt dann eigentlich.
    Was ich auch immer wieder erlebe, auch gerade erst vorgestern bei einer Podiumsdiskussion, ist, dass Männer sich sagen, ich bin Feminist, oder sich dazu äußern, sich aber nie damit beschäftigt haben und dann auch dieselben Geschlechterstereotypen wiederholen, zum Beispiel: Ich bin Feminist, weil Frauen sind empathischer und bessere Menschen und sollten regieren, und unsere Politikerinnen seien alle so männlich, hat zum Beispiel dieser Mann gesagt, der sich da gemeldet hatte. Das ist ja genau nicht unsere feministische Analyse. Das ist ja eine Verstärkung von dem, was wir jetzt schon haben, eine Art von falscher Vorstellung von Gleichberechtigung und Feminismus, und das finde ich dann auch schwierig. Männer neigen dann dazu, sich sehr schnell als Experten darzustellen für etwas, wo Feministinnen schon seit 120 Jahren drüber nachdenken.
    "Gesetze beugen sexualisierter Gewalt nicht vor"
    Hondl: Männer sind nicht unbedingt die Experten und Twitter ersetzt keine Gerichte. So hat die französische Regierung gerade auf die #metoo-Debatte reagiert und für ihre aktuelle Gesetzesinitiative geworben zum Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt. Welche Rolle spielen eigentlich die Gesetze? Wie ist das zum Beispiel hier in Deutschland? Gibt das Gesetz eigentlich überhaupt ausreichend Schutz oder Rückhalt für Opfer sexualisierter Gewalt und Belästigung?
    Lohaus: Na ja. Wir hatten ja 2016 eine Sexualstrafreform, die glücklicherweise feministischen Expertisen weitgehend gefolgt ist. Ein paar Einschränkungen würde ich da machen, dass sie als eine Reaktion auf die Silvester-Vorfälle in Köln tatsächlich auch eine rassistische Komponente beinhaltet. Aber was besonders daran war, war, dass zum ersten Mal das Konsensprinzip versucht wurde zu berücksichtigen, die Vorstellung, dass es nicht darum geht, nein zu sagen, wenn sexuelle Handlungen stattfinden, sondern dass es darum geht einzuwilligen, ja zu sagen. Das fand ich schon einen Meilenstein. Ansonsten ist es natürlich so, dass Gesetze sexualisierter Gewalt oder überhaupt Gewalt oder Verbrechen nicht vorbeugen, sondern erst dann in Kraft treten, wenn es zu spät ist, wenn es passiert ist, wenn wir uns vor Gericht sehen, und ich denke, wir müssen sehr viel mehr investieren in diese Vorbeugung, und das ist natürlich immer schwieriger, weil da geht es darum, ein Denken zu verändern, vielleicht auch um Sozialarbeit und so weiter.
    Das andere, was ich denke, was wahnsinnig wichtig ist: Wie gehen wir mit den Menschen um, wenn so eine Straftat passiert ist. Ich habe einen Vorschlag zum Beispiel gelesen von Mithu Sanyal, einer Autorin, die zum Beispiel sagt, dass solche Gerichtsprozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollten, damit nicht so etwas passiert wie im Fall Gina Lisa Lohfink, dass wir alle darüber richten, wer jetzt schuldig ist und wer nicht - einfach zum Schutz der Beteiligten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.